Genetik Essen, Gesundheit, Sex – Besser leben mit DNA-Analyse?

12. November 2021, 16:51 Uhr

DNA-Tests kennt man vor allem aus dem Tatort oder aus der Internetahnenforschung. Sie verraten viel über uns, jeden Einzelnen. Da liegt es nahe, diese höchstpersönlichen Infos zu nutzen, um ein bisschen an einem besseren Leben zu schrauben. Das ist teilweise eine gute Idee. Und teilweise eben keine so gute. Ernährung, Liebe, Gesundheit – schauen wir doch mal in ein paar der Bereiche, in denen solche DNA-Forschung läuft. Aber erstmal machen wir uns nackt.

Eine weiße Frau und ein weißer Mann stehen auf einem Dach und küssen sich, blauer Himmel, Lichterkette, im Hintergrund eine große illustrierte DNA-Helix
Mit passender DNA knutscht sich's besser. Nun ja. Wer weiß. Bildrechte: IMAGO/Westend61 (M), Pixabay/mohamed_hassan (M), MDR

Sich am Strand kurz das Höschen vom Leib zu ziehen, um anschließend schnell in die Schwimmutensilien zu schlüpfen, das stellt für einen Teil der badenden Menschheit eine mittelschwere Herausforderung dar – die meist in witzigen Leibesübungen mit viel zu knappen Handtüchern endet. Dabei ist ein kurzes Entblößen im Seebad-Kontext weitestgehend harmlos und hat mit dem Richtignackigmachen sehr wenig zu tun. Und Letzteres scheint weitaus weniger mit Schamgefühl behaftet zu sein, ansonsten ließe sich damit vielleicht kein Müsli verkaufen. Kein Müsli mit Erbgutanalyse.

Erstens: Futtern nach DNA-Plan

Aber der Reihe nach: Ein durchaus marktbeherrschender Biomüsli-Hersteller hat in seinem Onlinevertrieb seit jeher auf eine kleinteilige Personalisierung der Frühstückskörner gesetzt. Im vergangenen Jahr packt er noch eins oben drauf und holt einen ernährungsspezifischen DNA-Test ins Programm. Hätte man sich auf diese Weise vor dreißig Jahren die Zukunft erzählt, hätte das durchaus plausibel geklungen. Heute liegt ein erstes Kopfschütteln trotzdem nahe. Der Preis für Testkit und Auswertung geht an die 200 Euro zu. Statt aber nur eine personalisierte Müslidose auszuspucken, gibt's einen ganzen Ernährungsplan, Rezepte sind auch dabei. Das Fünfzig-Seiten-Schriftgut klärt über Neigung zum Übergewicht, Hungergefühl und Jojo-Effekt auf. Und ja, ein wissenschaftlicher Algorithmus sei für die Ergebnisse verantwortlich.

Das Thema wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Vorab sei gesagt: Nicht nur der Müslihersteller bietet solche Tests an. Ernährungspläne nach DNA-Analyse sind mittlerweile ein eigener Markt. Vor allem, weil hier das fast inflationär zitierte "Wunschgewicht" im Mittelpunkt steht – der Test als letzter Ausweg, um ein Körpergefühl zu erlangen, das den gesellschaftlichen Normen entspricht. Das ist erstmal eine zumindest nachvollziehbare Idee, weil unser Erbgut nicht nur Informationen darüber enthält, welche Farbe unsere Augen haben, wie groß die Nase ist und wie straff das Bindegewebe am Hintern sitzt. Sondern auch, wie Stoffwechsel, Hunger- und Sättigungsgefühl individuell ausgeprägt sind.

