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Ursache Covid-19-PandemieEntfesselt: Die Corona-Pandemie als Preis für die Ausbeutung der Natur

21. März 2021, 05:00 Uhr

Die Corona-Pandemie ist auch der Preis für die Ausbeutung der Natur. Wird sie zu sehr gestresst, sinkt ihre Widerstandskraft und steigt das Risiko für Zoonosen. Massentierhaltung, die Zerstörung der Wälder, Wildtierhandel und die weltweite Urbanisierung fördern das Risiko der Übertragung von Keimen zwischen Tieren und Menschen – mit bislang nicht absehbaren Folgen.

von Peter Kaiser und Katrin Tominski

Wie auch immer das Covid-19-Virus in die Welt gelangte, als Wildtierübertragung auf einem chinesischen Tiermarkt oder als Laborunfall: Die Pandemie zeigt, dass die Zerstörung der natürlichen Lebensräume vorangeschritten ist. Die bedrohten Ökosysteme reagieren sichtbar. Wenn Keime von Tieren auf Menschen überspringen, zeugt das von Stress für die Natur. Urbanisierung und Massentierhaltung gelten als große Einflussfaktoren. Dieses verstärkte Risiko für Zoonosen – also die Übertragung von Erregern zwischen Menschen und Tier – gibt es nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie. Seit Jahren warnen Experten. Die SARS-Pandemie begann schon vor 20 Jahren im Jahr 2002. Das aktuelle Virus ist auch der Preis für unsere Ausbeutung der natürlichen Lebensräume.

Virus verschont auch die Weiten Kanadas nicht

"Mutter, warum verletzt Du mich? Ich habe nur Liebe für Dich." Die nordamerikanischen Ureinwohner in Kanada, die First Nation, flehen Mutter Erde in einem Stammestreffen an. Die Zerstörung der Natur, in der Anrufung von Mutter Erde lyrisch verdichtet, bewegt die First Nation tief. Auch Kanada mit seinen grenzenlosen Wäldern, Flüssen und Seen ist von der Corona-Pandemie nicht verschont worden. Obwohl hier nur vier Menschen auf einem Quadratkilometer leben – in Deutschland sind es 233 – waren bislang über 900.000 Kanadier infiziert. Mehr als 22.000 Menschen starben.

Multidimensionale Krise

"Wir haben es mit einer multidimensionalen Krise des Planeten zu tun. Klimawandel, Artensterben, Umweltverschmutzung – und Covid-19 ist auch ein Symptom dieser Krise", erklärt Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit am Charité - Uniklinikum Berlin. "Es sind ja zum Teil ähnliche Faktoren, die sowohl zum Klimawandel, Artensterben, als auch zum Pandemierisiko beitragen: Die Zerstörung von Wäldern für Landwirtschaft und Viehzucht, die Massentierhaltung, und das Jagen und Handeln mit Wildtieren."

Nach einem aktuellen Bericht der WHO ist es wahrscheinlich, dass das Corona-Virus in Fledermäusen entstanden ist. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Krankheiten wie Ebola, SARS, Covid-19 

Sabine Gabrysch leitet neben ihrer Forschung an der Charité auch die Abteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Alle diese Faktoren erhöhten den Kontakt zwischen Wildtieren, Haustieren und Menschen und ihren Krankheitserregern. Je mehr Kontakt, desto mehr steige auch das Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern zwischen Tieren und Menschen. "Das befördert die Entstehung neuer Infektionserkrankungen wie HIV, Ebola, SARS, und jetzt eben Covid-19", erklärt Gabrysch.

Mutationen als Prinzipien der Evolution

Johannes Vogel, Botaniker und Generaldirektor des Naturkundemuseum Berlin verweist auf die Prinzipien der Evolution und den Zufall der Mutationen. "Viren sind Dinge, die ständig Mutationen in ihrem Erbgut haben. Das heißt, der Virus verändert sich ständig im Wirtsorganismus, zum Beispiel einer Fledermaus", erklärt Vogel. Über das System Zufall könne es dabei zu Mutationen kommen, die in einem neuen Wirt – beispielsweise dem Menschen – eine Anpassungsfähigkeit bedeuteten. "Die Essenz ist hier, es herrscht das Prinzip Zufall, es herrschen hier die Prinzipien der Evolution, dadurch können Artgrenzen überschritten werden."

