Blutzuckermessung
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Diabetes-Studien Prädiabetes: Forscher arbeiten an Früherkennungstest für Diabetes Typ-2

18. April 2024, 10:39 Uhr

Diabetes ist eine echte Volkskrankheit: In Deutschland sind circa acht Millionen Menschen daran erkrankt – darunter auch rund 32.000 Kinder mit dem angeborenen Typ-1-Diabetes. In den nächsten Jahren rechnen Medizinerinnen und Mediziner mit einem weiteren Anstieg der Diabetes-Erkrankungen. Die Forschung konzentriert sich deshalb auf Fragen der Patienten-Versorgung, aber auch auf bessere Früherkennung der Krankheit, Risiken und Prävention.

Diabetes Typ 1: Immer mehr Kinder erkranken

Noch vor gut 100 Jahren glich diese Diagnose einem Todesurteil bei Kindern, heute können Kinder und Jugendliche auch mit der Autoimmunerkrankung Diabetes Typ 1 relativ normal aufwachsen. Sie gehen wie alle anderen auch in Kitas, die Schule oder zum Sportverein. Voraussetzung dafür ist aber ein umfassend Behandlungskonzept, erläutert der Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Professor Andreas Neu.

Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung bei Kindern. Die DDG geht von 32.000 Betroffenen aus. Doch die Tendenz ist steigend: Jedes Jahre wächst die Erkrankungsrate den Angaben zufolge um drei bis vier Prozent. Insbesondere kleine Kinder seien zunehmend betroffen, erläutert Neu. "Woran das liegt, wissen wir nicht."

Es gibt zwar Antikörper und andere Marker, die eine Vorhersage und Risikoabschätzung hinsichtlich der Diabetesentstehung erlauben, bislang fehlen jedoch wirkungsvolle Strategien, die einen Ausbruch der Erkrankung verhindern könnten.

Prof. Dr. med. Andreas Neu, Universitätsklinikum Tübingen
Ein kleines Mädchen bekommt eine Spritze in den Oberarm
Besonders wichtig: Die Krankheit möglichst früh erkennen. Bildrechte: Colourbox.de

Besonders wichtig ist es, die Krankheit möglichst früh zu erkennen. "Gerade wegen der langen Lebensdauer, die unsere jungen Patienten noch vor sich haben, ist es entscheidend, von Anfang an eine gute Behandlung zu ermöglichen", sagt Neu. Nur so könne ein stabiler Blutzuckerspiegel und damit der Schutz gefährdeter Organe und Gewebe gewährleistet werden. "Eine Verbesserung der Stoffwechsellage unserer jungen Patienten in den letzten 20 Jahren ist eindeutig nachweisbar." Viele der Betroffenen nutzen moderne Technologien. Rund 60 Prozent aller Kinder und Jugendlichen tragen zum Beispiel eine Insulinpumpe – in manchen Altersgruppen liegt die Zahl bei über 90 Prozent.

Doch es gibt auch noch viel Handlungsbedarf, um die betroffenen Kinder und Jugendlichen optimal zu versorgen, bemängelt DDG-Präsident Neu. Demnach verschlechtere sich die Stoffwechseleinstellung bei einzelnen Patientengruppen noch immer während der Pubertät. Es gebe teils erhebliche regionale Unterschiede. "Viele Regionen sind absolut unzureichend versorgt", sagt Neu. Auch der Einsatz von modernen Technologien wie Pumpentherapie oder kontinuierliche Glukosemessung unterscheiden sich regional, so Neu.

Patienten mit Migrationshintergrund werden seltener mit einer Insulinpumpe behandelt und erleiden häufiger schwerwiegende Komplikationen.

Prof. Dr. med. Andreas Neu, Universitätsklinikum Tübingen

Doch auch bei älteren Kindern müsse für den Einsatz der modernen Therapien belegt werden, dass die Injektionstherapie gescheitert sei. Grund seien die höheren Kosten für die besser wirksame Langzeittherapie. "Das kann nicht sein", bemängelt Neu.

