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Die DLR-Jahrespressekonferenz 2023 in Berlin. In der Bilddmitte ist Anke Kaysser-Pyzalla, DLR-Vorstandsvorsitzende, zu sehen. Bildrechte: DLR

DLR-JahrespressekonferenzDeutschlands Traum vom All: Mond, Jupiter und endlich funktionierende Raketen

01. März 2023, 17:15 Uhr

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR hat am 1. März 2023 zu seiner Jahrespressekonferenz geladen. Es ging auch um eins: Deutschlands Weg in den Weltraum. Dabei wird klar, dass Deutschland eine führende Rolle übernehmen will und bereits aktiv an Missionen zum Mond und Jupiter beteiligt ist. Wie sieht der deutsche Traum vom All im Detail aus?

von Patrick Klapetz

Wir fliegen zum Mond. Wir fliegen zum Jupiter. Mit "wir" ist deutsche Technologie gemeint, ohne die so manche Raumfahrtmission nicht möglich ist. 2022 ist die westliche Welt mit der ersten Artemis-Mission wieder zum Mond aufgebrochen. Das Antriebsmodul, das European Service Module ESM (engl. Europäisches Service-Modul), wurde von Airbus in Bremen gebaut. Das Navigationsgerät für den Weltraum, der Startracker, wurde von Jena Optronik aus Thüringen gefertigt. 

Und eines der wichtigsten Experimente für die bemannte Raumfahrt zum Mond wurde vom DLR und der israelischen Raumfahrtagentur ISA (Israel Space Agency) an Bord des Orion-Raumschiffs geleitet: Das Mare-Projekt zur Messung von krebserzeugenden kosmischen Strahlen und deren Auswirkungen auf den weiblichen Körper. 

Deutschlands Weg zum Mond und Mars

Mit der Raumfahrtmission Artemis III sollen wieder Menschen auf der Mondoberfläche landen – zum ersten Mal auch eine Frau. Da bisher aber nur Männer zum Erdtrabanten aufgebrochen sind, wissen die Forschenden noch nicht, welche Auswirkungen die kosmische Strahlung auf den weiblichen Körper hat. Immerhin sind einige Fortpflanzungsorgane und das weibliche Brustgewebe anfälliger für Strahlenbelastung, als es beispielsweise bei Männern der Fall ist.  

Das Mare-Experiment und deren 36 Strahlenmessgeräte (M42) sind nun wieder in Deutschland, in der Raumfahrtmedizin in Köln. Die DLR-Bereichsvorständin für Raumfahrt, Anke Pagels-Kerp, erklärt auf der Jahrespressekonferenz des DLR den Aufbau der beiden weiblichen Phantom-Puppen: "Die Innenleben sind aus verschiedenen Schichten aus verschiedenen Dichten, um die Organe zu simulieren, aufgebaut. Verbaut in diese Phantome sind 12.000 kleine Kristalle, die die Strahlenbelastung während des gesamten Fluges messen." 

Flugtag 20 (5. Dezember 2022): Das Orion-Raumschiff erfasst die Erde nach Mondvorbeiflug Bildrechte: Nasa Johnson

Zusätzlich messen die M42-Messgeräte den Verlauf dieser Strahlung. Mit der Auswertung der Daten wird es den Forschenden am DLR möglich sein, zu sehen, welcher Strahlung die Phantome ausgesetzt waren und "welcher Strahlung die Astronauten dann ausgesetzt sein werden, wenn man dann auf den Mond oder später auch zum Mars fliegt". Für Walther Pelzer, zuständig für die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR, ist klar:

Deutschland ist auf dem Fahrersitz, wenn es darum geht, zurück zum Mond zu gehen.

Walther Pelzer, zuständig für die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR

Über 60 Prozent der Wertschöpfung für das ESM kommt aus Deutschland. Und genau hier gewinnt Deutschland und Europa an Vertrauen bei der Nasa, den das Service Modul steht bei der Priorität in der Zusammenarbeit für die amerikanische Raumfahrtbehörde ganz oben. 

Ein nationales Weltraumgesetz ist auf dem Weg, aber …

Pelzer betont auf der Pressekonferenz auch die Entwicklung einer neuen Raumfahrtstrategie in der Bundesrepublik: "Die alte ist etwas in die Jahre gekommen – das muss nicht heißen, dass sie schlecht ist, aber sie sollte um einige Themen erneuert werden." Die Themen wurden unter anderem mit dem DLR zusammen entwickelt.  

