Auszubildende in Metallberufen, hier beim Schweissen
Ausbildung in Metallberufen: Vor allem im Handwerk macht sich der Fachkräftemangel zunehmend bemerkbar. Bildrechte: imago images/Rupert Oberhäuser

Diversity-Tag Diversität: Ohne Fachkräfte von außen geht es nicht

28. Mai 2020, 18:02 Uhr

Das Thema Fachkräftemangel ist durch Corona ein wenig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Dabei beherrschte die Sorge, dass in Zukunft Millionen Jobs unbesetzt bleiben könnten, noch vor Kurzem die Schlagzeilen. Zugleich wird das Ausmaß des Fachkräftemangels immer wieder in Frage gestellt oder als Produkt einer geschickten Lobbyarbeit betrachtet, deren wahres Ziel die Erzeugung eines Überangebots zum Zwecke des Lohndumpings sei. Wie also sieht es mit dem Fachkräftemangel wirklich aus?

Wer in das Thema Fachkräftemangel einsteigen will, muss sich zunächst in die Vorhölle des Amtsdeutschen begeben. Dorthin, wo Begriffsmonster wie Fachkräfteengpassanalye und Vakanzzeituntersuchungen zu Hause sind und die Berichte der Bundesagentur für Arbeit bevölkern. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, dem werden schon bald die gesellschaftlichen Dimensionen des Fachkräftemangels klar.

Wie man Fachkräftemangel misst

Ein guter Indikator, um den Mangel zu messen, ist die durchschnittliche Vakanzzeit, also die Dauer zwischen dem gewünschten Besetzungstermin einer Stelle und ihrer erfolgreichen Neubesetzung. Seit 2010 ist sie im Bundesdurchschnitt von 57 auf 124 Tage gestiegen. Besonders dramatisch ist die Lage in Thüringen. Hier kann einer freie Stelle im Schnitt erst nach 184 Tagen neu besetzt werden. In der Altenpflege sind es sogar 236 Tage. Zwar ist der Fachkräftemangel regional verschieden und trifft nicht alle Branchen gleichermaßen. Dennoch gibt es zahlreiche Berufsfelder, in denen deutschlandweit Mangel herrscht. Dazu zählen etwa die Bauwirtschaft, der Gesundheits- und Pflegebereich und technische Berufe. Eine Reihe von Karten, die auf Basis regionaler Engpassanalysen entstanden sind, macht das Ausmaß des Fachkräftemangels sichtbar.

Fachkräfte-Statistik der Bundesagentur für Arbeit

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Was gegen Fachkräftemangel getan wurde

Lange Zeit haben Unternehmen versucht, das Fachkräfte-Problem mit Hilfe einheimischer Arbeitskräfte zu lösen. Aktivierung und Ausschöpfung der endogenen Ressourcen nennen das Sozialwissenschaftler. Dahinter verbirgt sich ein ganzes Set an Maßnahmen: angefangen von der Steigerung der Erwerbsquoten über das Schaffen von mehr Vollzeitstellen bis hin zu Qualifikationsmaßnahmen. Doch das alles reicht nicht mehr aus. Der demografische Wandel ist besonders im Osten Deutschlands einfach zu stark. Der Bevölkerungsrückgang und das altersbedingte Ausscheiden großer Teile der Belegschaft führen schon seit Jahren dazu, dass die aktivierten Ressourcen um ein Vielfaches aufgefressen werden. Zurück bleibt ein stetig wachsender Fachkräftebedarf. Am Beispiel von Thüringen lässt sich das gut illustrieren.

Wo die Grenzen heimischer Ressourcen liegen

Zwischen 2005 und 2019 ist die Bevölkerung Thüringens von 2,34 auf 2,13 Millionen Menschen geschrumpft. Lange Zeit war die Abwanderung der Hauptgrund für das Absinken, inzwischen ist der Wanderungssaldo aber positiv und der Rückgang ein Effekt dessen, was Statistiker "Sterbefallüberschuss" nennen. Man könnte auch sagen: Thüringen vergreist. Der Trend hat sich durch die Fluchtmigration ab 2015 zwar etwas verlangsamt, aufhalten aber lässt er sich (bis jetzt) nicht.

