Cover Hören
Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Wissen, was wir lesen Buchempfehlung: Hören

19. September 2021, 15:00 Uhr

Knallkrebs, Gemüseorchester und Bariton: ob Lärm. Geräusch oder Musik – in einer Neuerscheinung über das "Hören" spielen sie alle mit. Dieses (bereits preisgekrönte) Buch ist nicht nur was für Kinder, weiß MDR WISSEN-Autorin Klara Fröhlich, die mal reingehört hat: "Es gleicht einem Sammelsurium an kuriosen, witzigen und liebevollen Botschaften" zu einem ganz elementaren Thema.

Eine junge Frau mit schulterlangen dunkelblonden Haaren in einer schwarzen Bluse mit rot-braun-weißen Ornamenten. Sie lächelt freundlich und hält die Arme locker verschränkt.
Bildrechte: Tobias Thiergen

Das Bild zeigt eine waagerechte Skala mit Dezibelwerten von 5 bis 315 dB. Jedem Wert ist ein grafischer Balken zugeordnet, der bis 60 dB grün, bis 120 dB türkis und ab 130 dB rosa bis rot eingefärbt ist. Darauf jeweils ein Piktogramm für das jeweilige akustische Ereignis - vom Schneemann (für Schneefall) bis zum Einschlag eines Meteoriten am anderen Ende der Skala.
Lautstärke - visuell erklärt Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Geräuschwelten in der Stadt und in der Natur

Wussten Sie, dass es in den Tropen einen Krebs gibt, den Knallkrebs, der seine Scheren so laut zusammenklappt, dass er seine Beute damit betäubt? Nein? Wunderbar, dann ist "Hören" genau richtig für Sie. Der Band vermittelt breit und anschaulich Geräusch-Welten. In der Stadt und in der Natur. Unter Menschen. Von Instrumenten. Er enthält zahlreiche Beispiele, von Objekten (Häusern (!) zum Beispiel) bis hin zu Krabbeltieren und anderen Lebewesen, von denen sich nicht ahnen ließ, dass sie und, vor allem, wie sie hören und/oder klingen. Echt faszinierend!

Ein Mann mit Regenschirm, der ihn vor bindfadenartigen, farbigen Wörterkaskaden schützt, die aus dem Himmel herabfallen und aus Verben bestehen, die mit der Erzeugung von Klängen und Geräuschen zu tun haben: von "lärmen" und "flattern" bis "scheppern" und "rascheln". Unter dem Schirm ist weiße Fläche.
Stille lässt sich nicht abbilden? Von wegen! Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Spielerisches Design

Der Band ist eine sorgfältig kombinierte Reihe von Infografiken. Er verbindet poppige Elemente in knalligen Farben mit Bauhaus-Design. Die Illustrationen sind mit kurzen poetischen Texten versehen. Mithilfe weniger Zeilen wird der Leser dadurch fließend von einer Hör-Umgebung in die nächste geleitet. Von einer Welt voller Musikinstrumente, in der neben einer Bass-Gitarre auch ein Leierkasten Platz hat, zu einer Welt voller "klingender" Berufe, und von da geht es weiter ins Tierreich.

Die Autoren arbeiten dabei mit der ganzen Fläche. Sie platzieren mal dort geschickt eine Notenspur neben einer Figur, verbinden mal hier ein Tier mit einem witzigen Geräusch, so dass ein lebendiger Lese-Eindruck entsteht.

Wissenswertes wird in kleinen Häppchen untergebracht, so dass es sich überhaupt nicht so anfühlt, als läse man Fakten und Zahlen. Gelungenes Design!

Klara Fröhlich

Eine Doppelseite mit hohen Gebäuden einer Stadt, deren Spiegelungen aussehen wie umgekehrte Amplituden einer Lautstärkenmessung. Vor ihnen Menschen im Straßenverkehr, die von allen Seiten beschallt werden.
Wenn beim Lesen auf einmal der Stadtlärm zu hören ist. Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Preisgekröntes Kinderbuch

Als "Hören" 2018 in englischer Sprache erschien, wurden die beiden Autoren Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw gleich ausgezeichnet. Mit diesem Werk und einem zweiten Buch übers Sehen gewann das Duo den Bologna Ragazzi Award, einen Literaturpreis, der Kinderbücher weltweit kürt. Nach Abschluss ihres Studiums an der Nationalen Akademie der Künste in Lwiw in der Ukraine gründeten die Designer ihr eigenes Studio und veröffentlichen seitdem Bücher für Kinder und Erwachsene.

Cover Hören
Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Die Daten zum Buch Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw: Hören. Übersetzt von Claudia Dathe. Gerstenberg Verlag 2021, 56 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-8369-6051-9

Auch Grünzeug macht Geräusche

Der Fokus des Buches liegt darauf, zu zeigen, wie unterschiedlich Geräusche sein können. Letztendlich geht es nicht so sehr darum, Hören in seiner anatomischen Komplexität abzubilden, sondern vielmehr darum, die Vorstellungskraft anzuregen. Das Kopfkino heraufzubeschwören. Der Leser findet sich in den vielen großen und kleinen Beispielen übers Hören schnell wieder und das fesselt.

Doch nicht nur die alltägliche Geräusch-Welt wird angesprochen. Es werden auch witzige Anekdoten eingestreut. Zum Beispiel, dass es eine Band gibt, die auf Gemüse musiziert und anschließend mit dem Grünzeug einen Eintopf kocht. Es heißt The Vegetable Orchestra. Es klingt gar nicht mal schlecht. Oder aber – für wen das nichts ist, der lernt in "Hören", dass es eine interaktive akustische Weltkarte gibt, auf der sich Geräusche aus der ganzen Welt nachhören lassen. Vogelzwitschern am Abend aus einem estnischen Dorf zum Beispiel. Auf jeden Fall ist für den großen und kleinen Leser Inspirierendes dabei! 

Die menschlichen Stimmlagen werden auf dieser Doppelseite von unterschiedlichen Figuren repräsentiert: die tiefen Lagen (Alt und Bass) von kleinen und dicken Figuren in grün, die hohen (Sopran und Tenor) von großen und dünnen Stellvertretern in rot. Dazwischen die Lagen Mezzosopran und Bariton in türkis.
Die menschlichen Stimmlagen - von ganz hoch bis ganz tief. Bildrechte: Gerstenberg Verlag

Verstehen und Verständigung

Für Personen, die eine sachliche Vermittlung vom Hören erwarten, ist dieses Buch eher nichts. Es gleicht einem Sammelsurium an kuriosen, witzigen und liebevollen Botschaften übers Hören und besticht gerade durch seine vielfältige Herangehensweise. Wenn man eine zentrale Idee dieses Buches festlegen müsste, so wäre es wahrscheinlich diese: Hören ist inhärent mit Verstehen und Verständigung verbunden. Dazu stehen uns Stimme, Ton und Sprache zur Verfügung, aber auch so etwas Simples wie klopfende Herzen. Wir müssen nur hinhören.

Eine junge Frau mit schulterlangen dunkelblonden Haaren in einer schwarzen Bluse mit rot-braun-weißen Ornamenten. Sie lächelt freundlich und hält die Arme locker verschränkt.
Klara Fröhlich Bildrechte: Tobias Thiergen

Die Rezensentin Interessiert sich für alles, was die aktuelle Studienlage bereithält, am liebsten aber mit Bezug zu Geschichte, Umwelt und Gehirn. Hält das Mikro am liebsten fürs Radio in der Hand.

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