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Fotografie des Weltraumteleskops Hubble von der Galaxie ESO 495-21. Zu sehen ist ein heller Fleck mit dunklen Wolken darin, drum herum befinden sich verschiedene helle Sterne im Vordergrund. Bildrechte: ESA/Hubble, NASA

Halles neue "Himmelsmaschine"Mitteldeutschlands Sterne: Eine lange astronomische Geschichte

03. April 2023, 11:19 Uhr

Mit der Eröffnung des neuen Planetariums in Halle (Saale) beginnt in Mitteldeutschland ein neues Sternen-Zeitalter für die Region. Dabei sind viele wichtige astronomische Beobachtungen und kulturelle Errungenschaften durch den mitteldeutschen Blick in die Sterne in die Geschichte eingegangen.

von Patrick Klapetz

Seit Jahrtausenden blicken die Menschen bereits in die Sterne und fragen sich, was da draußen wohl sein mag. Sie nutzen sie zur Orientierung – nicht nur zu Lande, sondern auch in der Zeit – und zur Deutung von Ereignissen.

Mitteldeutschland schaut nicht erst mit der Eröffnung des Planetariums in Halle in die Sterne – nun sogar mit allerneuester Technik. Seit Tausenden von Jahren gehört die Astronomie für die Menschen in der Region zu ihrem Alltag wie das tägliche Brot. Selbst dieses verdanken wir in der Region – zumindest indirekt – den Sternen. 

Luftbildaufnahme Ansicht Holzplatz Planetarium. Bildrechte: imago images/Steffen Schellhorn

In Mitteldeutschland entsteht eine Hochkultur

Vor 7.500 Jahren kamen die ersten Bauern aus Mesopotamien über die heutige Türkei und Griechenland nach Europa. Ihr Weg führte über die Alpen und manche von ihnen wurden auch in der Region sesshaft, die heute Mitteldeutschland heißt. Sie blieben wegen der fruchtbaren Schwarzerde und über die nächsten Jahrtausende brachen Einwanderungswellen aus dem Süden und den östlichen Steppen über die Region herein. 

So entstand vor 7.000 Jahren die Kreisgrabenanlage in Goseck, ein Sonnenobservatorium der Jungsteinzeit. Nach und nach vermischten sich die Völker und die erste Hochkultur Mitteleuropas entstand: die Aunjetitzer – das Volk, das die Himmelsscheibe von Nebra geschaffen hat.  

Der Kult formte sich um 2.200 v. Chr. – einem Zeitraum, in dem auch im spanischen Mittelmeerraum die "El Agrar"-Hochkultur entstand, das alte ägyptische Reich allmählich in Kleinherrschaften zerfiel und die Lungenpest in Europa herrschte. Das mitteldeutsche Volk lebte friedlich beisammen und kontrollierte den Handel von West nach Ost und von Süd nach Nord.

1.800 v. Chr.: Wie die Aunjetitzer den Himmel verehrten

Ihre wichtigste bekannte Hinterlassenschaft ist die Himmelsscheibe von Nebra, die älteste konkrete Darstellung des Himmels. Sie wurde zwischen 1.800 und 1.750 v. Chr. geschmiedet – zur selben Zeit starb das letzte Mammut auf der russischen Wrangelinsel und in Nordafrika herrschten die Pharaonen des mittleren ägyptischen Reichs (2.137 bis 1.781 v. Chr.).  

Vermutlich hatte ein mitteldeutscher Fürstensohn von seinen Reisen nach Mesopotamien, wo um 2.000 v. Chr. die erste Dynastie von Babylon an Bedeutung gewonnen hatte, die Kenntnisse über den Himmel nach Mitteldeutschland gebracht, wo sie wohl dankbar aufgenommen wurden. Denn eines hat sich in den letzten knapp 4.000 Jahren nicht geändert: das für die Sternenbeobachtung ungünstige bewölkte Wetter in der Region.

Die Darstellung der Plejaden und die mögliche Codierung mittels der anderen 25 Sterne waren wohl kein Zufall. Im Zusammenhang mit der Dicke des Sichelmondes konnten die Menschen dank der Sterne ablesen, ob sie einen Schaltmonat für dieses Jahr einführen mussten.

Im Laufe der Zeit wurde die Himmelsscheibe verändert. Die beiden seitlich angebrachten Horizontbögen symbolisieren sowohl Sommer- und Wintersonnenwende – aber nur, wenn man sie zu Sonnenuntergang auf dem Mittelberg gen Brocken ausrichtete. Doch die Macht der Hochkultur aus Mitteldeutschland schwand und um 1.600 v. Chr. musste die Himmelsscheibe auf dem Mittelberg vergraben werden. 