Gleiches gilt für den Arbeitsmarkt. Zwar legte die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten deutlich zu, und die Erwerbstätigenquote in Thüringen gehört mittlerweile zu den höchsten in ganz Deutschland. Doch das reicht nicht aus. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter wird von aktuell 1.040.000 auf 895.000 im Jahr 2030 sinken. Zugleich aber wollen 39 Prozent der Thüringer Betriebe in Zukunft mehr Personal einstellen. Erweiterungsbedarf, nennen das Fachleute. Dazu kommt noch der Ersatzbedarf, der sich dadurch ergibt, dass 22 Prozent der Beschäftigten bis 2030 in Rente gehen. Kein Wunder, dass viele Thüringer Unternehmen schon jetzt Probleme haben, ausreichend qualifiziertes Personal zu bekommen. Wenn die endogenen Potentiale erschöpft sind, steigen die Fachkräfteengpässe. In Thüringen wird sich dieser Bedarf bis 2030 auf rund 344.000 Personen belaufen.

Was gegen Fachkräftemangel getan werden kann

Im Grunde gibt es nur noch zwei Möglichkeiten, was man gegen Fachkräftemangel tun kann. Die erste besteht darin, gut ausgebildete Fachkräfte aus anderen Betrieben abzuwerben. 46 Prozent der Thüringen Unternehmen können sich das vorstellen. Allerdings wird der Mangel damit nur verschoben, nicht aber behoben. Der zweite Ansatz besteht darin, verstärkt ausländische Fachkräfte einzustellen. Akquise exogener Potentiale nennen das die Sozialforscher. Politisch ist dieser Ansatz gewollt und findet seinen Ausdruck im Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das am 1. März 2020 in Kraft getreten ist. Ziel des Gesetzes ist es, mehr qualifizierte Facharbeiter aus Nicht-EU Ländern nach Deutschland zu holen.

Ob und wie das Gesetz wirkt, muss sich freilich noch zeigen, zumal Corona auch hier zugeschlagen hat. Statt beschleunigtem Zuzug gab es eine Vollbremsung. Dennoch: Da Corona die Zeit des Innehaltens ist (oder zumindest war), lohnt es sich auch in diesem Falle mal kurz zu verharren und zu schauen, welche Erfahrungen Unternehmen bisher mit Fachkräften aus dem Ausland gemacht haben. Ein Blick nach Jena liefert Antworten abseits der amtlichen Zahlenkolonnen.

Fachkräftemangel als Firmenrealität und Forschungsobjekt

Dr. Holger Keitel
Dr. Holger Keitel Bildrechte: Holger Keitel

Dr. Holger Keitel ist Geschäftsführer eines Büros für Hoch- und Ingenieurbau. Die Firma hat Standorte in Jena, Halle und Dresden und bemüht sich schon seit Jahren um internationale Fachkräfte. Aktuell sind am Standort in Jena 26 Mitarbeiter beschäftigt, darunter vier ausländische Arbeitskräfte. Zwei von ihnen kommen aus Rumänien, eine Mitarbeiterin stammt aus Serbien und ein Ingenieur hat den Weg aus Kolumbien nach Jena gefunden. Alle vier sind bereits seit mehreren Jahren in der Firma beschäftigt. Im Gespräch mit MDR Wissen bestätigt Keitel, dass es nicht leicht ist, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Der Blick über die deutschen Grenzen gehört für seine Firma deshalb dazu. Neben der Gewinnung neuer Fachkräfte hat die Zusammenarbeit mit internationalen Beschäftigten für ihn aber noch einen weiteren wichtigen Aspekt:

Ich finde, dass die Diversität, diese Unterschiedlichkeiten, diese anderen Blickwinkel, die diese Leute mitbringen, ein Riesenvorteil ist. Davon kann das gesamte Unternehmen profitieren.

Dr. Holger Keitel

Gleichwohl, so Keitel, zeigen die Erfahrungen seines wie auch die anderer Ingenieurbüros, dass die Integration ausländischer Beschäftigter kein Selbstläufer ist und einer längeren Einarbeitungszeit bedarf. Entscheidend sei es, dass die ausländischen Arbeiter die (Fach-)Sprache erlernen. Gelinge das, profitiere das ganze Unternehmen davon.