DNA-Ernährung kann nicht die ganze Wahrheit sein

"Es ist vollkommen richtig, dass Menschen Gen-Variationen aufweisen, die sich unterschiedlich auf den Stoffwechsel auswirken können", das sagte die Verbraucherschützerin Annabell Dierks der Deutschen Presseagentur. Aber: "Es gibt vieles, was noch gar nicht entdeckt oder wissenschaftlich ausreichend belegt wurde." Ausgerechnet die Wissenschaft hängt also dem Zeitgeist hinterher! Das hat zur Folge, dass sich die Gentests nur einem Teil des Erbgutapparats annehmen können – ohne Garantie auf Vollständigkeit. Ein Klassiker ist wohl das FTO-Gen, dessen Ausprägung in Studien mit Fettleibigkeit assoziiert wurde. [1] [2]

Porträt einer weißen Frau mit langen, roten, leicht gewellten Haaren, die auf Kopfhöhe Müsli in eine Schüssel kippt. Blickt auf einzufüllendes Müsli.
Müsli gibt's in allerhand Darreichungsformen. Auch mit DNA-abgeglichenen Ingredienzen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

Ein DNA-Test kann also nur Teil eines wirklich personalisierten Ernährungsplans sein. Schließlich ist auch der Lebensstil, also insbesondere Bewegung, nicht ganz unerheblich. Außerdem ändert sich der Bedarf an Nährstoffen je nach Alter, darauf weißt Michael Stang von Deutschlandfunk Nova hin. Das Ding ist nur: Sowas steht nicht in den Genen. Eine herkömmliche Ernährungsberatung kann die Erbgutanalyse also nicht ersetzen.

Zweitens: Liebe und Sex

Wenn Sie glauben, dass das Nackigmachen ohne Ausziehen im Sinne einer personalisierten Ernährung das Ende der Fahnenstange ist – na dann suchen sie mal im Netz nach "DNA-Partnerbörse". Sagen wir es mal so: Weder auf den klassischen Vermittlungsplattformen, noch in den zeitgenössischen Dating-Apps ist das Erbgut ein Thema. Dort steht der Interessenabgleich durch Frage-Antwort-Spielchen im Vordergrund. Aber: Die oder den perfekte*n Genpartner*in zu finden, scheint durchaus seinen Reiz zu haben und flammt als Vermittlungskonzept immer wieder auf. Zuletzt popkulturellerweise durch die Netflix-Serie The One – Finde dein perfektes Match, der ein Roman aus dem Jahr 2019 vorausgegangen ist. Tatsächlich gibt es auch einen wissenschaftlichen Ansatz, der dem Gen-Match zu Grunde liegt.

Und der heißt – bitte festhalten auf der Fremdwortachterbahn – Haupthistokompatibilitätskomplex. Merken Sie sich bitte einfach MHC. MHC bezeichnet eine Gruppe von Genen, die u.a. für unser Immunsystem eine Rolle spielen. Und deshalb für unsere Partner*innenwahl. In einer Studie mussten männliche Studierende zwei Nächte lang T-Shirts tragen. Der Geruch der T-Shirts wurde dann von weiblichen Studierenden bewertet. Die fanden Gerüche angenehmer, die von Männern stammten, deren MHC sich deutlich von ihren eigenen unterschieden. [3]

DNA-Dating: Erspart den Schnuppertest

Berechtigte Folgefrage: Was hat das jetzt mit dem Immunsystem zu tun? Na ja, je unterschiedlicher das gestrickt ist, desto widerstandsfähiger könnte ein erzeugtes Kind sein. Sie sehen, es geht mal wieder nur darum und so rein gar nicht um eine romantische Duftnote, die ohne Paarung eben evolutionär gesehen schlichtweg nutzlos blieb. Das lässt sich jetzt natürlich als Grundlage für ein Geschäftsmodell nutzen. Zum Beispiel hat das Gmatch so gemacht – eine Gen-Partnervermittlung, die es inzwischen nicht mehr zu geben scheint.

140 Euro hat eine Typisierung gekostet – und damit durchaus weniger als der Ernährungsplan. Vielleicht ist der Gegenwert auch einfach nicht groß genug: Denn sicherlich ist es eine nette Dienstleistung, beim ersten Date keine unangenehme Dufterfahrung zu erleben. Aber erstens ist's schade um die schöne Aufregung und zweitens heißt das nicht, dass die Datenden vor anderen unangenehmen Überraschungen gefeit wären. Der Humangenetiker Wolfram Henn von der Universität des Saarlands gab im Zuge dessen auch zu bedenken, dass der Geruch selbst nur zum Teil durch das Immunsystem beeinflusst werde.