Die Verbindung zu den Sternen brach ab. Doch Mitteldeutschland wäre nicht Mitteldeutschland, wenn nicht weitere kluge Köpfe die Sterne für die Wissenschaft nutzten. Zunächst blieb es während des Mittelalters jedoch mit Blick auf den wissenschaftlichen Fortschritt eher dunkel. Erst in der Neuzeit kam es in Mitteldeutschland allmählich wieder zu bedeutenden Entdeckungen am Himmel. 

1583: Sonnenuhren und Zifferblätter

Wer die Zeit beherrscht, ist auch Herr über das Volk. Das wussten bereits die Aunjetitzer. Doch noch waren sie von der exakten Zeitmessung weit entfernt. Besonders die Errichtung von Sonnenuhren war eine beliebte Methode, um die Zeit zu deuten. Wobei es so ohne Sonnenschein und bei Nacht unmöglich ist, die Zeit zu deuten.

Ein kolorierter Holzschnitt von Bartholomäus Scultetus, entstandden um 1602. Bildrechte: Österreichische Nationalbibliothek

Das war auch dem Görlitzer Bartholomäus Scultetus (* 14. Mai 1540 in Görlitz; † 21. Juni 1614 Görlitz) bekannt. Er war im 16. Jahrhundert einer der wichtigsten Kartografen des mitteldeutschen Raums. 

In die Geschichte ging er aber für seine Vorliebe zur exakten Zeitmessung ein. Er errichtete Sonnenuhren und war für die Einführung des zwölfteiligen Ziffernblattes an der Görlitzer Rathausuhr verantwortlich – auch wenn die ersten Ziffernblatt-Uhren dieser Zeit nur einen Zeiger hatten. Es ist ihm zu verdanken, dass in den Jahren 1583 und 1584 in der Oberlausitz und den übrigen böhmischen Ländern die Kalenderreform auf Befehl Kaiser Rudolfs II. eingeführt wurde. 

1758: Mitteldeutschland entdeckt den Halleyschen Kometen

Der mitteldeutsche Blick ins All war im 18. Jahrhundert einem ganz besonderen Besucher gewidmet: dem Kometen Halley (1P/Halley). Vermutlich beobachten die Menschen ihn bereits seit prähistorischen Zeiten – ohne zu wissen, dass dieser Komet ein wiederkehrender Besucher ist. Erst der englische Astronom Edmond Halley hatte 1705 die Periodizität des Kometen erkannt. 

Ein Meteor streift über den Nachthimmel über der Himmel – sie entstehen, weil die Erde durch den Schweif des Kometen Halley fliegt. Bildrechte: imago/ZUMA Press

Da der Halleysche Komet nur alle 74 bis 79 Jahre an der Erde vorbeifliegt, konnte der Astronom ihn nicht beobachten. Durch alte Aufzeichnungen und neuen Methoden zur Bahnberechnung von Kometen schloss er aber darauf, dass die Beobachtungen von 1531, 1607 und 1682 auf denselben Himmelskörper zurückzuführen sind. 

Johann Georg Palitzsch (1723-1788) hat den Kometen Halley bei der ersten vorhergesagten Wiederkehr entdeckt. Bildrechte: Palitzsch

Der sächsische Bauernastronom Johann George Palitzsch (* 11. Juni 1723 in Prohlis; † 21. Februar 1788 Prohlis) konnte den Beweis für seinen Kollegen als erster erbringen. Halley schätze, dass sein Komet Anfang 1759 wieder an der Erde vorbeifliegen würde. Tatsächlich konnte man in am 21. Januar 1759 über Paris entdecken.

Doch Palitzsch entdeckte den Halleyschen Kometen bereits am 25. Dezember 1758 über Mitteldeutschland. Der nächste Besuch wird für den 28. Juli 2061 erwartet. Wird diesmal wieder jemand aus dem MDR-Gebiet den Kometen zuerst erblicken? 

1897: Science-Fiction-Literatur aus Mitteldeutschland erobert die Welt

In den nächsten Jahren häuften sich die astronomischen Entdeckungen und Ereignisse. 1759 wurde beispielsweise der erste europäische Astronomenkongress in der modernsten Sternwarte Deutschlands abgehalten, der Seeberg-Sternwarte in Gotha. 

Ein Foto von Kurd Laßwitz, dem Autor von dem weltberühmten deutschen Sci-Fi-Roman "Auf zwei Planeten". Das Foto ist aus ddem Jahr 1903. Bildrechte: Johann Lindner

Die Stadt ist ein bedeutender Ort für die Astronomie, aber auch für Weltliteratur. Den Mathematik-, Physik-, Philosophie- und Geographie-Lehrer Kurd Laßwitz (* 20. April 1848 in Breslau; † 17. Oktober 1910 in Gotha) zog es nämlich in die thüringische Kulturstadt, wo er anfing, einen Bestseller zu schreiben. 

