Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung
Nur eine Impfung gegen alle Grippeviren? Ein neuer Impfstoff könnte es möglich machen. Bildrechte: imago images / Laci Perenyi

Erfolgreiche Phase I-StudieWeiterer Schritt zum universellen Grippeimpfstoff

08. Dezember 2020, 10:43 Uhr

Grippeviren sind wahre Verwandlungskünstler: Jedes Jahr sind es leicht veränderte Viren, die eine Grippesaison bestimmen. Deshalb muss auch die Impfung jedes Jahr neu angepasst und gespritzt werden. Einen universellen Impfstoff, der einmal verabreicht eine längere Zeit anhält, gibt es nicht. Doch Forschende sind ihm auf der Spur: Sie haben die erste Phase einer klinischen Studie mit einem Impfstoff beendet, der für alle Erregerstämme funktionieren soll – und zwar mit Erfolg!

Grippevirus ist nicht gleich Grippevirus: Es zirkulieren etwa 20 verschiedene Influenza-Klassen auf der Erde, von denen vier den Menschen krank machen können. Und diese vier Viren-Gruppen enthalten jeweils zahllose Viren, die sich teils nur marginal voneinander entscheiden – Ergebnisse von Mutationen. Und diese winzigen Unterschiede machen einen erheblich größeren Unterschied für unseren Körper: Unser Immunsystem kann das leicht veränderte Virus nicht mehr bekämpfen, wir werden krank.

Jedes Jahr ein neuer Impfstoff

Aus diesem Grund muss es auch jedes Jahr einen neuen Grippeimpfstoff geben. Denn auch der wirkt nur gezielt gegen ein bestimmtes Virus. Sobald es sich minimal verändert, bleibt die Wirkung aus. Eine Expertenkommission der Weltgesundheitsorganisation schätzt jedes Jahr ein, welche Virenstämme die jeweilige Grippesaison wohl dominieren werden und danach richtet sich die Entwicklung des Grippeimpfstoffs. Irren die Fachleute sich, kann es sein, dass der Impfstoff sogar beinahe wirkungslos sein könnte.

Aber warum gibt es keinen universellen Impfstoff wie bei anderen Krankheiten? Um das zu verstehen, muss man wissen, wie Influenza-Viren aufgebaut sind. Als einen Ball, auf dem lauter Brokkoli stecken, beschreibt der Wissenschaftsjournalist Joachim Budde in einem Deutschlandfunk-Beitrag über die universelle Grippeimpfung das Aussehen des Virus und treffender könnte ein Vergleich kaum sein. Der Brokkoli ist eigentlich ein Eiweiß und wird als Hämagglutinin bezeichnet. Die meisten Grippe-Impfstoffe animieren das Immunsystem dazu, den Kopf anzugreifen, damit es die Viren daran erkennt und zerstört. Doch genau im Brokkoli-Kopf verändern sich die Viren: Da bricht mal ein kleines Röschen raus, ein neues wächst dazu. Wesentlich stabiler dagegen ist der etwas versteckte Halsabschnitt des Virus – also quasi der Stiel des Brokkoli.

Ein Brokkoli und ein Influenzavirus haben mehr gemeinsam, als man so denkt. Bildrechte: Colourbox.de

Der Angriff auf den Hals

Nach jahrzehntelanger Forschung hat das Team um die Virologen Florian Krammer und Peter Palese von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York herausgefunden, wie sie das Immunsystem dazu bringen können, gegen diesen Hals des Proteins vorzugehen. Denn der ist bei den Grippe-Stämmen sehr ähnlich, aber unserem Immunsystem vor allem bei jüngeren Menschen ziemlich egal. Das Forschungsteam hat jedoch bei alten Menschen Antikörper gefunden, die den Hals attackieren.