Ethische Fragen beim Gen-Abgleich

Trotzdem: Wiedermal ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht. Denn beim Thema Fortpflanzung lässt sich durch Genoptimierung noch einen Schritt weiter gehen. Und gegangen ist den der Genetiker George Church von der Harvard-Universität. Seine eher nebensächliche Ankündigung sorgte 2019 für Aufsehen, als er eine sich in Entwicklung befindliche Dating-Softwarebasis beschrieb, die durch Gen-Abgleich Erbkrankheiten auslöschen könne. Er schob gleich eine wirtschaftliche Kennziffer hinterher: Eine Milliarde Dollar ließen sich so jährlich einsparen. Der Aufschrei folgte prompt, schließlich erinnerte die Idee an das hässliche Konzept der Eugenik – auch "Rassenhygiene" genannt.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Tests auf potenzielle Erbkrankheiten bei Paaren mit Kinderwunsch bereits zur medizinischen Tagesordnung gehören. Eine ethische Herausforderung: Schließlich kann das Wissen darüber verhindern, dass Kinder nicht geboren werden, die andernfalls auf die Welt gekommen wären.

Drittens: Gesundheit

Wo wir gerade dabei sind: Es gibt auch Ansätze, die nicht nur das Gute wollen, sondern deren Methode auch keinen ethischen Diskurs nach sich zieht. Das zeigt Forschung aus Dresden beim Thema Krebserkrankungen im Kindesalter. Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT/UCC) wurde das sogenannte Trio-Verfahren entwickelt, bei dem eine Gen-Analyse von Mutter, Vater und neu an Krebs erkranktem Kind stattfindet. [4] Dadurch ist es möglich, die Therapie individuell anzupassen und entsprechende Vorsorge-Empfehlungen geben zu können. Das Ziel ist, dem Kind nach der Therapie ein gesundes Leben zu ermöglichen.

Porträt Frau mit Brille, OP-Maske und schulterlangen blonden Haaren im Arztkittel, auf Stuhl an Schreibtisch sitzend, im Vordergrund unscharf andere Frau über Schulter von hinten.
Prof. Julia Hauer erforscht am Uniklinikum Dresden, wie Krebserkrankungen bei Kindern besser behandelt werden können Bildrechte: TU Dresden/Stephan

Darüber hinaus würde auch die Krebsforschung von der Trio-Studie profitieren, zu der das NCT/UCC im Februar eingeladen hat. Bislang unbekannte genetische Veranlagungen für Krebserkrankungen im Kindesalter können so besser untersucht und Strategien zur Vorbeugung entwickelt werden. "Für Leukämien untersuchen wir beispielsweise, inwieweit Infektionen in Kombination mit speziellen genetischen Veranlagungen den tatsächlichen Ausbruch der Krebserkrankung begünstigen können. Bestimmte Impfungen könnten dann nicht nur gegen die jeweilige Infektion schützen, sondern zusätzlich eine präventive Wirkung gegen Krebs entfalten", sagt Julia Hauer, Professorin am Uniklinikum in Dresden. Akute Leukämien sind die häufigsten Krebserkrankung bei Kindern. Hier vorzubeugend handeln zu können, wäre ein wichtiger Schritt.

