Symbolfoto Omikron-Variante B.1.1.529
Die Omikron-Variante taucht immer häufiger unabhängig von Reisen nach Afrika bei Infizierten in Deutschland und Europa auf. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Christian Ohde

Covid-19 Omikron: Impfstoffe und Genesung schützen nur noch schwach

08. Dezember 2021, 16:08 Uhr

Erste Labortests von Forschern bestätigen Befürchtungen: Die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 kann die Immunität nach Genesung oder Impfung teilweise überwinden. Ohne Impfschutz könnte die Krankheit noch schwerer verlaufen.

Daten aus Südafrika hatten es bereits angedeutet: Die Omikron-Variante des SARS-Coronavirus-2 kann die schützende Immunität nach einer durchgemachten Infektion mindestens teilweise überwinden. Aus dem Vereinigten Königreich (UK) wiederum kamen erste Erkenntnisse, dass das wahrscheinlich auch für die Impfung gilt. Nun präsentieren Forschungsteams erste Labordaten, die die Befürchtung erhärten: Omikron kann die Wirksamkeit schützender Antikörper offenbar um das bis zu 40-fache reduzieren.

Omikron kann Wirksamkeit von Antikörpern nach Impfung auf null Prozent senken

Forscherinnen und Forscher um die Virologin Sandra Ciesek am Universitätsklinikum in Frankfurt am Main veröffentlichten am Mittwochmorgen beim Kurznachrichtendienst Twitter die Ergebnisse ihrer Neutralisationstests, bei dem sie infektiöse Viren der Omikron-Variante mit Serumproben verschiedener Geimpfter konfrontierten und anschließend die Aktivität des Virus untersuchten. Ergebnis: Gegenüber der bereits teilweise immunausweichenden Delta-Variante war die Wirksamkeit von Antikörpern noch einmal um das 37-fache reduziert.

Sechs Monate nach zweiten Impfdosen, egal ob von Biontech, Moderne oder nach der Kreuzimpfung Asatrazeneca und Biontech, sei das Neutralisationsvermögen gegen Omikron auf 0 Prozent reduziert gewesen, schreibt Ciesek auf Twitter. Drei Monate nach einer Boosterimpfung gebe es aber zumindest noch 25 Prozent Neutralisationsaktivität. Außerdem sagten die Daten nichts aus zur Wirksamkeit von T-Zellen gegen das Virus, die entscheidend dafür sind, ob schwere Verläufe verhindert werden können.

Genesung und anschließende Impfung bieten offenbar noch guten Schutz

Zwei weitere Team aus Südafrika sowie Südafrika und Schweden veröffentlichten ähnliche Ergebnisse. Die Forschungsgruppe um Alex Sigal fand, dass die Neutralisationswirkung einer zweifachen Impfung mit Biontech gegen Omikron größtenteils verloren ging. Allerdings waren die Blutproben von Genesenen mit anschließender doppelter Biontech-Impfung noch in der Lage dazu, das Virus auszuschalten. Zudem zeigten weitere Experimente, dass das Virus offenbar nach wie vor den menschlichen ACE-2-Rezeptor nutzt, um in Zellen zu gelangen. Die Mutation verändert also offenbar nicht grundsätzlich, wie das Virus funktioniert.

Die zweite Gruppe um Ben Murell wiederum stellte eine große Varianz bei den Ergebnissen der Neutralisationstests fest. Einige Seren seien noch sehr gut in der Lage zu gewesen, das Virus zu blockieren. Andere dagegen beinahe gar nicht mehr. Murells Gruppe verwendete für die Tests allerdings sogenannte Pseudoviren, also Partikel, die zwar das Spikeprotein der Omikron-Variante besaßen, aber nicht mehr infektiös waren.

Immunologe: Impfungen bleiben sinnvoll, Anpassung der Impfstoffe aber notwendig

In einem Statement kommentierte der deutsche Immunologe Carsten Watzl die neuen Daten.

Die Ergebnisse zeigen ganz klar, dass auch die neutralisierenden Antikörper von Geimpften in der Lage sind, Omikron zu binden und zu neutralisieren. Die Impfungen sind also nicht nutzlos. Aber: Man braucht deutlich höhere Antikörperspiegel, um Omikron noch erfolgreich zu neutralisieren – ungefähr 40-fach mehr.

