Cover zu "Fakten-Check Impfen"
Bildrechte: Verlag Gräfe & Unzer

Wissen, was wir lesen Fakten-Check Impfen. Pro & Contra auf den Grund gegangen

31. Mai 2021, 09:46 Uhr

In der Corona-Pandemie ist die Impfung der große Hoffnungsträger. Doch das Impfen ist ein dauerhaft wichtiges und hoch emotionalisiertes Thema: Soll ich mein Kind impfen lassen oder lieber doch nicht? Falschinformationen, Irrtümer oder gar Verschwörungstheorien verunsichern viele Menschen stark. In diesem Durcheinander von Fakten und Mythen will das Buch Orientierung geben, ohne Vorwürfe zu machen. MDR WISSEN-Autorin Kristin Kielon hat sich den Ratgeber genau angeschaut.

Porträtaufnahme einer weißen Frau mit zurückgebundenen Haaren, einer großen Brille und grüner Bluse
Bildrechte: Tobias Thiergen

Worum geht es?

Das Buch beschäftigt sich mit dem Thema Impfen in allen denkbaren Facetten. Das wohl Bemerkenswerteste am "Fakten-Check Impfen" dürfte wohl sein, derart umfassend viele Informationen kompakt gebündelt auf rund 150 Seiten unterzubringen - und zwar klar strukturiert und übersichtlich. Es liefert Fakten, beschäftigt sich mit Mythen und bekannten Irrtümern, erklärt Impfstoffe und wie sie wirken, sowie die Krankheiten, gegen die sie helfen. Es gibt der Leserschaft darüber hinaus auch noch ganz konkrete Tipps und Argumente an die Hand - etwa zu der Frage, wie Kinder möglichst angst- und schmerzfrei geimpft werden können oder wie man Studienergebnisse selbst richtig lesen und verstehen kann.

Die Doppelseite klärt über Meningokokken B und C, Mumps, Pneumokokken und Röteln auf. Ein Infokasten auf der linken Seite erzählt die Geschichte der Tochter des Schriftstellers Roald Dahl, die 1962, ein Jahr vor Zulassung der Masern-Impfung, im Alter von sieben Jahren an Masernenzephalitis starb.
Kompakte Informationen: Krankheiten, gegen die in Deutschland eine Impfung empfohlen wird, und ihre Symptome erklärt. Bildrechte: Gräfe und Unzer Verlag

Von ganz Grundlegendem über Wissenswertes bis hin zur Analyse von Falschinformationen und Einwänden von "Impfskeptikern" ist alles dabei. Unterfüttert wird das Ganze sogar noch mit kurzen Experteninterviews, Erklärboxen und Anekdoten. Das klingt nach sehr viel. Den Autorinnen und dem Autor ist es aber gelungen, die Informationen so auf den Punkt zu konzentrieren, dass sie ihr Versprechen tastsächlich einhalten: Nach der Lektüre des Ratgebers können Menschen eine gut informierte Entscheidung für sich und ihre Kinder treffen.

Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?

Das Buch schafft es am "Puls" der Diskussion zu sein: Es greift genau die Punkte und Argumente auf, auf die wir alle schon zum Thema Impfen gestoßen sind - ob in den sozialen Netzwerken oder in der Elterngruppe der Kita-Kinder. Um die zahlreichen Mythen zu dem Thema kommt man heute gar nicht mehr herum: Von vermeintlichem Autismus ist da die Rede, dass es sogar gut für das Immunsystem sei, die Masern zu durchleben bis hin zur bösen Pharmaindustrie, die nur an unsere Brieftasche will. Die Autor*innen beleuchten das alles mit einer fast schon bemerkenswerten Ernsthaftigkeit. Auch, wenn durchscheint, dass es aus wissenschaftlicher Sicht nur wenig gegen das Impfen einzuwenden gibt, können sich auch impfskeptische Menschen mit ihren Sorgen ernst- und wahrgenommen fühlen. Es wird nicht abgewertet, sondern auf Augenhöhe argumentiert. Persönlich haben mich aber vor allem die kleinen "Anekdoten" immer wieder begeistert: Von Evita Perón bis zu schlechtem Schlaf bei Vollmond.

Auf dieser Doppelseite geht es um Impfrisiken. Eine Grafik zeigt, dass 1 von 10.000 Kindern statistisch von einem Blitz getroffen wird, 1 von fast 750.000 Kindern Milliardär wird und nur 1 von 1 Million Kindern eine allergische Reaktion auf eine MMR oder Hepatitis-B-Impfung hat.
In den USA ist es wahrscheinlicher Milliardär zu werden, ins Olympiateam zu kommen oder vom Blitz getroffen zu werden, als eine allergische Reaktion durch die MMR-Impfung zu bekommen. Bildrechte: Gräfe und Unzer Verlag

Wer hat's geschrieben?

Die Autor*innen des Buches bringen mehrere Perspektiven und Fähigkeiten mit ein, was dem Endprodukt merklich gut getan hat. Da wäre zum einen Nicola Kuhrt. Die 46-Jährige Medizinjournalistin ist auch Co-Gründerin des Magazins MedWatch, das Medizin-Fakes im Internet aufdeckt. Der 40-jährige Mediziner Dr. Jan Oude-Aost ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er hat nach einer Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger noch Medizin studiert und damit begonnen, sich mit Pseudomedizin zu beschäftigen. Die dritte Autorin im Bunde ist Prof. Dr. Cornelia Betsch. Sie ist Professorin für Gesundheitskommunikation in Erfurt und forscht seit über zehn Jahren zur Psychologie der Impfentscheidung.

