Eine Frau an einem Schreibtisch hält sich die Hände vors Gesicht
Depression durch Arbeit? Forscher sehen die Ursachen eher nicht im Job. Der kann allerdings der Auslöser sein. Bildrechte: IMAGO / agefotostock

Deutschland-Barometer Depression 2021 Volkskrankheit Depression: Schlaf hilft nicht und Arbeit ist nicht die Ursache

09. November 2021, 11:17 Uhr

Eine neue Umfrage zeigt: Jeder Fünfte ist schon einmal an einer Depression erkrankt. Die jüngste Untersuchung sagt aber auch: Es gibt gerade in Betrieben noch viel zu lernen über den Umgang mit der Volkskrankheit.

"Wie es drinnen aussieht, geht niemanden was an." So gehen viele Menschen offenbar mit Depressionen um, obwohl es besser wäre, darüber zu reden. Fast jeder fünfte (19 Prozent) gab in der jüngsten Online-Befragung der Deutschen Depressionshilfe an, schon einmal an Depression erkrankt zu sein, allerdings ohne sich seine Vermutung ärztlich bestätigen zu lassen. Befragt wurden 5.135 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren. Dass diese Zahl realistisch ist, zeigt sich bei denen, die sich wirklich untersuchen lassen haben. Auch dabei wurde jeder/m fünften Beschäftigten bereits einmal eine Depression ärztlich diagnostiziert.

Depressionen Verschweigen kostet Nerven, Gesundheit und Geld

Über die Krankheit zu schweigen ist in vielerlei Hinsicht nicht gut, wenn man sich das näher anschaut. Professor Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, beleuchtet das Dilemma: "Statistisch gesehen gibt es in nahezu jedem Unternehmen depressiv erkrankte Mitarbeiter. Arbeitgeber können viel dazu beitragen, dass betroffene Beschäftigte rascher in eine professionelle Behandlung kommen." Das würde nicht nur viel Leid vermeiden, sondern auch Kosten sparen. Die Allianz-Versicherung und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung beziffern die Kosten, die durch depressive Erkrankungen für die deutsche Volkswirtschaft entstehen, auf jährlich 15,5 bis 21,9 Milliarden Euro.

Ein Mann sitzt deprimiert auf einer Treppe.
Betriebsklima: Kann man über Depressionen sprechen oder ist Stigmatisierung die Folge? Bildrechte: Colourbox

Betriebe müssen Personal besser schulen

Allerdings brauche es dafür Basiswissen und Handlungskompetenz zu Depression und Suizidvorbeugung, fordert der Experte. Denn auch das zeigte die Umfrage: Nur 22 Prozent der Menschen mit Depression berichteten, dass sie in ihrem Berufsumfeld Anlaufstellen für ihre Probleme finden. 30 Prozent von ihnen haben derartige Hilfen wirklich in Anspruch genommen – 74 Prozent davon mit guten Erfahrungen. Oft seien Menschen mit Depression im gesunden Zustand die Leistungsträger in Unternehmen, führt Hegerl aus.

Was fehlt sind zum einen Fortbildungen für Personalverantwortliche, um sie sicher zu machen im Umgang mit erkrankten Mitarbeitenden. Also wie spricht man zum Beispiel Verhaltensänderungen an? Was macht man, wenn Hilfe abgelehnt wird? Wie organisiert man den Einstieg nach einer Erkrankung eines Teammitglieds? Und zum anderen auch Fortbildungen in Sachen Prävention: Was kann ein Betrieb für ein gesundes Betriebsklima tun? Bausteine dafür sind laut Deutscher Depressionshilfe folglich geschultes, kompetente Führungspersonal, das depressiv Erkrankten den Weg in die Behandlung erleichtert; ebenso wichtig eine offene Betriebsatmosphäre, in der psychische Erkrankungen nicht stigmatisiert werden.

Depression: Drüber reden ist Gold

Mann sitzt an Tisch und verbirgt den Kopf zwischen den Händen
Können Vorgesetzte angemessen reagieren? Wie ist das Klima, vertrauen Beschäftigte ihren Führungskräften? Bildrechte: PantherMedia/Andriy Popov

Aber wie ist das eigentlich, ist Depression überhaupt noch ein Tabuthema? Im Job offenbar schon, zeigt die Umfrage: Nur ein Drittel der Menschen mit Depression spricht im beruflichen Umfeld offen über die Erkrankung. Aber immerhin 70 Prozent von ihnen machen damit nach eigenen Angaben gute Erfahrungen. Allerdings räumt auch ein gutes Viertel ein, dass danach statt der Leistung die Krankheit im Vordergrund stand. Aber stimmt es denn, dass in Deutschland mehr Depressionserkrankungen auftreten, medial viel darüber berichtet wird? Die Deutsche Depressionshilfe schreibt dazu: "Die Zunahme in den Statistiken resultiert aus der erfreulichen Entwicklung, dass sich mehr depressiv Erkrankte professionelle Hilfe holen, dass Depressionen häufiger erkannt werden und dass Depressionen nicht hinter weniger stigmatisierten Erkrankungen, wie chronische Rückenschmerzen oder Tinnitus, versteckt werden."

Was ist die Ursache der Depression?

Als wichtigste Auslöser für Depression gelten der Umfrage zufolge Belastungen am Arbeitsplatz (95 Prozent), Konflikte im Job oder mit Kollegen (93 Prozent ), sowie dauerhafte Erreichbarkeit (83 Prozent). Dabei hat Depression auch biologische Ursachen, nämlich erbliche Veranlagungen. Das wissen der Umfrage zufolge aber nur 64 Prozent. Dass während der Depression Hirnprozesse anders verlaufen als sonst, haben nur 57 Prozent der Befragten auf dem Schirm. Professor Hegerl erklärt, wie Erkrankte solche veränderten Hirnprozesse erleben: "Während der Depression nehmen Betroffene alles wie durch eine dunkle Brille wahr und fühlen sich völlig erschöpft und durch die Arbeit überfordert."

Ein Mann in blauem Pullover
Ulrich Hegerl Bildrechte: MDR/Liane Watzel

Häufig wird dann die Überforderung fälschlicherweise als Ursache und nicht als Folge der Depression angesehen.

Prof. Ulrich Hergerl, Deutsche Depressionshilfe

Viel Schlafen bei Depression? Gutgemeint aber voll daneben

Das erklärt dann auch, warum 63 Prozent der Menschen glauben, dass bei Depression ausruhen und viel Schlaf helfen würden. Dabei sei das Gegenteil der Fall, sagt der Spezialist:

"Langer Schlaf verschlechtert bei den meisten die Depression. Schlafentzug ist dagegen ein etabliertes Behandlungsverfahren in Kliniken. Auch Urlaub lindert die Depression nicht, da die Erkrankung mitfährt." Der Deutschen Depressionshilfe zufolge ist Arbeit eher als Schutzfaktor vor Depression anzusehen: Sie unterstützt bei der Tagesstrukturierung und einem regelmäßigen Schlaf-Wachrhythmus und bietet sozialen bzw. kollegialen Austausch.

(lfw)

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