Kunst des Scheiterns Wie gehen wir mit Niederlagen um? Scheitern als Chance!

04. November 2019, 12:31 Uhr

Niederlagen hat niemand gern. Ob im Sport, in der Politik, im Job oder in Beziehungen: Wir wollen möglichst immer gewinnen. Trotzdem passieren Niederlagen immer wieder. Wie die Wissenschaft sich mit Niederlagen beschäftigt - und was wir daraus lernen können.

Viele kennen es ganz genau. Und dabei handelt es sich nur um einen klitzekleinen beruflichen Baustein. "Tut mir leid, aber der andere Bewerber hat uns mehr überzeugt!" Die Chefin zieht die Schultern hoch, blickt betroffen. Super! Das war's dann. Die kleinen ekligen Zweifelmännchen kratzen dann erst später am Bewusstsein. War man nicht gut genug? Wird es also nichts mehr mit dem Traumjob? Oder dem Traumpartner? Oder dem Studienabschluss? Die Niederlage hat viele Gesichter!

Mike Hurst arbeitete mehr als 30 Jahre erfolgreich im im Hightechzentrum Silicon Valley - bis 2015. Mit 21 Jahren war er in die USA ausgewandert. In verschiedenen Marketingpositionen arbeitet er für Compaq Computer und Hewlett-Packard - bis auf einmal alles vorbei war. Ende! Wie fühlte sich diese Niederlage an? MDR-WISSEN erklärt er:

Es ist eine ganz feine Linie zwischen Traum und Albtraum. Ich habe einen Traum gelebt, aber als ich das Einkommen nicht mehr hatte, ist das Leben dort zum Albtraum geworden.

Mike Hurst Ex-Markting-Mitarbeiter für Hewlett-Packard im Silicon Valley in den USA

Mann mit Brille
Mike Hurst ist mit 21 Jahren in die USA ausgewandert und hat mehr als 30 Jahre im Marketing für Compaq Computer und Hewlett-Packard im Silicon Valley gearbeitet - bis auf einmal alles vorbei war. Bildrechte: MDR/Mike Hurst

So hab' ich meine letzten Kröten zusammengekratzt. Die Freunde, die ich hier noch hatte, sagten: 'Komm zurück, wir nehmen Dich auf.' Dann bin ich wieder nach Deutschland zurückgekommen und hab mich - ich sag‘ mal emotional wieder selbst zusammengestellt. Ich hatte alles dort gelassen: Beruf, Familie - alles.

Mike Hurst Ex-Markting-Mitarbeiter für Hewlett-Packard im Silicon Valley in den USA

Wie weiter nach dem Absturz?

Wie geht es weiter nach solch einer Erfahrung? "Niederlagen sind so verschieden wie die Menschen, die sie erleben", erklärt der Persönlichkeitspsychologe Professor René Proyer von der Uni Halle-Wittenberg. Er beschäftigt sich eigentlich mit dem anderen Ende der Gefühlsorgel: Mit so schönen Zuständen wie Wohlbefinden oder der Verspieltheit im Jugend- und Erwachsenenalter. Ist denn Schluss mit lustig, wenn etwas, um das man hart gekämpft hat, verloren geht? "Es gibt Situationen in unserem Leben, in denen es einfach angemessen ist, niedergeschlagen und traurig zu sein – in denen das eine adäquate Reaktion ist", erklärt Proyer. Diese Gefühlsebene gehöre zur Bewältigung von Niederlagen dazu. Entscheidend sei die rationale Bewertung und Verarbeitung.

Nahaufnahme Mann mit Hemd. In den Händen zwei Zettel mit der Aufschrift "Losers - Winners"
Bildrechte: Colourbox.de

Niederlage als neuer Beginn

Proyer erklärt: "Die Frage ist, wie wird die Niederlage nachträglich bewertet. Wie geht man damit um?" Oft sei das, was im Augenblick dramatisch schien, bei genauerer Betrachtung nicht so schlimm, weil sich etwas Neues ergab, weil man sich umstrukturieren musste.

Die Verarbeitung von Niederlagen hängt von Persönlichkeit ab

Wie wir Niederlagen erleben, hängt also ganz stark von unserer Persönlichkeit ab. Überlegen Sie selbst: Sind Sie ein sehr gewissenhafter Typ? Zeichnet Sie besonders die Offenheit für Neues aus? Würden Sie sich eher als einen nach innen gekehrten Menschen beschreiben, der vieles erstmal mit sich selbst ausmacht? Sind sie ängstlich? Oder emotional stabil und fest - also der Fels in der Brandung? Diese Persönlichkeitseigenschaften bestimmen nicht nur, wie wir auf eine Niederlage reagieren, sondern auch, was wir daraus machen.