Bis zum nationalen Weltraumgesetz dauert es noch. Immerhin soll Deutschland in der Raumfahrt konkurrenzfähig sein und sich nicht selbst durch ein nationales Weltraumgesetz behindern. Dafür schaut sich das DLR die bestehenden Weltraumgesetze Frankreichs, das neue Weltraumgesetz Englands, aber auch von Belgien an. Pelzer betont auch den Blick nach Luxemburg, denn das kleine Land ist weltweit führend, wenn es um die Ausarbeitung von zukünftigem Bergbau auf Asteroiden geht. 

Auf deren Grundlage wird auch ein deutsches Weltraumgesetz entstehen. Ein europäisches übergreifendes Weltraumgesetz wird es nicht geben, da dies laut Pelzer nicht in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission fällt.

Deutschlands neue Raumfahrtstrategie für Europa

Der Chef der Deutschen Raumfahrtagentur geht auch auf die Ministerratskonferenz der ESA im November 2022 ein: "Deutschland stellt für die nächsten drei Jahre die politische Vertretung der Esa gegenüber der Europäischen Union, aber auch um die Interessen der Mitgliedsstaaten zu binden, zu verknüpfen und weiter zu entwickeln." Dafür hat Deutschland für die nächsten Jahre vier Milliarden Euro reserviert – der höchste je zur Verfügung gestellte Betrag einer Bundesregierung. 

Deutschlands europäisches Programm sieht vor allem den Weltraum als maßgeblichen Indikator für eine grüne Zukunft (Space for green future). Doch auch internationale Kooperationen sollen für mehr Unabhängigkeit ausgebaut werden. Dabei geht Pelzer auf die Frage der Autonomie Europas ein, die infolge des Ukrainekrieges an Wichtigkeit dazu gewonnen hat:

Deutschland ist der Meinung, das Unabhängigkeit nicht bedeutet, dass wir weniger Kooperationen machen müssen, sondern mehr Kooperationen.

Walther Pelzer, zuständig für die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR

Dabei geht es auch um die astronautische Erforschung des Weltraums über die Laufzeit der Internationalen Raumstation ISS hinaus. Russland will 2024 aus dem internationalen Projekt austreten, hat aber bereits um eine Verlängerung bis 2028 gebeten, da das Land so lange brauchen wird, bis es seine eigene Raumstation ROSS (Russian Orbital Service Station) in den Weltraum bringen kann. Für die Nasa wird das Ende der ISS mit einem kontrollierten Absturz in die Erdumlaufbahn ab 2030 eingeleitet werden. 

Europas Zugang zum All: Wo bleiben die Raketen?

Für die Exploration des Universums fehlt es Europa jedoch an einem Zugang zum Orbit. Die Ariane-5-Rakete wird im Juni zum letzten Mal starten. An Bord wird sich der Heinrich-Hertz-Satellit befinden, der aus einer Kooperation zwischen dem deutschen Verteidigungs- und Wirtschaftsministerium hervorgeht. Sein Prozessor soll auch nach dem Start, während sich der Kommunikationssatellit im Orbit befindet, noch programmierbar sein, um die Mission entsprechend anpassen zu können – quasi ein intelligenter Satellit.

Die ESA und die europäische Industrie entwickeln derzeit eine neue Generation von Trägerraketen: Ariane 6. Bildrechte: ESA - D. Ducros

"Die Launcher-Thematik ist wichtig, da Europa faktisch den unabhängigen Zugang zum All verlieren wird", erklärt Pelzer. Wie es mit der Vega-Rakete weitergeht, ist nicht sicher. Im letzten Jahr legte sie einen Fehlstart hin. Das schmälert das Vertrauen der Kunden in ein europäisches und zuverlässiges Raketensystem. 

Der Start der Ariane 6 verzögert sich seit Jahren. "Raumflug funktioniert nur mit den Launchern", sagt Pagels-Kerp und führt aus, dass der erste Triebwerkstest (hot-firing test) der kompletten Oberstufe der neuen Ariane 6-Rakete am DLR-Standort in Lampoldshausen (Baden-Württemberg) erfolgreich abgeschlossen wurde. Sie hofft auf einen Erstflug gegen Ende 2023. 