Diabetes Typ 1 Die Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper kein oder nicht ausreichend Insulin herstellt. Manchmal ist der Auslöser ein Infekt, in anderen Fällen bleibt die Ursache für die Erkrankung völlig unklar. Da Insulin ein überlebenswichtiges Hormon ist, müssen Betroffene es mehrmals täglich selbst zuführen - entweder durch Spritzen, Insulinpens oder eine Insulinpumpe, die am Körper angebracht ist. Unzureichend behandelt drohen dieselben schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie bei Diabetes Typ 2.

Prädiabetes: Sechs verschiedene Typen identifiziert

In Deutschland ist rund jeder zehnte von Diabetes Typ 2 betroffen – offiziell, denn die Dunkelziffer ist den Fachleuten zufolge sehr hoch, da viele Betroffene die Erkrankung gar nicht bemerkten. Erst spät, wenn die ersten Komplikationen wie etwa Nieren-, Augen- oder Gefäßschädigungen auftreten, lautet die Diagnose dann Diabetes. Doch dann sind schon irreversible Schäden entstanden. Wie kann also eine bessere Früherkennung aussehen? Professor Robert Wagner vom Universitätsklinikum Tübingen hat dafür den sogenannten Prädiabetes genauer untersucht – eine jahrelange Übergangsphase bei Personen, die später Diabetes Typ 2 entwickeln. Die Studie ist im Fachmagazin nature medicine publiziert worden.

übergewichtige Familie, auf einer Bank sitzend
Adipositas ist einer der Risikofaktoren für Diabetes Typ 2. Bildrechte: picture alliance/dpa | Ralf Hirschberger

In der Studie wurden Personen untersucht, die ein höheres Diabetes-Risiko hatten, aber noch nicht erkrankt waren. Sie haben aufwändige Untersuchungen mitgemacht – unter anderem einen Zuckerbelastungstest, Kernspintomographie und genetische Untersuchungen. Das Ergebnis: Es ließen sich mithilfe der Daten insgesamt sechs verschiedene Stoffwechselgruppen unterscheiden, so Wagner. Davon hätten drei Gruppen ein niedriges Diabetesrisiko. Darunter war sogar eine Gruppe von Übergewichtigen, deren Stoffwechsel allerdings gesund war. Die drei anderen Gruppen hatten jedoch alle ein moderates bis hohes Risiko zur Entwicklung von Diabetes. Eine dieser Gruppen sei besonders interessant, so Wagner. Diese Menschen verbleiben lange im Prädiabetes, hätten aber trotzdem bereits ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von Nierenschädigung und ein höheres Risiko für allgemeine Sterblichkeit.

Die Studie zeigt, wie unterschiedliche Störungen des Stoffwechsels bereits lange vor der Manifestation des Diabetes vorliegen.

Prof. Dr. med. Robert Wagner, Universitätsklinikum Tübingen

Bei der Behandlung von Prädiabetes und der Früherkennung von Diabetes Typ 2 müssen Medizinerinnen und Mediziner diese unterschiedlichen Stoffwechselprofile im Blick haben. Dann könnten Präventionsmaßnahmen individuell zugeschnitten bzw. auf die Hochrisikogruppen konzentriert werden, so Wagner.

Ein Brett mit Essen darauf
Kann Intervallfasten gegen Insulinresistenz helfen? Bildrechte: imago/Westend61

Dabei sei etwa denkbar, die Betroffenen zu einer Veränderung ihres Lebensstils zu motivieren. Deshalb hätten sie etwa gerade Studien begonnen, die gezielt die Wirksamkeit von intermittierendem Fasten in diesen Risikogruppen testen, erläutert Wagner. Bei den Hochrisiko-Gruppen sei außerdem der Einsatz von Medikamenten möglich – auch dazu seien Studien in Planung. Ziel sei, perspektivisch eine Diabetes-Früherkennung zu entwickeln, die in jeder Hausarzt-Praxis durchgeführt werden kann.

Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) erhöht Diabetes-Risiko erheblich

Hartnäckiges Übergewicht, vermehrte Körperbehaarung, erhebliche Zyklusstörungen und Akne: Das sind typische Symptome des Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS). Das ist eine komplexe Störung des Hormonhaushalts von Frauen. Es ist die häufigste hormonelle Störung bei Frauen im gebärfähigen Alter – etwa 15 Prozent sind betroffen. Charakteristisch ist ein Überschuss an männlichen Hormonen. Was jedoch viele betroffene Frauen nicht wissen: Das Risiko an Typ-2-Diabetes zu erkranken ist bei ihnen zwei- bis neunfach erhöht. Außerdem bekommen sie viermal häufiger eine Fettleber. Generell ist PCOS als die häufigste endokrinologische Erkrankung von Frauen im empfangsbereiten Alter in Deutschland nur unzureichend erforscht.

Vier junge Frauen
Etwa jede siebte Frau im gebärfähigen Alter hat PCOS. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Was PCOS und Typ-2-Diabetes miteinander zu tun haben, wird erst auf den zweiten Blick klar: Denn auch der Stoffwechsel ist von der Erkrankung betroffen. Viele Patientinnen leiden unter teils starkem Übergewicht, das trotz aller Bemühungen abzunehmen, nicht weichen will. Schuld daran ist eine ebenfalls auftretende Insulinresistenz, erläutert Spezialistin Dr. med. Susanne Reger-Tan von der Universitätsklinik Essen. Sie mahnt an, dass diese Wirkung auf den Stoffwechsel bei der Diagnostik und der Therapie von PCOS immer mit bedacht werden müsse.

Die reduzierte Empfindlichkeit der Körperzellen, auf Insulin zu reagieren, führt zu einem Überschuss an Insulin im Blut.

PD Dr. med. Susanne Reger-Tan, Universitätsklinik Essen

Durch den Überschuss werde wiederum die weitere Gewichtszunahme stimuliert, was wiederum den Überschuss an männlichen Hormonen verstärkt. Das sei ein Teufelskreis, aus Insulinresistenz, Gewichtszunahme, noch mehr männlichen Hormonen und weiterer Abstumpfung der Körperzellen gegenüber Insulin, der schwer zu durchbrechen sei. Reger-Tan vergleicht das mit einem kleinen Kind, das sein Zimmer nicht aufräumen will: Räumt es nicht auf, beginnen die Eltern zu schimpfen, was aber eigentlich kontraproduktiv sei. Genauso schütte die Bauchspeicheldrüse bei PCOS immer mehr Insulin aus, wenn die Körperzellen nicht ausreichend auf das vorhandene Insulin reagieren. In der Folge drohen metabolische Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes schon in jungen Jahren sowie Schwangerschaftsdiabetes. Deshalb sollte die Behandlung auch immer individuell abgestimmte Konzepte zur langfristigen Vermeidung von Komplikationen wie Diabetes Typ 2 enthalten, mahnt Reger-Tan.

Die Mannigfaltigkeit der Symptome, die zudem in unterschiedlicher Ausprägung vorliegen können, erfordert ein individuelles Vorgehen hinsichtlich der Therapiewahl.

PD Dr. med. Susanne Reger-Tan, Universitätsklinik Essen

Die Endokrinologin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin arbeitet derzeit mit Kolleginnen und Kollegen der Fachgesellschaft an einer Leitlinie für die Behandlung von PCOS. Denn vor allem die Tatsache, dass es nach wie vor keine zugelassene medikamentöse Therapie zur Behandlung des PCOS zur Verfügung stünde, sei ein Problem. Bisher nutzten Ärztinnen und Ärzte Medikamente für andere Erkrankungen, wie etwa das Diabetes-Medikament Metformin im off-label use, also außerhalb der eigentlichen Zulassung des Medikaments. Aber Reger-Tan zufolge machen auch neuere Anti-Diabetes bzw. -Adipositas-Medikamente Hoffnung. Dazu habe sie bereits eine Untersuchung zur Publikation eingereicht. Allerdings seien hier weitere klinische Studien zur Wirksamkeit zur Festigung der Datenlage notwendig, damit in Zukunft im optimalen Fall eine zugelassene Therapie zur Verfügung stehe, so Reger-Tran.

(kie)

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