Illustration Thalamus Hirnregion
In der Hirnregion Thalamus kann das Coronavirus langfristige Entzündungen hervorrufen, die möglicherweise viele beobachtete Long Covid-Symptome erklären. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Covid-19 Long Covid: Symptome durch chronische Entzündung des Riechkolbens

08. Juni 2022, 14:24 Uhr

Bei manchen Patienten bleiben nach Infektion mit Sars-CoV-2 mitunter schwere Symptome. US-Forscher haben nun in einer aufwendigen Studie Veränderungen in einer Hirnregion als mögliche Ursache festgestellt.

Seit Beginn der Pandemie gab es allein in Deutschland über 26 Millionen Infektion mit Sars-CoV-2, einige Patienten traf es dabei sogar mehr als einmal. Nicht wenige von ihnen spüren die Folgen weit über das Ende der akuten Ansteckung hinaus. Mehrere hunderttausend Patienten in Deutschland könnten demnach von Long beziehungsweise Post Covid betroffen sein, schätzt Jördis Frommhold, Lungenfachärztin und Chefärztin der Median Klinik Heiligendamm. Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung hat vor kurzem in einem Papier Verbesserungen der Versorgung für diese Patienten gefordert. Zugleich bringen neue Studien weiter Licht ins Dunkel möglicher Ursachen.

Vergleich der mikrobiologischen Folgen von Influenza-A mit Sars-CoV-2

Von Long Covid sprechen die Mediziner, wenn auch mehr als vier Wochen nach einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 Beschwerden bestehen, von Post Covid, wenn diese Symptome länger als drei Monate anhalten. Am häufigsten kommt das sogenannte "Fatigue" vor, eine anhaltende Müdigkeit. Zudem sind oftmals Leistungs- und Merkfähigkeit beeinträchtigt, ebenso wie die Konzentration. Betroffene klagen über "Gehirnnebel" (Brain Fog), Wortfindungsstörungen oder auch Schwäche, Atemnot, Kurzatmigkeit und andauernden Husten.

Über die Ursachen wird weiterhin intensiv geforscht. Eine neue Studie von Medizinern aus New York im Fachmagazin Science Translational Medicine hat nun mit einer aufwendig angelegten Studie versucht, die Auslöser einiger Long Covid-Symptome auf der Ebene kleinster Moleküle und Gene zu finden. Das Team um Benjamin R. tenOever und Justin Frere von der Abteilung für Mikrobiologie der Grossman School of Medicine an der New York University nutzte Goldhamster als Tiermodelle. Eine Gruppe wurde mit Influenza-A-Viren infiziert, die andere mit Sars-CoV-2. Zu verschiedenen Zeitpunkten während und nach der Infektion wurden Versuchstiere getötet und ihr Gewebe umfangreich untersucht.

Corona: Immunsystem bleibt aktiv, obwohl Viren beseitigt sind

Beide Viren attackierten vor allem die Atemwege und vermehrten sich dort auf ähnlich starke Weise. Besonders ist jedoch an Sars-CoV-2, dass das Virus in den befallenen Zellen zunächst die Ausschüttung des Botenstoffs Interferon lahmlegt, der für die Aktivierung des Immunsystems zuständig ist. Dieses System wird dann während der Infektion allerdings von anderen Zellen aktiviert, vom Immunsystem selbst. Dabei werden auch viele Entzündungsmarker in Gang gesetzt, darunter Zytokine und Chemokine wie Interleukin-6.

Dadurch sammeln sich Immunzellen wie Makrophagen und Neutrophile in den Atemwegen. Breitet sich das Virus in dieser Phase weiter aus, kann das zu einer umfassenden Schädigung der Bronchien führen, was vielen beobachteten schweren Verläufen entspricht. Die akute Infektion verlaufe bei Covid-19 oftmals schwerer als bei Influenza, schreiben die Forscher und sie führe öfter zu schweren Schäden an den Lungen und Nieren.

Eine weitere Spezialität von Sars-CoV-2 ist, dass das Virus bei seiner Vermehrung im Vergleich zu Influenza-A mehr doppelsträngige RNA herstellt. Die ist stabiler und regt das Immunsystem deutlich stärker an. Diese Aktivierung hielt dann bei einigen Versuchstieren lange nach dem Zeitpunkt noch an, an dem die Viren eigentlich beseitigt waren. Diese starke Immunreaktion könnte dann laut den Forschern die beobachteten Langzeitschäden erklären.

Sars-CoV-2 reduziert Erregbarkeit des Thalamus – Müdigkeit und Schmerzen folgen

Olfactory Bulb Riechkolben Gehirn
Der Riechkolben gehört zu den von Corona am stärksten betroffenen Bereichen des Gehirns. Bildrechte: imago images/CSP_woodoo

Besonders ausgeprägt war dieses Phänomen im Riechkolben der betroffenen Tiere. Zwar attackiert auch Influenza diese Region und den angrenzenden Streifenkörper, das sogenannte Striatum. Doch bei Covid zeigten die Immunzellen in diesen Hirnregionen mitunter mehr als 31 Tage seit Beginn der Infektion noch eine robuste Tätigkeit, bei der Botenstoffe wie Zytokine und Interferone ausgeschüttet wurden. Zugleich konnten die Forscher hier keine Virusvermehrung mehr feststellen.

Einen großen Unterschied sahen die Forschenden auch im Thalamus, wo Sars-CoV-2 die Erregbarkeit der Nerven im Gegensatz zur Influenza deutlich dämpfte. Der Thalamus ist unter anderem beteiligt an der Steuerung von Emotionen, Motivation, Kognition, Schlaf, Schmerz, Wachsein und motorischer Aktivität. "Eine thalamische Dysfunktion kann auch den neurologischen Erkrankungen zugrunde liegen, die bei Patienten mit Long Covid beobachtet wurden, darunter chronische Schmerzen, Kopfschmerzen, Myalgien, Krampfanfälle, Schlaf- und affektive Störungen", schreiben die Autoren der Studie.

Bislang ist Impfung einziger Schutz vor Long Covid

Mögliche Ursachen für die anhaltende Aktivität des Immunsystems und die damit verbundenen Entzündungen könnte laut den Medizinern sein, dass Trümmer des Virus bestehen bleiben, die die Immunzellen weiter anregen. Eine andere Möglichkeit sei, dass bei der Infektion Schutzbarrieren zerstört würden und nun eigentlich harmlose Bakterien die Hirnregion angreifen und das Immunsystem beschäftigt halten. Hier sind jedoch weitere Forschungen nötig, ebenfalls dazu, ob sich mit Hilfe von Medikamenten wieder ein Gleichgewicht herstellen lässt.

Bislang kann lediglich eine Impfung das Risiko, an Long Covid zu erkranken, etwas reduzieren. Zwar könnte der Schutz zweier Impfungen laut aktuellen Forschungen etwas geringer ausfallen, als bisher angenommen. Mit einem Booster jedoch reduziert sich laut einer englischen Studie das Long Covid-Risiko um 50 Prozent. Israelische Forscher kommen hier sogar auf 66 Prozent weniger Risiko.

Links/Studien

Ein Porträt-Foto von Virologe Alexander Kekulé. 62 min
Bildrechte: MDR/dpa

0 Kommentare