AusbildungBildungsforscher Heublein: "Die passiven Studierenden sind die Unglücklichen, die aktiven die Glücklichen"
Dr. Ulrich Heublein arbeitet in der Abteilung Bildungsverläufe und Beschäftigung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) am Außenstützpunkt in Leipzig. Er forscht zu Studienabbrechern und Studierenden in finanziellen Nöten. Mit MDR WISSEN sprach der Experte über die Studienwahl, das Glücklichwerden im Studium und über Beratungsangebote für Studierende.
Frage: Was haben Sie selbst studiert? Und wie beurteilen Sie es im Nachgang?
Heublein: Ich habe Germanistik und Publizistik studiert, also nichts, was ich jetzt beruflich ausübe. Sie sehen, dass ich in meinem Lebenslauf einige Volten geschlagen habe, bis ich zur Soziologie gekommen bin und mich mit der Bildungsforschung beschäftigt habe. Aber ich hadere nicht mit meinem Studium.
Wie wichtig sind Berufs- und Studienberatung für Jugendliche in der Schule?
Generell ist das Vorstellen und Erleben der Studien- und Berufsmöglichkeiten für junge Menschen von großer Bedeutung. Unabhängig davon, dass es natürlich einen Teil von Jugendlichen gibt, die schon frühzeitig sehr genau wissen, welchen beruflichen Weg bzw. welchen Bildungsweg sie einschlagen wollen, die sehr intrinsisch motiviert sind. Die mit 13 Jahren wissen: Ich werde Physik studieren oder klare Vorstellungen haben, dass sie den elterlichen Handwerksbetrieb übernehmen. Für viele junge Leute ist aber eine solche Beratung, eine solche Darstellung der unterschiedlichen beruflichen Möglichkeiten, der verschiedenen Bildungsmöglichkeiten unersetzlich.
Was müsste in der Schulzeit passieren, um solch eine Orientierung zu bekommen?
Berufliche und weitere Bildungsvorstellungen von Jugendlichen bilden sich ja aus dem konkreten Erleben der Umwelt aus. Da spielen die Eltern, die Freunde, Erfahrungen mit anderen Menschen aus dem sozialen Umfeld und die Medien eine Rolle – sowie die Schule und deren Angebote. Wenn man sehr angetan vom Mathematikunterricht ist, bekommt man eventuell die Vorstellung, dass Mathematik ein Studienfach für einen wäre.
Gibt es eine Methode, um das passende Studium zu finden?
Wenn wir uns mit Studienwahl beschäftigen, dann unterscheiden wir drei Hauptgruppen: Zum einen gibt es jene, die sehr stark intrinsisch motiviert sind, also wenn man sich mit den Fachinhalten beschäftigt. In den klassischen Geisteswissenschaften ist man so stark mit den Inhalten verbunden, dass es egal ist, was sich daraus entwickelt im Sinne eines Berufsfeldes. Zum anderen gibt es die extrinsische Motivation. Ich lasse mich also durch äußere Faktoren motivieren: Status, Sicherheit, Verdienst. Klassisch sind dafür Jura und BWL. Und es gibt einen dritten Bereich. Das sind die sozial Motivierten, die sagen: Unser Interesse ist es hauptsächlich, dass wir mit Menschen zusammenarbeiten.
Das ist ARD alpha Uni
Eine Möglichkeit, sich zu orientieren, ist ARD alpha Uni. Die Plattform, an der seit diesem Jahr auch MDR WISSEN mitarbeitet (die ersten Videos finden Sie unter dem Interview), hilft dabei, Orientierung im Studium und Job zu finden. Jede Woche gibt es dazu echte Einblicke und Inspiration – auch auf dem eigenen Youtube-Kanal. Ehrlich und direkt, von denen, die es wissen müssen.
Welche Studiengänge haben die größte Abbrecherquote?
Hohe Abbruchquoten verzeichnen wir zum einen in einem Teil der Naturwissenschaften, besonders in Mathematik, Physik, Chemie und den Ingenieurwissenschaften. Und es trifft auch auf einen Teil der Geisteswissenschaften zu, also sprachwissenschaftliche Fächer und Philosophie, Germanistik, Anglistik, solange das nicht Lehramt-Fächer sind. Bei den Ingenieur- und Naturwissenschaften liegen die Abbrüche vor allem an Leistungsproblemen, die dadurch zustande kommen, dass ein Teil der jungen Leute nicht die entsprechende fachliche Vorbereitung für das Studium aufweisen kann. In den Geisteswissenschaften liegt das Problem nicht so sehr in der fachlichen Überforderung als vielmehr darin, dass sie andere Vorstellungen von den Studieninhalten hatten.
Welche Studiengänge haben denn die niedrigste Abbrecherquote?
Ein Beispiel ist die Humanmedizin, denn dort gilt es, einen hohen NC zu überwinden. Ähnlich ist es beim Fach Sozialwesen an den Fachhochschulen.
Wie wird man mit seinem Studienfach glücklich?
Es gibt es ein klares Rezept: Sie müssen sich intensiv mit ihren Studiengängen auseinandersetzen. Sie müssen eigen-aktiv studieren. Die passiven Studierenden sind die Unglücklichen, die Aktiven sind die Glücklichen. Und glücklich kann auch bedeuten zu sagen: Ich bin hier am falschen Ort in diesem Studium, ich studiere etwas anderes oder ich verlasse das Hochschulsystem, gehe in die Berufsausbildung und bin dort glücklicher.
Viele Jugendliche machen nach dem Abi erst mal ein Jahr lang Pause. Würden Sie dazu raten?
Ein Jahr Pause sagt noch nicht viel – ich muss es auch produktiv füllen. Das kann ein Praktikum in einer Berufswelt sein, die ich schon immer mal erfahren wollte und wo ich auch etwas Geld verdiene oder auch das Work and Travel in Neuseeland. Immer dann, wenn ich Erfahrungen mache, die mir dabei helfen, die Studien- oder Berufsentscheidungen bewusster und souveräner zu treffen, habe ich diese Zeit gut genutzt. Ich plädiere aber auch dafür, mehr berufliche Erfahrungen in der Schulzeit zu ermöglichen. Dazu können beispielsweise gärtnerisch-landwirtschaftliche Tätigkeiten gehören.
Hält der starke Trend zur Akademisierung, der seit Jahren bemerkbar ist, immer noch an oder gibt es ein zunehmendes Interesse an Berufsausbildungen?
Von 2005 bis 2010 hat sich der Anteil der Studienanfänger von einem Drittel auf die Hälfte eines Jahrgangs erhöht. Es gibt jetzt Rückgänge, was die Zahl der Studienanfänger betrifft – das hat aber demografische Gründe. Wenn die Wirtschaft nicht bereit wäre, diese hohe Zahl von Absolventen auch abzunehmen, dann würde die Akademisierung zurückgehen. Wir haben eher das Problem bei der Berufsausbildung, dass wir zu hohe Anteile von jungen Leuten haben, die wir nicht dazu befähigen, überhaupt eine Ausbildung antreten zu können. Und wir erleben einen Boom bei der Kombination von Berufsausbildung und Studium. Das ist auch kein Zufall, weil bestimmte Kompetenzen im Handwerk und in der Fertigung abgefragt werden, die früher kaum eine Rolle spielten – Englisch- oder Mathematikkenntnisse etwa. Der Prozess lässt sich nicht zurückdrängen, die verschiedenen Bildungsformen werden weiter miteinander verschmelzen.