Gebirge und Meere behinderten bislang Artengrenzen überspringende Viren

Kanada gilt als ursprünglich, wildes und relativ dünn besiedeltes Land. Trotzdem hat es das Coronavirus bis dorthin geschafft und sich verbreitet. Bildrechte: WDR/Brian Leith Productions/Virginia Moore

Gebirge, Meere, Schluchten oder andere Landformen behinderten bislang sogenannte Artgrenzen überspringende Viren. Werden jedoch immer mehr Länder überflutet, brennen immer mehr Wälder, schmelzen zunehmend die Gletscher ab und erwärmen sich die Ozeane, gerät das Naturgefüge aus den Fugen. Dann braucht es nur noch einen Wildtiermarkt. "Wenn viele dieser Tierarten mit eigenen Viren und deren Potential auf andere Arten überzuspringen, an einem Ort zusammengebracht werden, wie zum Beispiel auf einem Wildtiermarkt, dann erhöht man dadurch die Chance, dass es zu den unglücklichen Begegnungen zwischen ihnen und neuen Wirten, zum Beispiel dem Menschen, kommt", erläutert Vogel vom Naturkundemuseum Berlin.

Eine Schleichkatze führte zur ersten SARS-Pandemie

Die Schleichkatzen-Art "Larvenroller" gilt als Ursprung der ersten SARS-Pandemie 2002. Bildrechte: picture-alliance / dpa/dpaweb | John_Footy

Dies zeigt eindrucksvoll der Beginn der ersten SARS-Pandemie im Jahr 2002. Eine nachtaktive Schleichkatze mit dem Namen Larvenroller gilt als Ursprung der ersten weltweiten SARS-Infektionswelle. Erreger der Katze, die in China gejagt wird und als Delikatesse dient, sind laut WHO auf den Menschen übergesprungen. Fast 20 Jahre später ist es vermutlich der Kontakt zu Fledermäusen, der die Corona-Pandemie auslöste.

Die tiefe Krise des Planeten hat letztendlich damit zu tun, wie wir Menschen mit der Natur umgehen, nämlich extrem ausbeuterisch. Der UN-Generalsekretär Guterres hat es unseren 'Krieg gegen die Natur' genannt.

Sabine Gabrysch

Corona-Pandemie als Symptom für Krise des Planeten

Für die Ärztin und Epidemiologin Sabine Gabrysch liegt die Ursache für die Corona-Pandemie deutlich in der Ausbeutung der Natur. "Wenn wir verstehen, dass die Corona-Pandemie ein Symptom für eine größere Krise des Planeten ist, dann wird klar, dass wir nicht nur das akute Problem lösen müssen", erklärt Gabrysch. Impfungen seien natürlich 'richtig und wichtig'. Doch wir müssen eben auch die zugrundeliegenden Problemursachen, sozusagen die Grunderkrankungen behandeln – also die Ausbeutung der Natur.

Krise als Weckruf

Forscherin Gabrysch plädierte, die Krise als Weckruf zu sehen. "Um unsere Haltung zu ändern, und um unsere Prioritäten neu zu setzen, und uns um die Erde zu kümmern. Und endlich zu verstehen, dass wir ein Teil dieses lebendigen, einmaligen Planeten sind, den wir gerade aus dem Gleichgewicht bringen."

Gesellschaft, Wirtschaft, Lebensstile grundlegend umbauen

Die Epidemiologin Gabrysch fordert ein umfassendes Gesundheitskonzept für den Planeten. "Die Milliarden an Euro Corona-Aufbauhilfe sollten wir nutzen, um nicht schnellstmöglich zum zerstörerischen Status-Quo zu gelangen, sondern um unsere Gesellschaften, Wirtschaften, Lebensstile grundlegend umzubauen", sagte Gabrysch MDR WISSEN. "Wir brauchen die Finanzierung einer Energiewende, einer Verkehrswende und einer Landwende, um zu einer gesünderen, gerechteren und nachhaltigeren Welt zu kommen."

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