Cover zu "Fakten-Check Impfen"
Bildrechte: Verlag Gräfe & Unzer

Die Daten zum Buch Nicola Kuhrt, Jan Oude-Aost, Cornelia Betsch: Fakten-Check Impfen. Pro & Contra auf den Grund gegangen. Gräfe und Unzer Verlag, 160 Seiten, 14,99 €, ISBN 978-3-8338-7772-8

Wie ist es geschrieben?

Obwohl das Buch so viele Informationen in kompakter Form vermittelt, ist es verständlich, konkret und durchaus auch kurzweilig geschrieben. Man muss nicht Medizin studiert haben, um es zu verstehen - ganz im Gegenteil. Das macht es recht niedrigschwellig und nachvollziehbar. Und es gibt eben auch konkrete Antworten und Hilfestellungen - es wird nicht um den heißen Brei geredet, sondern auf Fragen der Leserschaft geantwortet. Zu erwähnen sind außerdem auch die liebevollen Illustrationen und die Infografiken, die Informationen nochmals klar verdeutlichen.

Die Doppelseite zeigt links eine Zeichnung mit Symbolen aus Wissenschaft (z.B. einem Mikroskop oder der Weltkugel) im oberen Bildteil und Symbolen für unwissenschaftliche Behauptungen (z.B. mit der Erde als Scheibe) im unteren. Dazwischen eine Frau mit Ausführungszeichen, die zur Wissenschaft blickt und ein Mann mit Fragezeichen mit Blick auf die Behauptungen. auf der rechten Seite gibt es einen kleinen Test mit Aussagen zum Impfen, die auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden sollen (z.B. die Frage, ob Impfungen Allergien fördern).
Impf-Mythen im Blick: Alle Fragen werden auch mit Ja oder Nein klar beantwortet. Bildrechte: Gräfe und Unzer Verlag

Das Buch verfolgt sogar einen interaktiven Ansatz: Je nach Typ und Vorwissen kann man sich am Anfang zum Beispiel dafür entscheiden, in welchem Kapitel man mit dem Lesen beginnen will. So lassen sich die gut gegliederten Informationen an die individuellen Bedürfnisse anpassen - und niemand muss sich durch Kapitel "quälen" mit etwas, was man ohnehin schon weiß oder gar nicht wissen will. Zusätzlich gibt es zahlreiche Quellen, weiterführende Informationen und Link-Tipps mit an die Hand - schön kompakt am Ende des Buches.

Was bleibt hängen?

Impfen ist eine sinnvolle Sache, aber es gibt viele Falschinformationen und Mythen, die sich aus vielerlei Gründen verbreitet haben. Es schadet nicht, sich damit auseinanderzusetzen. Aber auch über die genaue Wirkweise von Impfungen und über Krankheiten, die heute längst kaum mehr eine Rolle spielen, sollte man sich insbesondere als Eltern informieren. Denn hängen bleibt auf jeden Fall auch: Das Impfen ist heute ein bisschen Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Weil es viele Erkrankungen eben kaum mehr gibt, werden sie auch nicht mehr so ernst genommen. Und dann bleibt da auch noch ein Gedanke: Es lohnt sich als Impfbefürworter mit guten Argumenten in den Austausch zu gehen. Denn je mehr Menschen vom Impfen überzeugt werden können, desto besser ist das für den Schutz der Gemeinschaft - und eben auch für die, die nicht geimpft werden können.

Eine Doppelseite zur Erklärung wissenschaftlicher Studien. Die linke Seite zeigt in einer Grafik den Ablauf einer Studie, bei der die Teilnehmer:innen nicht wissen, ob sie eine Impfung oder ein Placebo bekommen haben.
Für alle, die sich umfassend selbst informieren wollen: Wie funktionieren medizinische Studien? Bildrechte: Gräfe und Unzer Verlag
Porträtaufnahme einer weißen Frau mit zurückgebundenen Haaren, einer großen Brille und grüner Bluse
Bildrechte: Tobias Thiergen

Die Rezensentin Ist extrem neugierig und glaubt nicht, dass irgendetwas so kompliziert ist, dass es nicht alle verstehen können. Sie "übersetzt" deshalb im Radio, im Internet und auch mal im Bewegtbild – am liebsten Themen aus Naturwissenschaften, Technik, Psychologie und Medizin.

1 Kommentar

AlexLeipzig am 17.05.2021

Offensichtlich ein lohnenswertes Buch und ein kluges Fazit im Artikel: "Das Impfen ist heute ein bisschen Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Weil es viele Erkrankungen eben kaum mehr gibt, werden sie auch nicht mehr so ernst genommen." - das scheint ja schon bald für die Corona-Impfung zu gelten - wenn die Inzidenzzahlen sinken, und die Menschen weniger mit der Erkrankung konfrontiert werden, kann die Impfbereitschaft vielleicht auch nachlassen. Was wie bei allen impfpräventablen Erkrankungen ein gefährliches psychologisches Phänomen werden kann.