Professor Carsten Watzl, Immonologe und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)

Watzl rechnet daher für die kommenden Monate mit einem deutlichen Anstieg von sogenannten Durchbruchsinfektionen bei Geimpften. Wie Sandra Ciesek sieht er dringenden Forschungsbedarf in Bezug auf die Frage, ob der Impfschutz gegen eine schwere Erkrankung bei Omikron noch hoch genug sei. "Da dieser Schutz nicht nur auf den Antikörpern beruht, gehe ich aktuell davon aus, dass der Schutz vor schwerer Erkrankung auch bei Omikron noch vergleichsweise hoch ist. Das könnte auch erklären, warum man in Südafrika eher milde Verläufe sieht", so Watzl. Eine Anpassung der Impfstoffe an die neue Variante sei dennoch notwendig.

Der Berliner Virologe Christian Drosten warnte im Podcast beim NDR, dass Menschen ganz ohne Immunschutz durch Impfung oder Genesung wahrscheinlich noch stärker bedroht würden durch Omikron. Eine Virusvariante, die eine Kombination aus effektiver Immunflucht und einer sehr schnellen Vermehrung besitze, sei bislang immer mit einem Anstieg der Krankheitsschwere einhergegangen, wenn Menschen noch keinen Kontakt zu dem Virus gehabt hätten und ungeimpft seien.

Südafrika: Erst durch Omikron kommt es im großen Umfang zu Zweitinfektionen

Eine weitere, noch nicht begutachtete Studie aus Südafrika beschäftigt sich mit den Daten von insgesamt 2,8 Millionen Menschen, die sich seit März 2020 mit dem Virus infiziert haben. Und die zeigen: Obwohl bereits die Varianten Beta, Delta und Gamma Mutationen besaßen, die den Erregern erlaubten, eine Immunität mindestens teilweise zu überwinden, war das Risiko einer Reinfektion bei allen bisherigen Ansteckungswellen in dem Land immer wesentlich geringer als das Risiko, zum ersten Mal an Covid-19 zu erkranken. Doch das hat sich mit dem Auftauchen von Omikron offenbar geändert.

Insgesamt zählen die Statistiker in Südafrika inzwischen rund 35.700 Zweitinfektionen, 332 Fälle, in denen Menschen drei Mal und einen Fall, in dem eine Person inzwischen sogar vier Mal an Corona erkrankt ist. Diese Neuinfektionen haben im Kontext der jetzt steil ansteigenden Omikron-Welle offenbar deutlich zugenommen.

Besonders beunruhigend ist dabei, dass viele aktuell neu angesteckte Genesene ihre letzte Infektion erst bei der Delta-Welle im Juli hatten. Das letzte positive Testergebnis war damit teilweise erst vier Monate her. Von den 332 Drittinfektionen ereigneten sich 47 (14,2 Prozent) allein im November 2021, auch hier halten die Wissenschaftler Omikrons Mutationen für die Ursache. Sie ziehen in der Studie den Schluss: "Auf Bevölkerungsebene sieht es so aus, als habe die Omikron-Variante eine deutliche Fähigkeit, die Immunität durch eine vorangegangene Infektion zu überwinden." Allerdings sieht es wenigstens so aus, als schütze die aufgebaute Immunität vor schweren Verläufen. Bislang sind keine Krankenhauseinweisungen auf Grund der neuen Variante bekannt.

Omikron ist längst angekommen in Europa

Klar ist inzwischen offenbar auch, dass die Beschränkungen für Reisen in und aus den Staaten des südlichen Afrikas viel zu spät kommen und wahrscheinlich deutlich mehr Schaden anrichten, als sie nutzen. Allein das Vereinigte Königreich zählt mittlerweile 336 bestätigte Fälle einer Infektion mit Omikron. Zuletzt teilte Public Health UK am sechsten Dezember 90 Omikron-Infektionen an einem Tag mit. Eine Woche zuvor waren es noch 22 Fälle gewesen, bei denen allein 12 bei vollständig geimpften Personen aufgetreten waren.

Catherine Smallwood, Epidemiologin bei der europäischen Sektion der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hält die Reisebeschränkungen nach Afrika deshalb für den falschen Schritt: "Sie sind vielleicht politisch leicht durchsetzbar, aber nicht effektiv, Verbreitung zu verhindern." Man sehe schon jetzt eine breite Einführung der Omikron-Variante in Europa. Delta bleibe zwar dominierend, aber Omikron habe bereits gezeigt, dass es sich in Kontexten mit vielen Geimpften ausbreiten und Delta verdrängen könne. Auch in Deutschland treten derzeit immer neue Fälle auf, bei denen keine direkte Verbindung mehr herstellbar ist zu Reisen nach Afrika.

Viele Forscher und Beobachter fürchten nun, Länder könnten künftig davon abgeschreckt werden, Daten zu neuen Varianten zu übermitteln, um nicht das Ziel von Reisebeschränkungen zu werden. Die WHO plant daher rechtlich verbindende Verträge zwischen Regierungen, um das Zurückhalten von Daten zu unterbinden.