Das sieht auch Prof. Sebastian Henn so. Er hat an der Friedrich Schiller Universität Jena den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie inne. Bezüglich der Beschäftigung internationaler Fachkräfte sieht er für die Unternehmen drei Vorteile – und ein Problem:

Prof. Dr. Sebastian Henn
Prof. Dr. Sebastian Henn Bildrechte: Sarah Marie Henn

Einerseits tragen Hochqualifizierte aus dem Ausland dazu bei, dass Fachkräfte in das Unternehmen kommen. Andererseits bringen sie internationale Kompetenzen in die Unternehmen ein, beispielsweise wenn es darum geht, fremde Märkte zu erschließen. Es gibt aber noch einen dritten Punkt, und das ist der Beitrag zur Innovationsfähigkeit dieser Unternehmen. Und interessanterweise sind es genau diese drei Punkte, die die größten Herausforderungen von Unternehmen in ländlichen Räumen darstellen.

Prof. Dr. Sebastian Henn

Laut einer neuen Studie Henns, die demnächst erscheint, beschäftigen bislang nur 20 Prozent der Thüringer Unternehmen internationale Fachkräfte mit Hochschulabschluss. Die meisten finden sich in den Hochschulstädten, was nicht zuletzt daran liegt, dass der generelle Internationalisierungsgrad der Unternehmen in diesen Städten größer ist als im ländlich-peripheren Raum. Aber es gibt noch andere Gründe.

Wie die Situation in Stadt und Land ist

Prof. Dr. Jürgen Bolten
Prof. Dr. Jürgen Bolten Bildrechte: Susanne Kirchmeyer

So weist Prof. Jürgen Bolten, der an der Uni Jena interkulturelle Wirtschaftskommunikation lehrt, darauf hin, dass sich Firmen im ländlichen Raum oft zurückhalten, weil sie befürchten, dass es zu Problemen mit der Belegschaft kommen könnte, wenn sie Arbeitskräfte aus dem Ausland einstellen. Zudem werden der (vermutete) bürokratische Aufwand und Unsicherheiten bezüglich der mitgebrachten Qualifikationen als Hindernisse bei der Einstellung internationaler Fachkräfte genannt. Das will das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ändern. Dennoch: Der Kontakt zu internationalen Facharbeitern muss nicht unbedingt in ferne Länder führen, sondern kann auch auf deutlich kürzen Wegen erfolgen, schließlich stammen 7.000 der 50.000 Studierenden in Thüringen aus dem Ausland.

Welche Rolle Hochschulen spielen

Laut der Studie von Prof. Henn spielen die Thüringer Hochschulen und ihre Absolventen bei der Rekrutierung der Hochqualifizierten "für den thüringischen Arbeitsmarkt nur eine untergeordnete Rolle." Ein überraschender Befund, der sich zumindest im Ingenieurbüro von Holger Keitel nicht widerspiegelt. Für ihn sind die Verbindungen zu den Thüringer Hochschulen von großer Bedeutung. Zu Hilfe kommt ihm dabei die Tatsache, dass 42 Prozent der ausländischen Studierenden Thüringens in einem ingenieurwissenschaftlichen Fach eingeschrieben sind. Vor allem die an der Bauhaus Universität Weimar angebotenen internationalen Masterstudiengänge helfen ihm, Kontakte zu knüpfen. Trotzdem: Obwohl Keitel froh über die Möglichkeiten der Hochschulen ist, erlebt er an ihnen auch die Grenzen der Internationalisierung. Konkret geht es ihm um die Vermittlung der Studieninhalte, die in den internationalen Ingenieurstudiengängen vorrangig auf Englisch geschieht. Für Keitel durchaus ein Problem:

Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn man die Anzahl der Deutschkurse, aber auch die der Fachkurse erhöhen würde. Dadurch, dass Deutsch keine wesentliche Voraussetzung ist, hat man natürlich viele internationale Bewerber. Aber Ziel sollte es sein, mehr Deutschkenntnisse zu vermitteln.

