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Unter welchen Bedingungen können Restaurants und kleine Läden wieder öffnen? Darüber beraten Wissenschaftler und Politiker. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Jan Huebner

Corona-KriseWege aus dem Shutdown: Wie erreichen wir die Lockerung?

14. April 2020, 16:10 Uhr

Die Corona-Pandemie stellt eine völlig neuartige Situation dar, genau wie die Schließung großer Teile von Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Wege könnten aus der Sicht von Wissenschaftlern aus dem Shutdown führen?

von Rita Kunth

Der Shutdown geht vielen an die Substanz. Viele sagen: jetzt reicht es! Wir haben lange genug verzichtet, das Virus ist unter Kontrolle, es ist überfällig, zum normalen Leben zurückzukehren! Andere fürchten sich vor genau solchen Lockerungen. Sie fürchten: Wenn Schulen wieder geöffnet und die Infektionen wieder ansteigen würden, hätte der Verzicht keinen Sinn gemacht. Was sagen Wissenschaftler zu diesem Zwiespalt?

"Wenn wir jetzt sofort alle Maßnahmen aufgeben, würde die Epidemie wieder aufflammen und die Maßnahmen wären umsonst gewesen. Wir würden uns also um die Früchte der harten Arbeit bringen", sagt der Epidemiologe Markus Scholz aus Leipzig.

Je länger die Epidemie dauert, desto besser werden die Daten für Modellrechnungen

Aber wie kommen wir aus dieser Situation dann am Besten wieder raus? Eine einzige Antwort darauf gibt es nicht. Wissenschaft funktioniert nur im Meinungsstreit. Eine Methode, um Lösungen für den Ausstieg zu erarbeiten sind bio-mathematische Modelle für die Ausbreitung des Virus. Genau damit arbeitet Markus Scholz von der Uni Leipzig. Das ist aber nicht einfach. "Es gibt verschiedene Schwierigkeiten. Zum einen werden die Daten mit einer bestimmten Verzögerung berichtet. Zum anderen gibt es eine Dunkelziffer und für Deutschland ist nicht klar, wie groß die ist."

Das verrückte an dem Problem ist: Die Datenlage wird nur dadurch immer besser, je länger die Epidemie dauert. Dadurch werden Zahlen immer aussagekräftiger: „Neben den Infektionszahlen sind auch Daten verfügbar über Bettenbelegung im Krankenhaus, Krankheitsbeginn, künftig auch Kontakte von Personen. So dass die Modelle also immer mehr leisten können.“

Wirtschaft braucht einen Stufenplan für Lockerungen: Welche Betriebe sind zentral wichtig?

Aber wie lange müssen wir nun warten? Wochen? Monate? Unter dem Shutdown leidet die Wirtschaft, das wirkt sich auf unseren Wohlstand aus und bedroht irgendwann auch das Gesundheitssystem, wenn dort nötige Ausrüstungen und Medikamente ausbleiben. Deshalb fordern Wirtschaftsexperten, mögliche Lockerungen durchzuspielen.

Entsprechende Exit-Szenarien beschäftigen den Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom Dresdener IFO-Institut. "Aus wirtschaftlicher Sicht würde man so herangehen und sagen: sehen wir uns erst mal die Bereich an, wo die Ansteckungsgefahr nicht so groß ist. Also vollautomatisierte Firmen, die kann man sicherlich leicht wieder hochfahren", meint er. Dann seien solche Betriebe an der Reihe, die zentrale Stellen in Produktionsketten einnehmen, also wichtige Komponenten für andere Betriebe liefern. "Im Grunde brauchen wir einen Stufenplan, der einerseits kalkuliert, wie die Ansteckungsgefahr in bestimmten Sektoren oder Regionen ist und andererseits schaut, wie wichtig Bereiche sind für die weitere wirtschaftliche Entwicklung."

Reproduktionsrate des Virus könnte entscheidende Hinweise liefern

Aber wie kann die Epidemie unter Kontrolle gehalten werden, wenn der Shutdown Stück für Stück beendet wird? Diese Antwort verlangt belastbare Fakten und Kriterien. "Die gibt es bislang nicht", sagt der Epidemiologe Scholz. "Aber die Reproduktionsrate ist informativ, also die Zahl weiterer Menschen, die ein Infizierter ansteckt. Wenn sie größer eins ist, breitet sich das Virus aus und wenn sie kleiner eins ist, geht die Epidemie zurück. Anfangs lag R bei 3, jetzt haben wir fast die 1 erreicht, deutschlandweit, in einigen Regionen sogar unterschritten."

Noch ist dieser Wert nicht verlässlich. Aber er könnte den Start von Lockerungen bedeuten. So wie im vorbildhaften Südkorea, wo die Reproduktionsrate der Infektion seit Anfang März bei R = 1 oder kleiner 1 liegt. Ohne Shutdown, aber mit strikten Regeln: Isolation von Infizierten und deren Kontakten, Testen von Schulpersonal, Verkäuferinnen, Krankenschwestern, Ärzten und mit Abstandsregeln und Mundschutzpflicht. Auch in Deutschland ist das alles denkbar.

Lockerungen als großes Experiment

Scholz meint, es laufe wahrscheinlich auf ein Ausprobieren hinaus: "Solange man bei dem Wert R=1 bleibt, kann man weiter lockern. Und wenn man darüber kommt, müsste man die Maßnahmen wieder verschärfen. Es kann sein, dass wir das einfach schrittweise probieren müssen."