Auch Parkinson könne mit Hilfe von Gentests früh erkannt werden, das zeigt eine aktuelle Studie der Uni Saarland. Früherkennung sei wichtig, da die Krankheit beim Auftreten der typischen Symptome schon weit fortgeschritten sei. Durch eine Früherkennung ist es möglich, die Krankheit durch medizinische Maßnahmen in ihrem Verlauf zu verlangsamen, in Zukunft vielleicht sogar aufzuhalten. [5]

Viertens: Was bleibt – Datenschutz und Selbstoptimierung

Kommen wir noch mal auf die Sache mit dem Nackigmachen zurück: Unser Erbgut ist so ziemlich das Intimste, das wir besitzen – ja, intimer als alles zwischen Brustmuskel und Beckenknochen. Weil es letztendlich das ist, was unsere Innerstes und Äußerstes codiert und definiert – unser Bauplan, sozusagen. Ein Gen-Striptease ist also so eine Sache. Vor einem gesundheitlichen Hintergrund wie der Krebsprävention und -heilung stellt sich die Frage nach Sinn und Unsinn schon mal nicht. Ob es eine gute Idee ist, sein Erbgut an einen Müslihersteller zu schicken, steht auf einem anderen Blatt. Tatsächlich ist unser aller Speicheltest Gold wert. Das hochsensible Informationspaket weckt Begierde, ein Datenhandel liegt nahe. Und damit muss noch nicht einmal von Missbrauch die Rede sein.

Frau in leicht verschneiter Gebirgslandschaft mit Bergen, Geröll und dicker roter Winterjacke mit Pelzkragen blickt auf Fitness-Tracker-Armband. Frau im Anschnitt rechts, Natur im Hintergrund unscharf.
Die Frage ist nicht: Wie spät ist es? Sondern: Wie optimiert bin ich grad? Bildrechte: IMAGO / Westend61

Gerade in den Vereinigten Staaten locken Gen-Test-Anbieter im Internet mit der archetypischen Sehnsucht, den großen Fragen auf den Grund zu gehen: Wo komme ich eigentlich her? Und wie viele gibt's von mir? Biogeografische Informationen und Stammbaumverhältnisse sind zum kleinen Preis zu haben: "Früher waren die halt relativ teuer, die werden immer billiger. Daran sieht man, dass das Geschäftsmodell eigentlich nicht darauf basiert, dass mit diesen Tests Geld gemacht wird, sondern mit dem Nutzungsrecht an den Daten und das sind nun mal natürlich die genetischen Daten, die dann eben an Pharmafirmen verliehen werden oder damit wird auch eigene Forschung gemacht." Das sagte die Molekularbiologin Isabelle Bartram vom Gen-ethischen Netzwerk bei Deutschlandfunk Kultur. Zuvor hatte die US-Firma FamilyTreeDNA eingeräumt, Gendaten mit der US-Sicherheitsbehörde FBI geteilt zu haben, zur Aufdeckung von Gewaltverbrechen.

Noch mehr Selbstoptimierung

Das bedeutet nicht, dass die Erstellung eines DNA-gestützten Ernährungsplans sofort einer datenschutzrechtlichen Vollkatastrophe gleichkommen muss. Aber zumindest die Möglichkeit besteht. Eine weitere Frage betrifft die Kultur der Selbstoptimierung. Die kann man mögen oder auch nicht, kommt eben auf den Blickwinkel an. Selbstoptimierung und damit einhergehend Selbstvermessung – das beginnt bei der Smartwatch und endet bei der Gen-Analyse. Eine tatsächliche Verbesserung der Lebensqualität ist dadurch keineswegs ausgeschlossen. [6] Allerdings besteht das Risiko, vor allem äußeren Anforderungen gerecht zu werden. [7]

Ein Körper muss nicht das von der Gesellschaft definierte Idealgewicht besitzen, um gesund zu sein. Und es wundert kaum, dass eine auf Effizienz getrimmte Partner*innenvermittlung etwas ist, das genügend Stoff für eine Netflix-Dystopie liefert, sich aber in der Gegenwart noch nicht durchgesetzt hat. Das lässt genügend Raum für gesunden Kontrollverlust, für Unvorhergesehenes, für Überraschungen. Und vielleicht auch einen ganz kurzen Nervenzusammenbruch. Wie am Strand, wenn der Badehosen-Handtuch-Tanz mal wieder nicht von Erfolg gekrönt ist.

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