Dr. Holger Keitel
Eine Frau und ein Mann stehen vor einer Schautafel.
Wirtschaftsgeograph Prof. Henn während einer Studienveranstaltung an der Uni Jena. Bildrechte: FSU Jena/Christoph Worsch

Dass die Sprache der zentrale Schlüssel für ein gelingendes Miteinander ist, gilt als unumstritten. Forscher wie Sebastian Henn sehen aber auch Nachholbedarf bei den Unternehmen. In seiner Studie kommt er zu dem Schluss, dass "gezielt auf internationale Hochschulqualifizierte ausgerichtete Anwerbestrategien (z.B. englische Jobanzeigen, Headhunter mit internationalem Suchradius) nur von einer geringen Anzahl der Unternehmen realisiert werden."

Auch das Ingenieurbüro von Holger Keitel hat bisher nur wenig Erfahrungen in diese Richtung gemacht. Keitel setzt, neben den Verbindungen zu den Hochschulen, vor allem auf sein berufliches Netzwerk, um Fachkräfte zu gewinnen. Internationale Jobmessen sieht Keitel für seine Firma von 20 bis 30 Angestellten dagegen als wenig erfolgversprechend an, da, wie er sagt, die international agierenden Big Player die kleinen und mittleren Unternehmen auf solchen Veranstaltungen oft überstrahlen.

Wie Unternehmen die Integration ausländischer Mitarbeiter sehen

Fakt ist: Bei einem Ausländeranteil von knapp fünf Prozent, fühlt sich mehr als ein Drittel der Thüringer von Überfremdung bedroht. Das bekommen auch die Unternehmen zu spüren. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, die in den 1990er-Jahren die Debatte dominierte, spielt bei der Ablehnung ausländischer Beschäftigter allerdings kaum noch eine Rolle. Vielmehr bestimmen generelle Vorurteile und Ängste die Sicht auf die Dinge. Das Problem, so Jürgen Bolten, sei dabei vor allem der fehlende Kontakt.

Auf Kommunalebene sucht man derweil nach Wegen, damit sich mehr Unternehmen mit ausländischen Mitarbeitern verstärken. Holger Keitel lobt in diesem Zusammenhang den Willkommensservice der Stadt Jena. Dieser habe seinen ausländischen Fachkräften nicht nur geholfen, die Stadt kennenzulernen, sondern ihnen auch Ansprechpartner in der Verwaltung gezeigt.

Derartige Angebote haben die Funktion eines Türöffners. Außerhalb der Hochschulstädte sind sie allerdings eher rar. Dennoch: Laut Sebastian Henn stehen 80 Prozent der Thüringen Unternehmen der Einstellung ausländischer Hochqualifizierter offen gegenüber. Allerdings gibt Henn zu bedenken, dass die Zahl nur bedingt die tatsächliche Bereitschaft widerspiegelt, weil darunter auch sozial erwünschte Antworten sein könnten. Und in der Tat: In einer Betriebsbefragung schloss im Jahr 2017 mehr als ein Drittel der Thüringer Unternehmen die Möglichkeit der Einstellung ausländischer Fachkräfte aus.

Ob fremdenfeindliche Motive dabei eine Rolle spielen, geht aus den Daten nicht hervor. Fakt aber ist: Fremdenfeindlichkeit ist in Thüringen weit verbreitet. Dabei gibt es dort, wo ausländische Arbeitskräfte beschäftigt werden, nur selten Probleme. Jürgen Bolten hat Thüringer Unternehmen zu diesem Punkt befragt – und die Ergebnisse haben ihn überrascht.

Unabhängig von Fach- oder Nicht-Fachkräften war der erstaunliche Befunde, dass nur 2,4 Prozent gesagt haben, es gibt ab und zu Schwierigkeiten. Das heißt aber umgekehrt formuliert, wir haben immerhin 97,6 Prozent, die sagen, alles in Ordnung.

Prof. Dr. Jürgen Bolten

Gleichwohl gilt es auch hier die Möglichkeit, sozial erwünschter Antworten im Auge zu behalten, zumal auch Bolten anmerkt, dass die Zahlen in manchen Unternehmen eher die Meinung der Geschäftsleitung wiedergeben, während in der Belegschaft ein anderes Bild herrscht. Sicher aber ist, dass in den Betrieben wie in der Bevölkerung fremdenfeindliche Tendenzen durch fehlendes Wissen gefördert werden. So war in einer von Bolten durchgeführten Umfrage die Mehrheit der Thüringer der Ansicht, dass über 50 Prozent der Zugewanderten arbeitslos seien. Tatsächlich liegt die Quote bei 15 Prozent.