1897 veröffentlichte er "Auf zwei Planeten", bis heute einer der wichtigsten deutschen Science-Fiction-Romane. Darin geht es um Außerirdische vom Mars, die der Menschheit zunächst freundlich begegnen. Auf ihrem eigenen Planeten kennen sie seit Generationen keinen Krieg, doch auf der für sie barbarischen Erde kommt es schnell zu einem Konflikt und kriegerischen Auseinandersetzungen. Wer das Buch heute liest, wird bei einigen Vorhersagen schmunzeln müssen und sich bei anderen wundern, wie nah die Fantasie Laßwitz’ an der heutigen Realität dran ist. 

1959: Astronomie fürs Schulsystem

Eine Entwicklung hätte dem Autor und Lehrer bestimmt gefallen. In der DDR wurde 1959 das Fach Astronomie in den Schulen eingeführt. Der Start des ersten künstlichen Himmelskörpers, des sowjetischen Sputnik-Satelliten am 4. Oktober 1957 war wohl der Auslöser. Bis heute gehört Astronomie zu den obligatorischen Schulfächern in den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

In Westdeutschland wurde Astronomie erst nach der ersten bemannten Mondlandung als Wahlfach eingeführt, jedoch nur an einigen Gymnasien in den Klassenstufen 12 und 13. Das ist nicht der einzige Punkt, indem die DDR der Bundesrepublik in puncto Weltraum mehr als eine Nasenlänge voraus war.

1978: Erster Deutscher im All war DDR-Bürger

Aus dem vogtländischen Dorf Morgenröthe-Rautenkranz kommt der erste deutsche Mann, der ins Weltall fliegen durfte: Sigmund Jähn (* 13. Februar 1937 in Morgenröthe-Rautenkranz; † 21. September 2019 in Strausberg) war als Oberstleutnant ein Paradebeispiel für einen DDR-Bürger. Gemeinsam mit Eberhard Köllner, Rolf Berger und Eberhard Golbs wurde er für das Interkosmos-Programm der Sowjetunion ausgewählt –  ein wissenschaftliches Projekt zur Einbindung nicht-sowjetischer Technik in das sowjetische Raumfahrtprogramm.

Sowohl seine guten Russischkenntnisse, seine Flugerfahrung als auch seine Arbeiterherkunft und sein früher Eintritt in die SED waren entscheidend dafür, dass er zum Kosmonauten ausgebildet wurde. Am 26. August 1978 ging es für Jähn mit der sowjetischen Raumkapsel Sojus 31 in den Weltraum. Dort verbrachte er sieben Tage, 20 Stunden und 49 Minuten. Erst fünf Jahre darauf durfte mit Ulf Merbold der erste Westdeutsche mit den USA in den Weltraum aufbrechen. Der erste Deutsche im All wird damit für immer ein Ostdeutscher sein.

Die goldenen Zwanziger der mitteldeutschen Astronomie

An der mitteldeutschen Begeisterung für den Kosmos hat sich bis heute nichts geändert. So hatte beispielsweise der deutsche Esa-Astronaut Matthias Maurer in 2021 eine Kopie der Himmelsscheibe von Nebra mit an Bord der Internationalen Raumstation ISS gebracht.

Eine Kopie der Himmelsscheibe von Nebra schwebt auf der Internationalen Raumstation ISS. Sie befindet sich in der Cupola, dem Weltraumfenster, von dem aus man die Erde im Hintergrund erkennen kann. Der deutsche Esa-Astronaut Matthias Maurer hatte sie mit auf die Raumstation genommen. Bildrechte: Nasa, Esa, Matthias Maurer

2022 wurde zudem beschlossen, dass in der Lausitz das Großforschungszentrum für Astrophysik entstehen soll: das Deutsche Zentrum für Astrophysik DZA. Dort sollen neue Technologien und Instrumente für die Erkundung des Universums entwickelt werden. 

Mit der Eröffnung des Planetariums in Halle wird das Weltall für die breite Bevölkerung in Mitteldeutschland auf die Erde gebracht. Es soll das modernste Planetarium Deutschlands sein und für alle Generationen spannende Sternen-Shows, aber auch den direkten Blick in den Himmel mittels einer Sternwarte bereithalten. Mitteldeutschland bleibt den Sternen somit ganz nah – und das seit über 4.000 Jahren. 

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Die Himmelsmaschine | 02. April 2023 | 22:20 Uhr