Was wir lesen

Cover Immun
Bildrechte: Ullstein Verlag

Wissen, was wir lesen Immun. Alles über das faszinierende System, das uns am Leben hält.

31. Oktober 2021, 15:00 Uhr

"Nach und nach betreten immer neue Akteure die Bühne dieses Actionfilms" – so spannend ist dieses Buch über unser Immunsystem, sagt MDR WISSEN-Autor und Virologie-Experte Clemens Haug. Phillipp Dettmer vom funk-Channel "kurzgesagt" hat das Buch geschrieben. Sein Markenzeichen, wissenschaftliche Erkenntnisse in großer Detailtiefe mit einer liebenswürdigen Aufmachung zu verbinden, prägt auch dieses Buch.

Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Das Bild zeigt die elf wichtigsten beweglichen Bestandteile des Immunsystems, von dem Makrophagen bis zu den Antikörpern.
Die handelnden Figuren: Das Immunsystem verfügt über eine ganze Reihe sehr spezialisierter Zellen. Bildrechte: Ullstein Verlag

Unser Immunsystem als Held in einem Abenteuerfilm

Wie fantastisch und rätselhaft zugleich unser Immunsystem ist, führt uns nicht zuletzt die Corona-Pandemie vor Augen. Einige Menschen erleben Sars-CoV-2 nur als harmlosen Schnupfen, andere müssen in Kliniken monatelang beatmet werden. Nicht wenige sterben, weil ihr Immunsystem am Virus und an sich selbst scheitert. Wie kommt es zu diesen Phänomenen? "Immun" erklärt uns dieses enorm komplexe und zugleich absolut lebenswichtige System unseres Körpers so anschaulich, dass vor unserem inneren Auge ein spannender Abenteuerfilm abläuft. Die Protagonisten: Verschiedenen Zellen unseres angeborenen und lernenden Immunsystems. Ihre Werkzeuge: Unter anderem frei im Blut schwimmende Proteine, die zu tödlichen Waffen gegen Eindringlinge werden können.

Wir bekommen eine Ahnung davon, was Zytokine eigentlich sind und warum diese elementaren Signalstoffe unseres Immunsystems bei einer Covid-19 plötzlich zu einem Problem werden können. Wir lernen ein Organ namens Thymus kennen, das zumindest in meinem Biologieunterricht nie erwähnt wurde. Der Thymus ist eine der wichtigsten Zentralen unseres Immunsystems, gibt den T-Zellen ihren Namen und ist leider auch der Grund dafür, warum unsere Immunabwehr ab einem Alter von 55 Jahren immer schwächer wird.

Das Bild zeigt in einem stilisierten menschlichen Körper Lymphgefäße und -knoten sowie die Lage der Mandeln, des Thymus und der Milz.
Grafik des Lymphsystems mit den wichtigsten Organen unserer Immunabwehr: Haben Sie schon einmal vom Thymus gehört? Bildrechte: Ullstein Verlag

Die Abwehr gefährlicher Bakterien: In uns toben unbemerkte Kämpfe

Schon als kleines Kind habe ich die Trickfilmserie "Es war einmal das Leben" geliebt, in der wir den Körper und seine einzelnen Bestandteile und Akteure als Figuren in einer Art Roadmovie kennenlernen, das uns durch uns selbst führt. "Immun" verfolgt ein ähnliches Prinzip.

Nach und nach lernen wir die einzelnen Zelltypen kennen, die umgangssprachlich meist als "weiße Blutkörperchen" zusammengefasst werden und erfahren, wie sie zusammenspielen, etwa, wenn wir bei einem Waldspaziergang auf einen rostigen Nagel treten und gefährliche Bakterien durch die Wunde in unseren Körper gelangen. Wozu ist eine Entzündung eigentlich gut? Und wer ist am Verteidigungskampf beteiligt? Was sind Fresszellen und was Neutrophile? Wozu braucht es die Informationen sammelnden dendritischen Zellen? Nach und nach betreten immer neue Akteure die Bühne dieses Actionfilms namens Immunabwehr.