Die Forschenden wollten das Immunsystem also gewissermaßen darauf trainieren, den Hals in den Fokus zu nehmen. Dafür haben sie eine Technologie entwickelt, die sie "reverse genetics" nennen – also in etwa Umkehrgenetik, um Viren im Labor nachzubauen. So konnten sie vor etwa zehn Jahren das Grippevirus der Spanischen Grippe von 1918 nachbauen. Auf diesem Virus beruht nun auch der Universal-Impfstoff.

Das Team hat vereinfacht gesagt eine Hämagglutinin-Chimäre gebaut: Sie haben also dem Hals einfach verschiedene Köpfe von Vogelgrippestämmen aufgesetzt und dem Immunsystem von Versuchspersonen der Reihe nach gezeigt – zum Beispiel etwa den Hals von Hämagglutinin Variante 1 (H1) mit dem Kopf von H8. Das Immunsystem habe den H1-Hals in der Regel schon gesehen, Antikörper dagegen seien aber selten, so die Forschenden. Wenn man nun aber das chimäre Hämagglutinin mit dem eher exotischen H8-Kopf verabreicht, erinnert sich das Immunsystem an den H1-Hals und regiert stärker. Das könne dann mit einem Konstrukt aus H1-Hals und anderem Kopf wiederholt werden, um den Effekt zu verstärken.

Studie zeigt breite und anhaltende Immunität

Nachdem diese Theorie sich in der Praxis an Tiermodellen als wirksam herausgestellt hatte, war das Team in eine klinische Phase I-Studie gestartet. Das Ziel war ein sogenannter "proof of concept" – also sozusagen der Beweis, dass es auch im Menschen funktioniert. Und genau das konnten die Forschenden nun auch erfolgreich nachweisen. Bei der Behandlung mit dem chimären Protein konnten sie einen Anstieg der Antikörper gegen den Hals beobachten – so deutlich, dass Virologe Krammer schon bei der Analyse von ersten Zwischenergebnissen schlussfolgern konnte:

Der Impfstoff rief eine breite Antikörper-Antwort hervor, und kreuzreagierte nicht nur mit den derzeit zirkulierenden humanen Influenza-Viren, sondern auch mit Influenza-Subtypen von Vögeln und Fledermäusen.

Prof. Florian Krammer, Icahn School of Medicine at Mount Sinai

Was wir aus anderen Pandemien lernen könnenDie neue Welt-(Un)-Ordnung

In der randomisierten und Placebo-kontrollierten klinischen Phase I-Studie haben die Forschenden ihre Impfstoffkandidaten jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 39 Jahren verabreicht. Sie wurden in fünf Gruppen unterteilt und erhielten ihre Impfungen im Abstand von drei Monaten. Das Ergebnis: Die Impfung habe sich als sicher erwiesen und zu einer "breiten, starken, dauerhaften und funktionellen Immunantwort" gegen den Stiel des Hämagglutinins geführt.

Die Ergebnisse legen nahe, dass chimäre Hämagglutinine als universelle Impfstoffe entwickelt werden können, die weitgehend vor Influenzaviren schützen.

Auszug aus der Studie

Die Impfung erwies sich als sicher und führte zu einer breiten, starken, dauerhaften und funktionellen Immunantwort gegen den konservierten, immunsubdominanten Stiel des Hämagglutinins. Die Untersuchung ist im Fachmagazin Nature publiziert worden.

Das Forschungsteam stellt fest, dass der Antikörper-Spiegel über Monate auf einem konstant hohen Level geblieben ist. Es bleibe jedoch abzuwarten, ob der durch Impfung ausgelöste HA-Stiel-Antikörper genauso schützt, wie die durch eine natürliche Infektion ausgelösten Antikörper, heißt es weiter. Und dennoch schlussfolgert das Team zusammenfassend: Ein Impfstoff aus chimärem Hämagglutinin "kann den Schutz gegen alle saisonalen, zoonotischen und neu auftretenden pandemischen Influenzaviren ermöglichen." Doch bis so ein universeller Grippeimpfstoff auf den Markt kommen kann, braucht es noch einige Jahre weiterer Forschung.

(kie)

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen