Psychologische Feldstudie Uni Leipzig Schulfreunde? Vielleicht war der Lehrer "schuld"

12. August 2021, 17:16 Uhr

Neben wem saßen Sie während ihrer Schulzeit? Neben jemandem, mit dem Sie auch befreundet waren? Vielleicht war ihre Lehrerin oder ihr Lehrer "schuld". Für eine Feldstudie wurden 3.000 Schulkinder zufällig umgesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Kinder anfreundeten, stieg tatsächlich an – zumindest fanden das Forscher der Universität Leipzig heraus.

Erinnern Sie sich noch an ihre Freunde aus der Schulzeit? Waren es womöglich die Personen, die in der Klasse neben Ihnen saßen? Das muss kein Zufall sein, denn die Konstellation von Sitznachbarn erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen Freundschaft. Forscher der Universität Leipzig haben sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der University of Wisconsin-Madison (USA) und des Center for Social Sciences in Budapest (Ungarn) in einer Feldstudie angeschaut, wie Freundschaftsnetzwerke im Klassenverbund beeinflusst werden. 

Was ist eine Feldstudie? Eine Feldstudie ist eine systematisch wissenschaftliche Beobachtung, die unter natürlichen Bedingungen stattfindet. Dadurch können Forscher beispielsweise das Einkaufsverhalten in Supermärkten untersuchen. Ein solcher Feldstudien-Supermarkt befindet sich im rheinland-pfälzischen Haßloch, weswegen es auch das Haßloch-Experiment genannt wird.

Das Ergebnis: Lehrer können diverse Freundschaftsnetzwerke schaffen, indem sie die Schülerinnen und Schüler wahllos umsetzen. Dafür haben die Wissenschaftler ihr Feldexperiment an ungarischen Grundschulen durchgeführt. In knapp 200 Klassen hat das Lehrpersonal die Schulkinder willkürlich umgesetzt. Insgesamt nahmen 3.000 Kinder an dieser Studie teil.

Darum sind Freundschaften wichtig

Freunde sind wichtig. Sie beeinflussen unser Leben, unser Miteinander und unsere Entscheidungen. Besonders im Jugendalter haben Freundschaften einen großen Einfluss auf etliche Bereiche unseres Lebens. Und bestimmt hatte jeder von uns einmal diesen einen Freund oder diese eine Freundin mit dem oder der man besser nicht befreundet gewesen wäre. Riskante Verhaltensweisen, Drogenkonsum und möglicherweise Straftaten konnten die Folge davon sein.

Kinder essen Pizza
Schulfreundschaften. Sie können häufiger entstehen, weil die Kinder nebeneinandersitzen. Bildrechte: Colourbox.de

Freundschaften bilden sich nicht willkürlich. Man sucht nach gleichgesinnten Menschen mit ähnlichen Hobbys, Interessen und Einstellungen. Dabei kann aber auch die Ethnie oder das Geschlecht eine Rolle spielen. Besonders bei Kindern und jüngeren Jugendlichen kommen Freundschaften zwischen den Geschlechtern weniger häufig vor.

Profitieren von der Diversität?

Freundschaftsnetzwerke sind sehr oft homogen, so die Wissenschaftler in ihrer Studie. Dabei könnte ein durchmischter Freundeskreis positive Effekte haben. Schlechter benotete Schulkinder könnten von den Kindern mit guten Noten profitieren, so zumindest der Ausgangspunkt der Forscher.

Ob sich die Schulnoten der schlechteren Schülerinnen und Schüler dadurch verbesserten, konnte das Forschungsteam nicht beantworten. Jedoch haben sie beobachtet, dass die Wahrscheinlichkeit einer entstehenden Freundschaft bei Sitznachbarn anstieg. Dafür berichteten die Schulkinder am Ende des Schuljahres, mit wem sie befreundet sind. 

Wer ist mit wem befreundet?

Die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Freundschaft bei Sitznachbarn liegt bei 15 Prozent. Die Forscher konnten aber zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Freundschaft bei willkürlicher Zuweisung des Sitzplatzes um fast die Hälfte erhöhte. Somit freundeten sich 22 Prozent der Kinder miteinander an.

Diesen Effekt konnten die Wissenschaftler auch bei eher unähnlichen Kindern beobachten, jedoch war die Wahrscheinlichkeit nicht so stark ausgeprägt wie bei sich ähnelnden Kindern. Zwischen Mädchen und Jungen stieg diese Wahrscheinlichkeit um nur zwei Prozentpunkte an, berichtet die Erstautorin Dr. Julia Rohrer vom Institut für Psychologie der Universität Leipzig.

Zwar ist dieser Anstieg relativ groß im Vergleich zu der allgemein sehr geringen Wahrscheinlichkeit, dass sich Mädchen und Jungs in dem Alter überhaupt befreunden. Trotzdem bedeutet er, dass durch die Intervention im Klassenzimmer nur wenige gemischtgeschlechtliche Freundschaften ermutigt werden konnten.

Julia Rohrer, Institut für Psychologie der Universität Leipzig

Freundschaften unter verschiedenen Ethnien schwer zu bestimmen

Die Schulnoten hatten dagegen kaum einen Einschluss auf die Freundschaften der Kinder. Und was für einen Effekt hatte es bei Kindern mit unterschiedlichen Ethnien? Ein klares Ergebnis gibt es auf diese Frage nicht. Die Daten deuten zwar darauf, dass sich Roma- mit Nicht-Roma-Kindern anfreundeten, jedoch machen die Roma nur drei bis vier Prozent der Gesamtbevölkerung in Ungarn aus.

Die Effektivität der Intervention blieb unklar, was auch daran liegt, dass nur wenige Roma Teil der Erhebung waren.

Julia Rohrer, Institut für Psychologie der Universität Leipzig

Lehrpersonal hat somit einen echten Einfluss darauf, mit wem sich die Kinder möglicherweise anfreunden. Dadurch können sie zumindest den Weg für eine größere Diversität bezüglich der Freundschaften ebnen. Der Sitzplatz ist aber kein Wundermittel, erklärt Rohrer:

Freundschaften, die Gruppengrenzen überschreiten, bleiben selten und sind keine Selbstläufer.

Julia Rohrer, Institut für Psychologie der Universität Leipzig

Zur Studie

Die Studie „Proximity Can Induce Diverse Friendships: A Large Randomized Classroom Experiment“ (engl.: Nähe kann zu unterschiedlichen Freundschaften führen: Ein großes randomisiertes Klassenzimmer-Experiment) erschien am 11. August 2021 im Fachmagazin PLOS ONE.