Das Bild zeigt in Vergrößerung einen kleinen Teilabschnitt der menschlichen Haut und des darunterliegenden Gewebes mit den bei einer Verletzung ablaufenden Reaktionen.
Praktische Infografiken fassen die wichtigsten Inhalte zusammen: Warum schwillt bei einer Entzündung eine Stelle des Körpers an? Bildrechte: Ullstein Verlag

Der Gründer und Chefautor von "kurzgesagt"

Phillipp Dettmer hat den Youtube-Kanal "kurzgesagt" gegründet und ist dort immer noch der Chefautor. Wer sich für Wissenschaft interessiert und bei Youtube nach Inhalten sucht, wird sicher schon über die Animationsfilme gestolpert sein. Die englischsprachige Version kommt auf mittlerweile 16,6 Millionen Abonnenten, die deutsche, vom öffentlich-rechtlichen Angebot "funk" finanzierte Ausgabe auf über 1,5 Millionen. Wer die Videos schaut, versteht den durchschlagenden Erfolg des Formats schnell: Eine liebenswürdige Aufmachung trifft auf die akkurate Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse, und zwar in einer Detailtiefe, bei der selbst Experten auf einem Feld immer wieder etwas Neues lernen können.

Cover Immun
Bildrechte: Ullstein Verlag

Die Daten zum Buch Philipp Dettmer: Immun. Alles über das faszinierende System, das uns am Leben hält. Ullstein Verlag 2021, 432 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-86493-175-8

Ein komplexes System, der Reihe nach nachvollziehbar erklärt

Der wichtigste Trick von "Immun" besteht darin, dass Dettmer eine strukturierende Handlung gefunden hat, die uns die Einzelteile des Immunsystems Stück für Stück der Reihe nach vorstellt, sodass wir miterleben können, wie sie aufeinander aufbauen und Bezug aufeinander nehmen. So werden wir als Leser in die Lage versetzt, die immer komplexeren Vorgänge gut zu verstehen und mitzukommen. Das Immunsystem wird für Laien auf diese Weise nachvollziehbar.

Das Bild zeigt die Größenverhältnisse verschiedener Viren und Bakterien im Verhältnis zu einem roten Blutkörperchen.
Größenverhältnisse im Immunsystem: Hätten Sie geahnt, wie klein ein Coronavirus im Vergleich zu einer Immunzelle ist? Bildrechte: Ullstein Verlag

Was bleibt hängen?

Fast alles. Ich verstehe jetzt besser, wie Kniffe und Tricks von Bakterien und Viren funktionieren und was unser Körper dagegen tut. Was es mit Zytokinen und Interferonen auf sich hat, wozu T-Zellen gut sind und was B-Zellen können. Hätten Sie gewusst, dass wir tief in uns schon lange vor der Pandemie die passenden Abwehrzellen gegen Sars-Coronavirus-2 hatten? Und dass es bei der Impfung vor allem darum ging, diese Zellen zu vermehren? Ich nicht.

Es gab tatsächlich keine Kapitel, bei denen ich nichts gelernt hätte.

Clemens Haug

"Immun" könnte vielleicht zum wichtigsten Buch der Pandemie werden, weil es Laien in die Lage versetzt, nachzuvollziehen, was in unserem Körper bei Impfung und Infektion passiert. Es macht uns kompetent, zu verstehen, wie die Medizin uns sieht und wie sie versucht, uns zu helfen.

Ein Pathogen wird eliminiert. Eine Fresszelle verleibt sich das krankmachende Objekt ein und zersetzt es mit Hilfe von Säure.
Wie frisst eine Fresszelle eigentlich ein Bakterium oder ein Virus (also krankmachende Fremdkörper, Pathogene) auf? Und warum wird sie dabei selbst nicht beschädigt? Bildrechte: Ullstein Verlag
Autorenfoto von Clemens Haug
Bildrechte: Tobias Thiergen/MDR

Der Rezensent Clemens Haug ist Online- und Hörfunkautor mit Schwerpunkt Astronomie, seit diesem Jahr auch Covid-19. Recherchiert gerne in die Tiefe und betrachtet Themen aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven.

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