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BiologieKlimawandel macht die Bäume früher kahl

27. November 2020, 09:19 Uhr

Der Klimawandel beschert uns zwar mehr Wärme, aber deshalb keinen grüneren Herbst: Künftig wird es sogar schneller kahl an den Bäumen, auch wenn es feucht bleibt. Antworten, warum das so ist, gibt es aus der Schweiz. Dazu lohnt es zu wissen, warum Blätter überhaupt fallen.

von Florian Zinner

Kahle Bäume – künftig noch länger? Bildrechte: imago/Westend61

Irgendwann im Herbst wird aber ganz sicher in irgendeinem Gespräch der Satz fallen, die Bäume seien doch in diesem Jahr besonders lange grün oder besonders früh kahl. Und dann schauen Sie aufs Bäumchen vor Ihrem Fenster: Hat es dieses Jahr das Laub früher abgeworfen als sonst? Oder sind jetzt, Ende November, immer noch zahlreiche Blätter dran? Wie war es im vergangenen Jahr? Und davor? Gar nicht so leicht, sich daran zu erinnern.

Herbst in Leipzig: Im Gegensatz zu den Laubbäumen drum herum bleiben die Hanfpalmen das ganze Jahr grün und lassen nur sporadisch Blätter welken. Bildrechte: MDR/Zinner

Und dann werden Antworten gesucht: Viel zu trocken war es, also entledigt sich der Baum seiner Blätter schon im September. Oder: Wenn die Blätter erst im Dezember fallen, ist der Klimawandel schuld. Die Bäume würden schließlich nicht mitbekommen, dass schon Winter sei. Allerlei gefühlte Wahrheiten zu einem Thema, das nicht ganz so einfach ist: Abszission. So lautet der Fachbegriff für das Abfallen der Blätter im Herbst. Das betrifft vor allem Laubbäume und vereinzelt auch Nadelbäume – denken Sie nur mal an die kahlen Lärchenwälder in den winterlichen Alpen. Pflanzen wie Palmen, Yuccas oder die meisten Rhododendren bleiben hingegen grün – und lassen ihre Blätter nur sporadisch welken.

Der Blätterfall, mit dem wir in Mitteleuropa seit unserer Geburt jedes Jahr aufs Neue konfrontiert sind, signalisiert uns ganz selbstverständlich, dass es vor der Haustür jetzt ungemütlich kalt wird. Das stimmt zwar im Grunde, aber eigentlich wird es ungemütlich trocken. Und zwar für die Bäume. Die werfen ihr Laub nämlich nicht ab, um sich selbst irgendwie vor dem Erfrieren zu retten, sondern um in eine Art Winter-Standby zu gehen. Mit möglichst wenig Wasserverbrauch, denn die Wasseraufnahme in einer Jahreszeit, in der es mitunter gefriert und in der Niederschläge generell geringer sind, ist schwierig. Gerade in den vergangenen Dürrejahren ließ sich zudem beobachten, wie sich Bäume bereits sehr zeitig ihres wasserhungrigen Laubs entledigten (bei einem alten Baum können da schon mal hundert Liter am Tag durch die Blätter gehen). Vorher wandern aber die Nährstoffe aus den Blättern zurück in den Baum – man will ja nichts wegwerfen.

Kahle Äste sind clever

Netter Nebeneffekt und von der Natur gelebte Nachhaltigkeit: Auf den kahlen Ästen bleibt der Schnee nicht ganz so gut liegen, die Äste brechen nicht ab und das Laub am Boden schützt zudem das Wurzelwerk bei Frost. Sollten Sie also immergrüne oder exotische Pflanzen im Garten stehen haben, befreien Sie deren Blattwerk lieber früher als spät vom Schnee, wenn die Blätter im nächsten Frühjahr noch ansehnlich aussehen sollen.

Standby im Winter ist für Bäume überlebensnotwendig Bildrechte: imago/CHROMORANGE

Zurück zum Laub: In einem trockenen Jahr kann es also trotz warmer Temperaturen zu einem frühen Blätterfall kommen. Warme Temperaturen und spät einsetzender Frost hingegen deuten daraufhin, dass die Blätter lange am Baum bleiben. Wie die Prognosen in der neuen ARD Klimakarte von MDR WISSEN zeigen, zeichnet sich künftig ein Klima mit mehr Niederschlag und höheren Temperaturen ab.

