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Genanalyse im Labor am Uniklinikum Jena. Bildrechte: Michael Szabó/Universitätsklinikum Jena

Covid-19Russland importierte Corona aus Europa – nicht aus China

28. Januar 2021, 15:28 Uhr

Genetische Analysen von Coronaviren werden immer wichtiger, nicht nur, um gefährliche Mutationen aufzuspüren, sondern auch, um die Infektionswege in der Pandemie zu verfolgen. Neue Erkenntnisse aus Jena und Russland.

von Clemens Haug

Die gute Nachricht lautet: Bislang sind weder die britische Mutante B 1.1.7 noch der gefährliche südafrikanische Stamm B.1.351 in Thüringen aufgetaucht. Die schlechte: Irgendwann werden diese noch infektiöseren Coronaviren auch Im Freistaat auftauchen, davon geht Christian Brandt aus. Der Bioinformatiker vom Institut für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene an der Uniklinik in Jena sequenziert mit seinen Kolleginnen und Kollegen das Erbgut von Sars-CoV-2, das aus Proben aus Thüringen stammt, und vergleicht es mit rund 300.000 Genomsequenzen, die weltweit inzwischen angefertigt wurden.

Neue Verordnung verbessert Überwachung von Virusmutationen in Deutschland

Als im Herbst die neuen Mutationen in England festgestellt wurden, merkten die Verantwortlichen hierzulande: In Deutschland werden viel zu wenig Viren sequenziert. Deshalb wusste niemand, ob die neuen Virusvarianten schon zirkulierten oder nicht. Dieses Problem soll die neue Coronavirus-Surveillance-Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums beheben, die seit 19. Januar gilt. Jetzt erhalten Labore zusätzliches Geld für das teure Sequenzierverfahren. Davon profitieren auch die Forscher in Jena, die ihre Daten unter anderem dem Robert Koch-Institut zur Verfügung stellen und so zur stärkeren Überwachung der zirkulierenden Virusvarianten in Deutschland beitragen.

Das Sars-Coronavirus-2 ist ein sogenanntes RNA-Virus. Seine RNA-Erbinformation besteht im Gegensatz zur DNA beim Menschen nur aus einem Strang. Dadurch ist der Kopiervorgang bei der Virusvermehrung anfälliger für zufällige Veränderungen. Weil die Sars-CoV-2 Erbinformation im Vergleich mit anderen RNA-Viren sehr lang sind, können viele solcher Zufallsveränderungen, auch Mutationen genannt, pro Jahr entstehen.

Etwa 23 solcher zufälligen Mutationen überleben pro Jahr. Die übrigen nehmen dem Virus seine Überlebensfähigkeit und sortieren sich so selbst aus. "Das Virus verändert sich, wie es statistisch zu erwarten ist: Es mutiert fröhlich vor sich hin", sagt Bioinformatiker Christian Brandt. Acht Hauptlinien von Sars-CoV-2 sind aktuell in Deutschland unterwegs, vier davon konnten Forscher aktuell in den Proben aus Thüringen identifizieren. Nicht alle Veränderungen machen das Virus gefährlicher. Aber je mehr Menschen geimpft sind, desto eher werden solche Virusmutationen aus der genetischen Konkurrenz herausgefiltert, die der menschlichen Immunabwehr ausweichen können. Auch deshalb ist eine konstante Überwachung wichtig.

SARS-CoV-2-Mutationsbaum der untersuchten Proben: Wuhan-Variante im Ursprung, die Kreise zählen die Anzahl der Mutationen. Je weiter außen, desto stärker hat sich das Virus gegenüber seiner Ursprungsvariante verändert. Die Mutanten aus Großbritannien, Südafrika und Brasilien liegen jeweils ganz außen. Rot markiert sind die Proben aus Thüringen. Bildrechte: CaSe group, Universitätsklinikum Jena

Corona kam auf 67 verschiedenen Wegen nach Russland

Forscher in Russland wiederum haben in einer neuen Studie durch genetische Sequenzierung nachvollzogen, dass das Virus insgesamt 67 Mal unabhängig voneinander in das Land gekommen ist. Die meisten Einschleppungen seien zwischen Ende Februar und Anfang März aus anderen europäischen Ländern gekommen, schreiben die Wissenschaftler um Georgii Bazykin vom Skoltech-Institut in Moskau im Fachblatt "nature communications".

Für die Auswertung sind Proben aus 25 russischen Regionen zwischen Anfang März und Ende April gesammelt worden. Die genetische Signatur der ursprünglichen chinesischen Variante sei nur in zwei Prozent der Fälle entdeckt worden. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Grund dafür ist, dass China zu diesem Zeitpunkt seine Grenzen bereits geschlossen hatte. In Russland zirkulieren inzwischen neun Stämme, die nur dort vorkommen.

Genomanalysen verbessert Epidemiologie

Für die Forscher ist die Katastrophe der Pandemie eine gute Gelegenheit, neue Methoden der Epidemiologie zu entwickeln. Über die genetische Analyse des Viren-Erbguts ergebe sich eine objektive Möglichkeit, die Verbreitungswege nachzuvollziehen, sagt Vladimir Shchur, Leiter des Internationalen Labors für statistische und computergestützte Genomik in Moskau. "Wir erhalten Daten, einschließlich genomischer Daten, fast in Echtzeit. So lernen wir viel über Epidemien im Allgemeinen, was uns helfen wird, sie in Zukunft vorherzusagen und zu kontrollieren", glaubt er.

Bei ihren Analysen entdeckten die Wissenschaftler weitere Phänomene. So zeigte sich, dass ein Ausbruch von Corona in einem Krankenhaus in St. Petersburg tatsächlich eigentlich aus drei Ausbrüchen bestand. Die Analyse einiger dutzend Genome zeigte, dass das Virus zur gleichen Zeit etwa drei Mal unabhängig in die Klinik gekommen war. Außerdem zeigte sich, dass in den sozialen Medien kursierende Behauptungen darüber, Corona sei schon sehr viel eher nach Russland gekommen, falsch waren. Im Gegenteil: Mit den ersten Fällen Ende März habe die Pandemie Russland eher spät erfasst.

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