Mädchen, das sich die Haare rauft
Statt Haare-ausreißen: Die Chance aus dem Scheitern herausfiltern und lernen Bildrechte: imago/Paul von Stroheim

Der Blick nach vorn

Mike Hurst beispielsweise war zwar tief getroffen vom Scheitern in den USA. Rückblickend sagt er aber: "Als ich zurück kam, hieß es, 'nach vorn gucken – nicht nach hinten'. Ich habe wieder angefangen, mir etwas aufzubauen."

Ich will die Essenz herausziehen - aus dem, was ich da drüben gemacht habe – und hier darauf aufbauen. Ich fühl mich nicht als ausgelaugt und wie eine Zitrone ausgequetscht. Ich hab‘ Erfahrung und Energie.

Mike Hurst

Fuck‘ up Night – Geschichten vom Scheitern

Sein Scheitern erzählte Mike Hurst kürzlich einem Publikum bei der 36. "Fuck up Night" in Leipzig. Überall auf der Welt finden diese Veranstaltungen statt. Menschen erzählen, warum sie woran gescheitert sind. Was sie daraus gelernt haben. Ist Scheitern salonfähig geworden? Das Fehler machen und zugeben? Oder ist das im Arbeitsleben noch nicht angekommen?

Niederlagen sind kaum zu verbergen

Im Gespräch mit Führungskräften habe er oft den Eindruck, dass eine Mentalität vorherrscht, bei der für alles eine Antwort gefunden werden muss, erklärt Psychologieprofessor Proyer. Doch jeder Mensch habe Schwächen und Stärken, und auch Führungskräfte könnten einmal Termine vergessen. "Einen Fehler vertuschen – funktioniert vielleicht noch. Aber eine Niederlage ist kaum zu verbergen. Deshalb ist es wichtig, die eigenen Fähigkeiten zu kennen und in sie zu investieren", sagt Proyer, also in seine Charakterstärken. Sie könnten die helfende Hand sein, die das verletzte "Ich" aus der Niederlage herausführt.

Eigene Stärken erkennen

Aus Studien werde deutlich, dass das Kennen der eigenen Stärken, das Reflektieren darüber und das bewusste Einsetzen dieser Stärken im Alltag einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden haben können. "Es ist eine gute Strategie - egal welche Herausforderungen man zu bewältigen hat –, dies unter  Einsatz der eigenen Stärken zu machen."

Schutz vor dem nächsten Flop

Wenn die Niederlage überwunden, der Schmerz verblasst, der Blick wieder nach vorne gerichtet ist: Kann man sich vor dem nächsten Flop schützen? Wichtig sei das Ziel, erklärt Proyer. "Eine realistische Zielsetzung, realistische Vorstellungen von dem, was man erreichen kann."

Wenn wir Dinge machen müssen, die viel zu einfach für unsere Fähigkeiten sind, entsteht Langeweile. Wenn wir Dinge machen, die zu schwierig sind, steht die Niederlage vor der Tür.

Professor René Proyer Persönlichkeitspsychologe, Uni Halle-Wittenberg

Scheitern als Chance

Jeder muss Umbrüche im Leben bewältigen – und auch die eine oder andere handfeste Niederlage. Hilfreich ist, sich gut zu kennen. Dann kann das Scheitern auch als Chance begriffen werden. "Aus jedem Scheitern kann man etwas lernen – das ist das Gute daran. Die Wahrscheinlichkeit, dass man denselben Fehler noch mal macht, sinkt –  hoffentlich. Die Wahrscheinlichkeit, dass man was verändern kann bei dem, was man tut, steigt – hoffentlich", erklärt Proyer.

Scheitern ist eine Chance für persönliches Wachstum.

Professor René Proyer Persönlichkeitspsychologe, Uni Halle-Wittenberg

Grundsätzlich müsse man aber auch hier den Druck herausnehmen, erklärt der Psychologe. "Es darf jetzt nicht so rüberkommen, dass jeder an einer Niederlage wachsen muss – das wäre die falsche Message." Manchmal ist es vielleicht das Beste, es wie Mike Hurst zu machen: Nach vorne gucken! Nicht nach hinten!

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 03. November 2019 | 09:20 Uhr