Was die Statistik sagt – und was nicht

Dennoch ist diese Quote – wie jede Arbeitsmarktstatistik – nur bedingt aussagekräftig. Generell bildet die Arbeitsmarktstatistik, die im Kontext der Fluchtmigration erhoben wird, nur jene Ausländer ab, die eine Aufenthaltsgenehmigung oder einen Duldungsstatus besitzen. Was die Arbeitslosenquote von Ausländern betrifft, so sind Ausbildungsplatzsuchende und Teilnehmer von Integrationskursen nicht mit erfasst. Auch Ausländer, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen oder wegen ihres Alters nicht als arbeitslos gelten, sind nicht in der Statistik enthalten. Diese Ausschlusskriterien gelten aber auch für Deutsche und sorgen immer wieder für Kritik an den Zahlen der Arbeitslosenstatistik.

Fachleute erwarten deshalb für die kommenden Jahre einen leichten Anstieg der Arbeitslosenquote bei Ausländern, da sich der Einfluss der Fluchtmigration auf den Arbeitsmarkt erst dann vollumfänglich zeigt, wenn jene, die jetzt noch in Fördermaßnahmen sind, auf den Arbeitsmarkt gehen.

Gleichwohl kann für Thüringen konstatiert werden, dass die aktuelle Arbeitslosenquote unter Ausländern ungefähr dem Wert des Jahres 2014 entspricht, was bedeutet, dass sich die Flüchtlingskrise nicht negativ auf die Quote ausgewirkt hat. Auch die Arbeitslosenquote deutscher Staatsangehöriger ist durch die Fluchtzuwanderung nicht gestiegen. Vor Beginn der Coronakrise lag sie bei rund 5 Prozent und betrug damit ein Drittel der Arbeitslosenquote von Ausländern. Unabhängig davon kann Thüringen bei der Integration von Ausländern in den Arbeitsmarkt Erfolge vorweisen. So hat sich etwa die Zahl der ausländischen Beschäftigten zwischen 2010 und 2019 von 10.000 auf 50.000 Personen erhöht.

Der Fachkräftemangel wurde dadurch allerdings noch nicht entscheidend beeinflusst. Das liegt einerseits daran, dass viele ausländische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsbereich eingesetzt ist – zwei Branchen, in denen es vergleichsweise leicht ist, auch ohne formale Qualifikation eine Stelle zu finden. Andererseits hat es auch damit zu tun, dass längst nicht alle ausländischen Arbeitskräfte gemäß ihrer Qualifikation auf dem Thüringer Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Zwar sind 40 Prozent der ausländischen Arbeitnehmer als Fachkraft angestellt, 45 Prozent aber müssen sich als Helfer verdingen. Zum Vergleich: bei den deutschen Beschäftigten sind es gerade mal 15 Prozent. Die Gefahr, das ausländische Arbeitskräfte zum Lohndumping benutzt werden, ist also gegeben. Das wird auch von den Daten des Thüringer Zuwanderungs- und Integrationsberichts 2019 bestätigt, der große Einkommensunterschiede zwischen Deutschen, Beschäftigten aus anderen EU-Staaten und Arbeitskräften aus Asylherkunftsländern offenbart. Zugleich zeigt die nach wie vor hohe Zahl von Hartz-IV-Empfängern aus außereuropäischen Asylherkunftsstaaten, dass die Integration in den Arbeitsmarkt sozialpolitisch nur dann sinnvoll ist, wenn der Fokus auf existenzsichernde Beschäftigungsverhältnisse gelegt wird. Vor diesem Hintergrund ist die Ausbildung und Integration von Facharbeitern umso wichtiger.