Zudem soll in diesem Jahr eine Start-up-Factory entstehen, die Ausgründungen des DLR und jungen Firmen bei der Überführung ihrer Idee in die industrielle Umsetzung helfen soll, erklärt Karsten Lemmer. Er ist als DLR-Vorstandsmitglied für Innovation, Transfer und wissenschaftliche Infrastrukturen zuständig. Vier bis sechs Ausgründungen aus dem DLR gibt es durchschnittlich pro Jahr. Unterstützung bekam beispielsweise auch die Rocket Factory Augsburg RFA, ein deutscher Kleinraketen-Hersteller, der in diesem Sommer sein Raketentriebwerk in Lampoldshausen testen darf. 

Ein Heißfeuer-Test eines Raketentriebwerkes am DLR-Standort in Lampoldshausen. Rechts befindet sich das Triebwerk in seiner Wagerechten und feuert zur linken Bildhälfte hin. Bildrechte: ArianeGroup

Aufbruch zu den Jupiter-Monden

Eine Mission, an der Deutschland ebenfalls beteiligt ist, wird dieses Jahr zum Jupiter aufbrechen: Juice. Diese hat zum Ziel, das Jupitersystem, vor allem die galileischen Monde zu beobachten, erklärt Pagels-Kerp. 

"Von deutscher Seite gibt es eine sehr große Bereitstellung. Insgesamt sind zehn Instrumente an Bord." Eines davon ist ein Laser-Altimeter, das dazu dienen soll, "bei der Umrundung der Monde die Oberflächenstrukturen genau zu messen – den Abstand zur Sonde zu messen", so die DLR-Bereichsvorständin für Raumfahrt. Dadurch können die Oberflächenstruktur und das Ausmaß von gezeitenabhängigen Hebungen und Senkungen des Wasserstandes – der Tidenhub – genauestens untersucht werden: "Daraus können Sie Rückschlüsse auf die Unterwasserwelt der Eismonde ziehen." 

Raumsonde Juice am Jupiter und seinen Monden. Bildrechte: MDR, ESA, ATG medialab, NASA, J. Nichols (University of Leicester), JPL, University of Arizona, DLR

Das zweite wichtige Instrument an Bord der Juice-Raumsonde ist die Janus-Multispektralkamera, die zwar an der italienischen Universität Neapel gebaut wird, aber an der das Institut für Planetenforschung in Berlin maßgeblich beteiligt ist. Die Kamera soll den Eismond Ganymed beispielsweise komplett in vier Farben kartografieren. Ein Pixel entspricht einem Quadrat mit einer Kantenlänge von 400 Metern. Drei Prozent der Oberfläche werden sogar mit einer Pixeldichte von 24 Metern und 60 Zielobjekte mit einer Auflösung von drei Metern pro Pixel untersucht.  

5 DLR-Institute in Ostdeutschland

Eine weitere DLR-Mission ist Grace, ein Satellit, der den Wasserhaushalt und die Bewegungen der Gewässer beobachten soll. Dabei kann der deutsche Satellit nicht nur sichtbare Gewässer, sondern auch das Grundwasser erforschen. Dadurch kann ein Frühwarnsystem für mögliche Katastrophen wie im Ahrtal in 2021 oder die Jahrhundertflut an der Elbe in 2002 entstehen. 

Gemeinsam mit der Bundeswehr baut das DLR das Kompetenzzentrum Responsive Space auf, das Ende 2023 bezugsfähig sein soll. Es soll sich auf schnelle Reaktionen durch die Veränderungen im Weltraum fokussieren. Da ein modernes Leben von einer weltraumgestützten Infrastruktur abhängig ist, die Navigation und Kommunikation auf See und an Land ermöglicht, würde der Ausfall eines solchen Satelliten laut dem DLR katastrophale Folgen "für zivile und militärische Endnutzer haben". Mit dem neuen Kompetenzzentrum sollen schnelle Lösungen ins All geschickt werden.

Die Pläne des DLR sind groß – genauso wie das Forschungszentrum mit seinen 55 Instituten und Einrichtungen an 30 Standorten. Fünf davon wurden in Ostdeutschland neu aufgebaut, die teilweise ihren vollen Ausbauzustand erreicht haben und "erheblich zu unserem Erfolg beitragen", erklärt Anke Kaysser-Pyzalla, die DLR-Vorstandsvorsitzende. Um zum Mond und später zum Mars zu fliegen, braucht es eben das geballte Wissen und Know-how aus ganz Deutschland. 

Links

Den Live-Stream zum nachschauen zur DLR-Jahrespressekonferenz finden Sie auf YouTube.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 01. März 2023 | 19:30 Uhr