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Polizisten kontrollieren Jugendliche im Freien - solche Bilder könnten bei einer Ausgangssperre im Frühsommer bald alltäglich werden. (Archivbild) Bildrechte: IMAGO / Future Image

Dritte Covid-WelleHelfen nächtliche Ausgangssperren gegen Infektionen?

15. April 2021, 15:34 Uhr

Können nächtliche Ausgangssperren dabei helfen, die Zahl der neuen Corona-Infektionen wieder zu reduzieren? Wissenschaftler sind sich uneins: Während Epidemiologen Vorteile sehen, warnen Aerosolforscher sogar davor.

Kann eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 Uhr am Abend und 5 Uhr in der Frühe dabei helfen, neue Covid-19-Infektionen zu vermeiden? Befürworter glauben, dass eine solche Regel private Treffen am Abend verhindert und so zur allgemeinen Reduktion der Kontakte beiträgt. Kritiker wiederum befürchten, dass sich Menschen trotz Ausgangssperre sehen wollen, dann aber in Innenräume ausweichen, wo die Begegnungen nicht kontrolliert werden können. In Räumen aber sei die Ansteckungsgefahr viel höher als im Freien, argumentiert etwa die Gesellschaft für Aerosolforschung in einem offenen Brief an die Politik.

Modellierungsstudien: Leichter Effekt durch Ausgangssperren

Befürworter der Ausgangssperren berufen sich unter anderem auf eine Studie von Forschern der Uni Oxford, die mit Hilfe von Modellen versucht hat den Effekt einzelner Maßnahmen zur Reduktion des Ansteckungsrisikos zu berechnen. Das Ergebnis von nächtlichen Ausgangssperren, auf Englisch "Stay-at-Home-Order", sei den Forschern zufolge aber nur ein kleiner, zusätzlicher Effekt. Viel wichtiger seien Schließungen von Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten sowie ein Verbot von Veranstaltungen mit mehr als zehn Teilnehmern.

Eine weitere, etwas jüngere Modellierungsstudie der gleichen Forschergruppe (die aber noch nicht von unabhängigen Prüfern begutachtet wurde), sieht einen etwas größeren Effekt der nächtlichen Ausgangssperren und umgekehrt geringere Effekte von Schulschließungen. Aber auch hier kommt vor allem einer Beschränkung privater Versammlungen eine Schlüsselrolle zu.

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90 Prozent aller Ansteckungen in geschlossenen Räumen

Grundsätzlich haben alle Modellierungsstudien aber das Problem, dass sich in der Praxis beobachtete Reduktionen des Übertragungsgeschehens nicht eins zu eins an einzelne Maßnahmen koppeln lassen. Welche Wirkung welcher Maßnahme zugeschrieben wird, müssen die Forscher daher meistens abschätzen.

Umgekehrt haben verschiedene Forscher versucht, die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Übertragung im Freien abzuschätzen. Hier stehen die Experten aber vor dem Problem, dass sich der genaue Zeitpunkt der Ansteckung nicht exakt bestimmen lässt und sich dadurch nicht mit Sicherheit sagen lässt, ob die Infektion drinnen oder draußen stattgefunden hat. Die Regierung Irlands griff daher nach einer Anfrage der Irish Times auf den Kontext der Ansteckung zurück und definierte "Baustellen" oder "Outdoot-Sport" als Freiluft-Umgebung. Ergebnis: 99,9 Prozent aller Ansteckungen seien auf Begegnungen in geschlossenen Räumen zurückzuführen.

Eine Metastudie von Tommaso Celeste Bulfone und Kollegen von der Universität Berkeley in Kalifornien kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich weniger als 10 Prozent aller Ansteckungen auf Begegnungen unter freiem Himmel zurückführen lassen. Wenn es dazu kommt, dann offenbar, weil Menschen sich eng miteinander unterhalten, ohne dabei eine Maske zu tragen.

Verbote können nicht lange durchgehalten werden

Aerosolforscher Gerhard Scheuch glaubt im Gespräch mit MDR AKTUELL nicht, dass Verbote privater Treffen lange durchzuhalten sind. Die Menschen fänden Wege, die Beschränkungen zu umgehen und dann träfen sie sich zur Not doch in geschlossenen Räumen. Das sei kontraproduktiv. "Die Anzahl der Personen, die sich gemeinsam in Innenräumen aufhalten muss so niedrig sein wie möglich", sagt er.

Mit einer Verdopplung der Personen in Räumen steigt das Ansteckungsrisiko um den Faktor vier. Auch die Zeit, die Menschen gemeinsam in Innenräumen verbringen, sollte man möglichst verkürzen. Der dritte Punkt: Man muss in Innenräumen sehr viel lüften. Büros und Räume, in denen viele Leute zusammen wohnen, sollten mobile Raumluftfilter haben. Damit kann man rund 90 Prozent der Viren aus der Raumluft herausfiltern.

Dr. Gerhard Scheuch, Aerosolforscher

Wirksamer als nächtliche Ausgangssperren könnten dagegen konsequente Testpflichten sein, wie das Beispiel Slowakei zeigt. Hier konnte die Zahl der Neuinfektionen durch wöchentliche Antigentests bei einem Großteil der Bevölkerung seit Januar konstant gesenkt werden, trotz hochansteckender neuer Coronamutanten.

Quellen

(ens)

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