Wie Diversität gelebt werden kann

Neben den harten Fakten, sind es auch weiche Faktoren, die einer Gleichberechtigung im Wege stehen. Abhilfe soll hier ein Projekt schaffen, das Forscher der Uni Jena aktuell durchführen. Unter dem Titel "Weltoffen miteinander arbeiten" werden rund 1.000 Thüringer Unternehmen zu ihren Einstellungen und Erfahrungen mit ausländischen Arbeitskräften befragt. Zudem haben die Forscher eine Software entwickelt, die auf spielerische Art und Weise Firmen, die Mitarbeiter suchen, mit internationalen Fachkräften in Kontakt bringen soll. Ziel des Projekts ist es, die Unternehmen bei der Personalentwicklung zu unterstützen und den interkulturelle Dialog zu fördern.

Auch Holger Keitels Ingenieurbüro hat bereits vom Wissen der Jenaer Forscher profitiert und erkannt, dass neben den fachlichen Qualifikationen gerade in der Anfangszeit soziale und kulturelle Faktoren die entscheidende Rolle für ein gelingendes Miteinander spielen. Neben Kommunikationsworkshops und gemeinsamen Unternehmung war laut Keitel auch die Sensibilisierung für "deutsche Eigenheiten" wichtig.

Auch Jürgen Boten sieht im interkulturellen Austausch einen großen Gewinn. Für ihn geht es nicht um die Frage, woher jemand kommt, sondern, was jemand kann und wie er sich einzubringen vermag:

Auf diese Art und Weise habe ich eine ganz andere Diversität, die darauf zielt, wirklich Expertisen geltend zu machen und Leute in ein Miteinander zu bringen, in einem Bereich, die sie interessieren, wo es dann keine Rolle mehr spielt, welche Hautfarbe man hat, ob man Mann oder Frau ist usw.

Prof. Dr. Jürgen Bolten

Welche Rolle Corona spielt

Schaut man sich aktuell um, so sind die Ansichten, was Corona für den Fachkräftemangel bedeutet, verschieden. Während manche glauben, Corona werde den Fachkräftemangel verstärken, erwarten andere eher eine Entspannung der Lage. Belastbare Zahlen fehlen aber vielerorts noch. Sebastian Henn hat deshalb eine erste Umfrage durchgeführt. So rechnen in Jena von 320 befragten Unternehmen nur 14 Prozent damit, dass Corona den Fachkräftemangel verringern werde. Auch die Forscher denken in diese Richtung. Für den Wirtschaftsgeographen Henn gibt es jedenfalls keine Zweifel, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen wird:

Die demographischen Verwerfungen in Thüringen und in Ostdeutschland sind derart groß, dass wir ganz klar davon ausgehen müssen, dass der Fachkräftemangel möglicherweise durch Covid-19 ein bisschen abgemildert wird, aber es wird auf keinen Fall möglich sein, den Fachkräftemangel in Thüringen allein über die deutsche Bevölkerung sicherzustellen, sondern man wird angewiesen sein auch auf internationale Fachkräfte, es wird nicht anders gehen, da sind die Zahlen sehr eindeutig.

Prof. Dr. Sebastian Henn

2 Kommentare

Johanna Maria Runge am 26.05.2020

Sehr guter, ausgewogener Artikel. Als Unternehmerin kenne ich das Problem aus eigener Erfahrung. Auch bei uns (in Sachsen-Anhalt) haben wir mit Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen, was das Einstellen ausländischer Fachkräfte erschwert (manche wollen deshalb ausdrücklich nicht in den Osten kommen, aber auch das ist natürlich ein Vorurteil). Gut, dass der Artikel die Probleme anspricht, die auf beiden Seiten existieren, denn gerade die hohe Hartz IV Quote macht Druck auf die Sozialsysteme. Andererseits dürfen ausländische Arbeitskräfte auch nicht zum Lohndumping benutzt werden, was meiner Erfahrung nach durchaus häufig geschieht.
Dass nur 2,4% der Unternehmer Schwierigkeiten mit ihren ausländischen Arbeitskräften haben, scheint mir fast ein bisschen zu schön, um wahr zu sein, aber generell waren auch meine Erfahrungen mit ausländischen Fach- und Hilfskräften besser als zunächst gedacht. (Wir haben alle unsere Vorurteile.) Kontakt ist das Wichtigste, da gebe ich Prof. Bolten recht.

Frank von Broeckel am 26.05.2020

Fluchtmigration???

Fällt der Asylgrund dauerhaft weg, MÜSSEN uns diese Leute sowieso(!) dauerhaft wieder verlassen!