Eigentlich müssten die Blätter länger hängen bleiben …

Nehmen wir mal Schkeuditz im Herzen des trockenen und recht milden Ballungsraums Leipzig-Halle: Wenn keine klimaschützenden Maßnahmen ergriffen werden, wird es dort bis Ende des Jahrhunderts 3,8 Grad wärmer sein, bei zwölf Prozent mehr Niederschlag. (Und auch bei starken Klimaschutzmaßnahmen ist mit steigenden Temperaturen und Niederschlagsmengen zu rechnen.) Abgesehen davon, dass Starkregen bei Unwettern nicht gerade förderlich für eine regulierte Wasseraufnahme bei Pflanzen ist, könnte man davon ausgehen, dass die Blätter in Schkeuditz (und anderswo) künftig länger an den Bäumen hängen bleiben.

Hübsche Platanen: Bleibt der Herbst in Deutschland künftig länger bunt? Nein. Und grün auch nicht. Bildrechte: imago images/Jochen Tack

So eine bisherige Annahme, mit einem netten Nebeneffekt: Wenn die Blätter länger ihr Laub tragen, haben sie auch länger die Möglichkeit, schädliches CO2 zu kompensieren und damit wiederum aktiv gegen eine Veränderung des Klima zu arbeiten. Beobachtungen der letzten Jahre unterstützen diese These, sie hat jedoch einen Haken, den jetzt eine neue Studie der Eidgenössisch Technischen Hochschule nahelegt.

… aber die Bäume sind schon satt.

Die Forschenden versinnbildlichen den Haken anhand der menschlichen Nahrungsaufnahme. Sie können als Mensch essen und essen, irgendwann ist der Magen aber voll und nix geht mehr rein. Wenn Ihnen jetzt jemand ein schmackhaftes Stück Pizza vor die Nase hält, mit herzhaft-würzigem Duft und fettig triefend, bringt das leider auch nix. Ihr Magen bleibt voll. Auch die Bäume sind satt, leckeres CO2 im Spätherbst – also ein Stück Baum-Pizza – passt nicht mehr rein.

Genug CO2 ist genug. Und dann kommen die Blätter ab. Bildrechte: imago images/blickwinkel

In einer groß angelegten Untersuchung europäischer Bäume haben die Forschenden festgestellt, dass die erhöhte Produktivität der Bäume zu einem früheren Abfallen der Blätter führt. Die erhöhte Produktivität wird durch eine früher beginnende Vegetationsperiode mit erhöhten Kohlendioxid-, Temperatur- und Lichtniveaus verursacht. Die Forschenden gehen davon aus, dass so der Bauch der Bäume schneller voll ist und in den kommenden Jahrzehnter immer früher voll sein wird.

Ein wichtiger Punkt, der die klimapositiven Erwartungen an längere Vegetationsperioden bremsen könnte. Zurzeit liegen nur Daten für europäische Wälder vor, inwieweit sich das Modell weltweit anwenden lässt, ist unbekannt.

Laub am Boden: Die Erde dreht sich schneller

Zurück zum Laub, das auch in diesem Jahr verlässlich die Wiesen säumt – ob früher oder später ist erstmal dahingestellt. Was damit anstellen? Sofern es nicht von Schimmel oder Schädlingen befallen ist, am besten liegen lassen, das rät auch der Leipziger Umweltverbund Ökolöwe. Die Blätter übernehmen entscheidende Aufgaben für den Boden und bieten für ein funktionierendes Ökosystem Organismen wie Mikroben und Insekten einen wichtigen Lebensraum. Ersparen Sie denen am besten auch Laubbläser.

Ach ja, wenn Sie das Gefühl haben, in den vergangenen Jahren besonders wenig Zeit zu haben – schieben Sie auch das ruhig auf den Klimawandel. Denn wenn die Blätter, die ja immer früher fallen, auf dem Boden liegen, statt an den Bäumen zu hängen, dreht sich die Erde schneller. (Und weil es auf der Südhalbkugel weniger Laubbaumbestände gibt, gleicht sich diese Geschwindigkeitszunahme auch nicht aus.) Auch wenn es nur wenige Nanosekunden am Tag sind, merken Sie sich einfach für das nächste Gespräch zum Thema: Wenig Zeit = früher Laubfall, viel Zeit = später Laubfall.

Link zur Studie

Die Studie Increased growing-season productivity drives earlier autumn leaf senescence in temperate trees erschien am 26.11.2020 im Fachblatt Science.
DOI: 10.1126/science.abd8911

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