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Ausbreitung der CoronavirenAbstandsregel: Zwei Meter können zu wenig sein

19. Mai 2020, 17:06 Uhr

Wir haben gelernt: Anderthalb Meter Abstand halten, besser zwei. Sollte jemand ungeschützt husten, können Corona-Viren aber schon bei einem lauen Lüftchen deutlich weiter fliegen, wie jetzt eine aufwändige Computersimulation zeigt.

Bildrechte: imago images/Photothek (M), MDR

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie war vor allem eines klar: Um Corona verheißungsvoll aus dem Weg gehen zu können, müssen wir vor allem wissen, wie die Viren zu uns gelangen wollen. Und damit haben Vokabeln in die Alltagssprache Einzug gehalten, die für die meisten Menschen bisher wahrscheinlich unbekannt waren: Schmierinfektion und Tröpfcheninfektion. Gegen ersteres hilft Schrubben und Sauberkeit, gegen zweiteres Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung. Und Dank erster Erkenntnisse wissen wir, dass eine Schmierinfektion, z.B. über Türklinken oder Handydisplays, eher unwahrscheinlich ist.

Die SARS-CoV-2-Viren werden über kleinste ausgeschiedene Tröpfchen in der Luft übertragen. Um sich und vor allem auch andere zu schützen, gelten die mittlerweile im kollektiven Gedächtnis verankerten Abstandsregeln: anderthalb bis zwei Meter reichen aus, erst recht an der frischen Luft. Wirklich?

Bildrechte: MDR (Basis: Dimitris Drikakis/Talib Dbouk)

Bei Windstille zumindest. Denn wenn das himmlische Kind ein bisschen doller bläst, trägt es auch die Speicheltröpfchen weiter. Die werden bereits beim Sprechen ausgeschieden, beim Joggen umso weiter geschleudert und natürlich vor allem beim Husten verbreitet.

Reichen zwei Meter überhaupt?

Schon bei einer Windgeschwindigkeit von nur vier Kilometern pro Stunde wandert der Speichel innerhalb von fünf Sekunden fünfeinhalb Meter weit, wie ein Forschungsteam jetzt im Fachblatt Physics of Fluids (Physik der Flüssigkeiten) bekannt gibt. "Die Tröpfchenwolke betrifft sowohl Erwachsene als auch Kinder unterschiedlicher Höhe. Kleinere Erwachsene und Kinder können einem erhöhten Risiko ausgesetzt sein, wenn sie sich in der Bahn der Speicheltröpchen befinden", erklärt Dimitris Drikakis. Das liegt daran, dass sich die Tröpfchenwolke zum Boden hin länglich ausbreitet.

Jedes Tröpfchen wird berechnet

Um herauszufinden, wie die Speicheltröpfchen sich ihren Weg durch die Luft bahnen, haben Drikakis und sein Kollege Talib Dbouk eine umfassende Computersimulation erstellt. Und die klingt nach verdammt viel Rechenarbeit: Für jedes Tröpfchen wurde die Flugbahn berechnet, von einer hustenden Person angefangen bis hin zum Verdampfen. Dabei wurden Faktoren wie Feuchtigkeit, Streuung der Tröpfchen, die Interaktion von Speichel- und Luftmolekülen sowie der Status ihrer Verdampfung berücksichtigt.

Für gerade einmal gut eintausend Speicheltröpfchen musste der Computer 3,7 Millionen Gleichungen lösen. Speichel ist an sich schon eine komplexe Flüssigkeit – die Flugbahn eines "Speichelhaufens" aber von allerlei Umwelteinflüssen abhängig, zu der auch Lufttemperatur und -feuchtigkeit zählen. Die Frage ist auch, wie groß die Tröpfchen sind, wie viele es sind und wie sie untereinander interagieren.

Lieber mehr als zu wenig Abstand

Um noch verlässlichere Ergebnisse zu erzielen, stehen nun Folgeuntersuchungen an, die auch die Bodentemperatur berücksichtigen und die Flugbahn in geschlossenen Räumen. Bedenkt man die gerade in wärmeren Regionen allgegenwärtigen Klimaanlagen, wird hier durch die trockene, kühle Luft eine andere Flugbahn zu beobachten sein. Aber schon jetzt ist es sicher keine schlechte Idee, etwas mehr Abstand zu halten, wenn eine frische Brise weht.

flo


HinweisDie Studie stellt die geltenden Abstandsregeln nicht in Frage, sondern kann dazu dienen, diese je nach Umgebung zu optimieren.

Link zur Studie

Die Studie erschien am 19. Mai 2020 unter dem Titel On coughing and airborne droplet transmission to humans im Fachblatt Physics of Fluids.
DOI: 10.1063/5.0011960