3D-Illustration eines Dinosaurier Diplodocus
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Paläontologie Doch kein Überschall-Knall-Schwanz bei den Dinosauriern?

09. Dezember 2022, 17:00 Uhr

Forschende der NOVA School of Science and Technology in Portugal haben anhand von Computermodell-Simulationen herausgefunden, dass Diplodociden, eine Untergruppe sauropoder Dinosaurier, nicht in der Lage waren, mit ihrem Schwanz einen Überschallknall zu erzeugen. Wissenschaftsredakteurin Jennifer Schollbach erklärt, warum sie über diese Meldung herzlich lachen musste und was es mit den Theorien auf sich hat.

Die Arbeit als Wissenschaftsredakteurin ist super. Ich lerne jeden Tag etwas Neues und Spannendes. Und an manchen Tagen scrolle ich durch die Meldungen neuer wissenschaftlicher Studien und gerate ins Stocken. "Kein Überschall-Knall durch Dinosaurierschwanz". Was zur Hölle?!

Bewegungen schneller als Schallgeschwindigkeit

Ich muss leider zugeben, dass ich keine große Dinosaurierkennerin bin, sonst wäre ich vermutlich überhaupt nicht so verwundert gewesen. Aber die Tatsache, dass man angenommen hat, dass Dinosaurier mit ihren Schwänzen einen Überschallknall erzeugt haben könnten, ist gänzlich an mir vorbeigegangen und ich habe mich in erster Linie gefragt: Warum kommen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen überhaupt auf die Idee, so etwas zu erforschen? Die Dinosaurier-Expertinnen und Experten unter Ihnen schütteln jetzt vermutlich mit dem Kopf und fragen sich, warum ich darüber so verwundert bin. Für alle anderen, die genauso irritiert waren wie ich (und auch schmunzeln mussten), erkläre ich den Sachverhalt kurz.

Wissenschaftler vom Politechnikum Mailand und der NOVA School of Science and Technology in Portugal haben in verschiedenen Computermodell-Simulationen untersucht, ob der Schwanz von Diplodociden tatsächlich in der Lage war, durch schnelle Bewegung einen Überschallknall zu erzeugen. Nur um das zu verdeutlichen: Das würde bedeuten, dass der Saurier seinen Schwanz schneller als die Schallgeschwindigkeit bewegen konnte - und die liegt bei 340 Metern pro Sekunde. Aber wie kommen die Wissenschaftler zu dieser Annahme?

Der Zweck von langen Hälsen und sehr langen Schwänzen

Sauropoden-Dinosaurier waren eine der artenreichsten und am weitesten verbreiteten Gruppen pflanzenfressender Dinosaurier. Unter den Sauropoden zeichnen sich die Flagellicaudata-Dinosaurier besonders aus, denn sie hatten extrem lange Schwänze. Zu ihnen gehörten auch Diplodocus und Apatosaurus (die wiederum zur Überfamilie Diplodocidae gehören). Man geht davon aus, dass der Schwanz der Diplodociden aus etwa 80 Schwanzwirbeln bestand und die hintersten aufgrund ihres Aufbaus hochflexibel waren.

Über den Zweck dieser sehr langen und beweglichen Schwänze gab es seit den ersten Funden eine ganze Reihe von Hypothesen. So nahm man zum Beispiel an, dass er wie eine Art Peitsche benutzt worden sein konnte, um Angreifer in die Flucht zu schlagen oder Geräusche zu erzeugen. 1997 veröffentlichten Nathan P. Myhrvold und Philip J. Currie in der Zeitschrift Paleobiology eine Studie, die anhand von Computermodellen zu dem Schluss gekommen waren, das der Schwanz von Apatosaurus Louisae Überschallgeschwindigkeit erreichen und so einen Überschallknall erzeugen konnte. Sie vermuteten, dass dieses Geräusch der Verteidigung, der Kommunikation, der innerartlichen Rivalität oder der Balz gedient haben könnte.

Aha. Die Überschallkall-Theorie besteht also schon ein paar Jahre - und nun wurde sie mit Hilfe einer Kombination aus modernsten Mehrkörpermodellierungen und Simulationen der Belastbarkeit der Weichteile überprüft. Die Widerstandsfähigkeit der Bänder, Sehnen und der Haut ist dabei ziemlich wichtig, denn sie wären einer großen Belastung ausgesetzt, wenn sie sich mit Schallgeschwindigkeit bewegen würden.

Schnell ja, Schallgeschwindigkeit nein

Die Forscher fütterten also den Computer mit einer Unmenge an Daten, schauten auf die Reibung, die durch die Muskeln und Gelenke entsteht und beachteten den Luftwiderstand. Dabei betrachteten sie außerdem verschiedene Varianten von Schwanzmodellen, die sich jeweils in ihrem Gewebe unterschieden und so Auswirkungen auf die mögliche zu erreichende Geschwindigkeit hatten. Der virtuelle Saurierschwanz ist über 12 Meter lang und würde im wahren Leben 1.446 Kilogramm wiegen. Basis dafür waren fünf fossile Diplodociden-Exemplare.

Das Ergebnis: Der Schwanz konnte sich schnell bewegen, nämlich 33 Meter pro Sekunde bzw. 100 Kilometer pro Stunde. Schallgeschwindigkeit konnte er aber bei weitem nicht erreichen. Und auch die Materialeigenschaften der Haut, der Sehnen und der Bänder deuten darauf hin, dass der Schwanz einer solchen Geschwindigkeit nicht Stand gehalten hätte.

Und wozu bewegt der Dinosaurier seinen Schwanz nun mit 100 km/h? Die Forschenden schließen nicht aus, dass der Schwanz ein gutes Verteidigungsmittel gegen Feinde oder bei innerartlichen Kämpfen war. Sie berechneten sogar den ausgeübten Druck, der entsteht, wenn sich der Schwanz mit 100 km/h bewegt hätte. Man kann es sich vorstellen wie einen Volleyball, der sich mit 205 km/h bewegt. Dinosaurierknochen oder Haut würden dadurch zwar nicht kaputtgehen, aber es wäre schon ein spürbarer Schlag gegen den Körper eines Gegners und den Schwanz selbst. Trotzdem betonen die Forscher, dass Verhaltenshypothesen aufzustellen immer Spekulation ist, da es einfach zu wenige Beweise gibt, die die Verwendung des langen Schwanzes belegen würden.

Die Dinosaurier stecken also nach wie vor voller spannender Geheimnisse und es werden sogar noch immer neue Arten entdeckt. Nicht einmal das Aussehen der Saurier ist annähernd abschließend geklärt, ganz zu schweigen davon, wie sie sich tatsächlich vor Millionen von Jahren verhalten haben.

Jennifer Schollbach

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