WHO-Direktor: Wir müssen heute gegen Delta gewinnen

Hans Kluge, Regionaldirektor der WHO in Europa, fordert daher, die Regierungen müssten die pandemische Lage jetzt stabilisieren, statt immer nur zu reagieren. Fünf Maßnahmen seien dazu geeignet: Europas Staaten müssten die Impfraten deutlich steigern, Booster-Impfungen anbieten, das Tragen von Masken in geschlossenen Räumen durchsetzen, die Belüftung von öffentlichen Gebäuden deutlich verbessern, vor allem in Schulen, und klare Empfehlungen für die Behandlung von schwer Erkrankten erarbeiten.

Dabei sei es vor allem wichtig, dass mehr Aufmerksamkeit auf den Schutz von Kindern und Schulen gerichtet werde. Schulschließungen lehnte er ab. Wenn sie nicht mehr vermeidbar seien, müsse sichergestellt werden, dass wenigstens die Mitarbeiter der Gesundheitseinrichtungen weiterhin Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder bekämen. Impfpflichten wiederum dürften nur das allerletzte Mittel sein, wenn alle Möglichkeiten, Ungeimpfte vom Wert einer Impfung zu überzeugen, ausgeschöpft seien. "Das aktuelle Problem in Europa heißt Delta. Und nur, wenn wir heute gegen Delta gewinnen, ist morgen auch ein Sieg gegen Omikron drin."

Die WHO hofft für 2022 auf einen deutlichen Fortschritt bei der internationalen Impfkampagne. Das Ziel sei, dass in einem halben Jahr 40 Prozent der Weltbevölkerung geimpft seien und bis Ende des Jahres dann 70 Prozent.

Theorien zum Ursprung von Omikron

Was die neue Omikron-Variante betrifft, so wird sich die Datenlage in den nun kommenden Wochen weiter stetig verbessern. Und auch bei der Erforschung des Ursprungs von Omikron erwarten Wissenschaftler neue Erkenntnisse. Neben der Theorie, dass die Variante in Menschen mit der Immunschwächekrankheit AIDS entstanden sein könnte, gilt inzwischen auch als denkbar, dass das Virus im Sommer 2020 von Menschen auf Tiere übergesprungen sein könnte und nun wieder zurückgekehrt ist. Bislang sind diese Szenarien allerdings reine Hypothesen.

25 Kommentare

MDR-Team am 10.12.2021

Menschen, die mit Johnson & Johnson geimpft wurden, sollten laut Ständiger Impfkommission künftig eine Zusatzimpfung mit einem mRNA-Impfstoff bekommen. Der Schutz nach der Spritze von Johnson & Johnson sei "ungenügend".

https://www.rbb24.de/panorama/thema/corona/beitraege/2021/10/berlin-brandenburg-stiko-corona-impfung-auffrischimpfung-johnsonjohnson.html

Hajo aus NRW am 09.12.2021

Liebe Kritische,
das Problem ist viel komplexer. Ich bin im Juni mit Johnson&J. erstgeimpft und Anfang November mit Biontec geboostert. Es heißt aber jetzt, daß erst die Drittimpfung effektiv hilft. Würde ich sofort nehmen, bekomme ich aber legal nicht (bisher Abstand 5/6 Monate beim Boostern). Vermutlich werde ich im März/April mich bemühen, um die nächste Auffrischung mit dem angepaßten Impfstoff für Omikron zu bekommen. Dann dürfte eventuell im September 22 die Auffrischung gegen die Winterwelle kommen. Klingt ein bißchen nach "Abo" und da verstehe ich, daß viele Jüngere ohne gravierendes Risiko eines schweren Verlaufes nicht mitmachen wollen. Eine Pflicht wäre für eine Einmalimpfung vielleicht akzeptabel, aber nicht bei ständigem Auffrischen. Junge Menschen haben kaum Risiko für schwere Verläufe und leiden nur unter den Beschränkungen. Die haben die Nase voll. Und ich will nicht ewig den Personalausweis für die Benutzung des ÖPNVs mitführen. Da reicht das Ticket.

kleinerfrontkaempfer am 09.12.2021

Vor 14 Tagen kam ein Impfexperte im Morgenprogramm des Hessischen Rundfunks mit folgender Aussage zu Wort:
"Wer mit Johnson&Johnson geimpft ist, der sollte so tun als ob der gar nicht geimpft ist:"
Da tun sich viele Fragen auf über eine Grundimmunisierung gegenüber der Seuche. Von den Drittimpfungen ganz zu schweigen.