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Biokunststoffe7 Irrtümer zu Bambus, bio und abbaubar

09. Mai 2019, 16:00 Uhr

Biokunststoffe erscheinen auf den ersten Blick als die Lösung für unser weltweites Plastikmüllproblem. Denn wenn das kleiner werden soll, müssen wir entweder verzichten, oder wir brauchen Alternativen. Aber wo Bio drauf steht, ist nicht immer nur Bio drin. So ist es auch bei den Kunststoffen. Eine Ausstellung in Halle nimmt sie unter die Lupe - mit allen Vor- und Nachteilen.

Kauft man kompostierbare Biomülltüten, Luftballons aus Naturlatex oder Bambusgeschirr, dann hofft man, ökologisch bewusst gehandelt zu haben. Man denkt, diese Alternativen seien umweltfreundlich hergestellt und genauso umweltfreundlich zu entsorgen. Doch beim genaueren Hinschauen zeigt sich: Der Zusatz "Bio" im Namen ist dafür keine Garantie.

Biokunsststoff: 10 Irrtümer

1. Biomülltüten kompostieren schnell

Richtig ist, dass eine Biomülltüte nach drei Monaten in einer industriellen Kompostierung fast verschwunden ist, nur winzige Reste von etwa 2mm Länge bleiben übrig. Dafür bekam die Alternative aus Maisstärke z.B. einst auch das Biosiegel, den "Keimling". Inzwischen arbeiten jedoch die meisten Kompostieranlagen viel schneller. Nach drei bis vier Wochen sind die Abfälle zu Humus geworden, bis auf die Tüten. Übrig bleiben riesige Fetzen, die niemand in seinem Kompost haben möchte. Deshalb werden sie aussortiert und kommen in die Müllverbrennung, so dienen sie wenigstens noch der Stromerzeugung. Im Meer verrotten Bioplastiktüten übrigens gar nicht, weil es dafür zu kalt ist.

2. Biomülltüten sind ökologisch sinnvoll, weil sie aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt werden

Wissenschaftler des Imperial College in London haben genau das widerlegt. Ihren Berechnungen zufolge schneidet die Biomülltüte aus Maisstärke eher schlecht ab. Allein der hohe Energieverbrauch bei der Herstellung des Maisdüngers und der CO2-Ausstoß aller Transporte bescheinigen ihr eine negative Klimabilanz. Die Verbrennung herkömmlicher Tüten sei also gar nicht so viel schlechter bzw. sogar besser als die Kompostierung dieser aufwändig hergestellten Alternative. Hinzu kommt die intensive Landwirtschaft für den Maisanbau - Überdüngung der Felder und Monokultur.

3. Bambusgeschirr ist nachhaltig

Auch das ist leider ein Irrtum. Denn ohne künstliche Bindemittel und Zusätze wäre das Geschirr nicht nutzbar und schon gar nicht waschbar.

Das ist schon aus Bambus, aber es ist verklebt, das schwimmt sozusagen in einem herkömmlichen Kunststoff und niemals kommt der Bambus da wieder raus.

Franziska Müller-Reissmann, Kuratorin

erklärt Mario Pellin, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung "Bio, Kunststoff oder beides?" in Halle. Das Geschirr lässt sich also nicht recyceln, womit die Nachhaltigkeit klar in Frage gestellt ist.

4. Bambus ist eine gesunde Alternative zu Plastik

Davon kann - zumindest im Hinblick auf Geschirr - kaum die Rede sein. Denn Bambus allein würde aufquellen, wenn er mit Flüssigkeit in Kontakt kommt. Um das zu verhindern, werden Melamin und Formaldehyd beigemischt. Das Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart stellte bei jedem zweiten bis dritten geprüften Becher Werte fest, die über den zugelassenen Grenzwerten für diese Stoffe liegen. Durch das Einfüllen von heißen Flüssigkeiten steige die Gefahr, damit in Kontakt zum kommen, so die Experten. Sie sprachen sich deshalb klar für Edelstahl und Porzellan als Alternative aus.

5. Alle Kunststoffe aus Erdöl sind nicht biologisch abbaubar

Sie können durchaus biologisch abbaubar sein. Das bedeutet, das sie durch Einflüsse wie z.B. Ph-Wert oder UV-Strahlung chemisch zersetzt werden und Stoffe wie CO2, Nitrate oder Wasser übrig bleiben. Dafür brauchen Kunststoffe auf fossiler Basis jedoch je nach Beschaffenheit einen enormen Zeitraum. Eine Angelschnur im Meer benötigt 600 Jahre, eine Plastiktüte 10 bis 20 Jahre. Nicht zu verwechseln ist die Zersetzung mit dem Zerfall in Mikroplastik.

6. Alle Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen sind biologisch abbaubar

Die Tatsache, dass ein alternativer Kunststoff aus einem nachwachsenden Rohstoff hergestellt wurde, ist per se keine Garantie dafür, dass er schnell und unkompliziert abbaubar ist. Abhängig ist das immer von der Beschaffenheit und davon, welche Stoffe beigemischt sind.

7. Hinweis "abbaubar" garantiert Umweltfreundlichkeit

Leider nicht. Dieses Attribut bedeutet nur, dass die Möglichkeit besteht, dass das Material abgebaut werden kann - abhängig von den Umständen. Eine Mülltüte aus Mais verrottet ganz gut in einer industriellen Kompostieranlage bei ca. 60 Grad Celsius. Im Meer hingegen verrottet sie nicht.

Das Wörtchen ‚bar‘ heißt hier: theoretisch ist das möglich. Also ein Kind ist erziehbar. Ob es denn erzogen ist, das wollen wir mal gucken.

Mario Pellin, Kurator

Die Ausstellung "Bio, Kunststoff - oder beides?" in Halle präsentiert alle bekannten Bioplastiksorten, die derzeit auf dem Markt sind: Vom Wegwerfgeschirr aus Stärke, über Bio-Styropor bis hin zu Knöpfen aus Milchprotein. - alle aufgelistet mit ihren Vor- und Nachteilen.

Nicht nur meckern, auch machen

So könnte man beschreiben, wie sich die Studenten der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Ausstellung beteiligen. In der Fachrichtung Industriedesign zum Beispiel haben sie unter anderem ein unscheinbares Spray entwickelt. Es besteht aus einem Abfallprodukt, der Eimembran. Sprüht man es auf ein Gemüse, bildet sich eine Schutzschicht, die eines Tages die Plastikfolie ersetzen könnte.

Ein ganz anderes Konzept verfolgt eine Studentin mit einer Zahnbürste, die aus reinem Polyamid besteht. Ein Kunststoff ganz im herkömmlichen Sinne, in der Herstellung also nicht "Bio". Ihr Vorteil aber ist: Weil sie nur aus einem einzigen Stoff besteht, kann sie vollständig recycelt werden. Und so geht nachhaltiges Plastik dann auch ganz ohne Bio.

Die Ausstellung "Bio, Kunststoff – oder beides?" ist noch bis zum 5. Juli 2019 in der Materialsammlung der Burg Bibliothek, Campus Design am Neuwerk 7 in Halle zu sehen.

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 08. Mai 2017 | 17:10 Uhr