Immunsystem und Corona Darm ohne Charme: Vertreibt Corona gute Mikroorganismen?

22. Januar 2021, 10:56 Uhr

Mit Billionen Mikroorganismen gilt der Darm als Zentrum des Immunsystems, in dem sich Gesundheit oder Krankheit entscheidet. Doch die oft schon angegriffene Darmflora kann durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene stete Reduzierung von Keimen weiter zerstört werden. Damit hat die Pandemie das Potenzial, die weltweite menschliche Gesundheit langfristig zu  beeinflussen, erklären Forschende einer US-Studie.

Der Darm ist mit einer Oberfläche vom Ausmaß zweier Tennisplätze das größte Organ des Menschen, dessen Einfluss weit über die Verdauung hinausreicht. Er verfügt über mehr Abwehrzellen als Haut und Atemwege zusammen. Ist der Darm geschwächt, läuft auch das Immunsystem – übertragen formuliert – mit angezogener Handbremse. Umgekehrt führt eine Abwehrschwäche oft zu Verdauungsproblemen. Die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die zum Großteil im Darm sitzen, nennt sich "Mikrobiom". Jeder Mensch verfügt also über sein ganz persönliches eigenes Ökosystem an Mikroorganismen. Wird dies gestört – wie in der Natur auch – kann das empfindliche Folgen haben und zu vielen Krankheiten führen.

Corona-Pandemie stört Mikrobiom mit weltweiten Folgen

Wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines internationalen Verbundes unter Federführung der University of Texas und der kanadischen University of British Columbia herausfanden, kann die Corona-Pandemie das menschliche Ökosystem der Mikroorganismen empfindlich und nachhaltig beeinträchtigen. "Die Covid-19-Pandemie hat das Potenzial, das menschliche Mikrobiom in infizierten und nicht infizierten Individuen zu beeinflussen", schreiben die Forschenden in einer Studie. "Das kann langfristig einen erheblichen Einfluss auf die menschliche Gesundheit haben."

Vielfalt bereits durch Antibiotika geschädigt

Den Wissenschaftlern zufolge habe sich die Vielfalt an Mikroorganismen in der Darmflora und auch den anderen Körperregionen ohnehin durch Antibiotika, Hygiene und städtisches Leben stark zurückentwickelt. Zudem seien die Hochrisikogruppen mit den Vorerkrankungen Diabetes und Fettleibigkeit ebenfalls mit "Mikrobiom-Anomalien verbunden". Die Pandemie verschärfe diese ungünstige Entwicklung.

Die derzeitigen Maßnahmen und Praktiken zur Pandemiebekämpfung werden weltweit weitreichende, ungleichmäßige und potenziell langfristige Auswirkungen auf das menschliche Mikrobiom haben.

B. Brett Finlay & Kollegen University of British Columbia, Vancouver, Canada

Sowohl physische Trennung und Reisebarrieren als auch die strengen Hygienemaßnahmen mit ständiger Desinfektion und Schutzausrüstung könnten weiter zum Verlust von Mikroorganismen und damit zu einer geringeren Vielfalt des für das Immunsystem so wichtigen Mikrobioms führen. Die Forschenden gehen davon aus, dass die Veränderungen weltweit sehr unterschiedlich ausfallen, da die Praktiken sehr verschieden sind.

Wechselspiel zwischen Pandemie und Mikrobiom wichtig für Weltgesundheit

Vor dem Hintergrund des Zusammenspiels zwischen Pandemie und Mikrobiom müssten aktuelle und künftige Herausforderung intensiv diskutiert werden, forderten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Einerseits beeinflusst das durch soziales Leben und Alltag geformte Mikrobiom die Anfälligkeit für eine Corona-Erkrankung. Umgekehrt wirken sich Erkrankungen und Corona-Schutzmaßnahmen auf das Mikrobiom aus. "Dieses Wissen kann sich als Schlüssel für die Prävention und den Umgang mit der Corona-Pandemie erweisen, sowie langfristige biologische und soziale Folgen der Pandemie abfedern."

Epidemische Viruspartikel, Konzeptgrafik
Viel Desinfektion kann Corona verjagen, beeinträchtigt aber auch unser Ökosystem an Mikroorganismen. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Mikrobiom Das Mikrobiom ist die Gesamtheit aller Mikroorganismen des Menschen, die Haut und vor allem Darm bevölkern. Es gilt als menschliches Ökosystem und ist essentiell für die individuelle Immunabwehr. Eine Schlüsselrolle spielt die Darmflora. Durch die dichte Besetzung der Lebensräume auf der Darmwand durch Mikroorganismen ist kein Platz für krankmachende Erreger. Die "guten" Bakterien verteidigen uns sozusagen gegen die "bösen".

Die Zusammensetzung des menschlichen Mikrobioms ist variabel und wird unter anderem von der Ernährung, der Immunkompetenz und Medikamenten beeinflusst. Störungen können sowohl von inneren als auch von äußeren Faktoren ausgelöst werden. Eine Behandlung mit Antibiotika beispielsweise soll in erster Linie krankmachende Bakterien abtöten, richtet sich aber teilweise auch gegen die vorhandenen "guten" Bakterien. Nach Angaben des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung kann man heute "sogar aufgrund einer Untersuchung der Mikroflora auf den Gesundheitszustand eines Patienten schließen. Mediziner können zwischen einer gesunder und einer gestörten Gemeinschaft von Mikroorganismen im Mund, auf der Haut oder im Genitalbereich unterscheiden und aufgrund dessen Diagnosen stellen". Quelle: HZI

Quelle: MDR/PNAS/HZI/kt

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2 Kommentare

part am 23.01.2021

Das menschliche Immunsystem ist darauf ausgerichtet evolutionär, sich tagtäglich mit neuen Bedrohungen auseinandersetzen zu müssen. Mit einer verstärkten Maskenpflicht fehlt dabei eine Voraussetzung, sich mit den restlichen Erregern, virtuell, bakteriell wie auch fungizid auseinandersetzen zu müssen, denn der Lerneffekt, den unser Immunsystem braucht, kann erlischen mit der Zeit, wenn das alltägliche Eingeprassel von Erregern plötzlich ausbleibt wegen einer Maskenpflicht, die zwar ein Virus ausgrenzen möchte, aber das Lehrsystem unseres Organismus in der Abwehr von Erregern verringert. Bei der spanischen Grippe damals nach den WK I wir zu schnell verschwiegen das Millionen Menschen an Unterernährung starben in Folge von Krieg und Elend. Sowie an den Folgen eines Gesundheitssystems das nicht den Erfordernissen, der damaligen Zeit entsprach. Heute wird versucht dies, als eine Pandemie zurückzuführen mit Ausgrenzung von entscheidenden Ursachen.

Critica am 22.01.2021

Aber erstmal liegt die Betonung auf "kann". Also nicht gleich aufschreien.