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Bildrechte: IMAGO/Christian Ditsch

Drei Minuten ZukunftTreue, Misstrauen, "die da oben": Wann gehen wir mit der Politik auf Kuschelkurs?Gespräch mit Historikerin Ute Frevert

23. Juni 2022, 13:49 Uhr

Das Verhältnis zwischen der Politik und Bürgerinnen und Bürgern ist nicht immer ein leichtes. Und es hat sich stark gewandelt. Wäre es dann nicht ganz cool, wenn die Häuptlinge der Republik unsere Freunde wären? Für die Historikerin Ute Frevert steht etwas ganz anderes im Vordergrund, wie Sie im Gespräch mit MDR WISSEN erzählt.

Frau Frevert, Sie reden und schreiben über Gefühle — wie fühlen Sie sich denn heute selber?

Mir geht das durch den Kopf, was uns allen durch den Kopf geht, vermutlich vor allen Dingen auch Angehörigen meiner Generation. Was aus Europa wird, was aus der Welt wird, wenn dieser Krieg in der Ukraine weitergeht und mit welchem Ergebnis er beendet sein wird.

Als Wissenschaftlerin beschäftigten Sie sich u.a. mit den Gefühlen zwischen Bürger/-innen und Politiker/-innen. Was ist denn daran so spannend?

Mich interessiert an dem Verhältnis zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern vor allem, wie und warum es sich in den letzten 200 Jahren so massiv geändert hat. Treue war das emotionale Bindeglied zwischen dem König und seinen Untertanen, vor allen Dingen von der Seite der Untertanen her gedacht. Und das verändert sich seit der Französischen Revolution und ihren Ergebnissen in Europa doch ganz massiv. Dass wir immer mehr nicht mehr von Treue sprechen als das, was diese beiden Akteure der Politik zusammenhält, sondern dass der Begriff des Vertrauens und damit natürlich auch des Misstrauens im Mittelpunkt steht. Und dann sehr viele Strategien entwickelt werden von beiden Seiten, wie man um Vertrauen wirbt, wie man Vertrauen erhält, was man tut, wenn man Vertrauen verspielt hat.

Man könnte meinen, dass unser Gefühl gegenüber Politiker/-innen sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt von einer Mischung aus Misstrauen und Abgabe von Verantwortung geprägt ist.

Ich sehe es eigentlich andersherum: Es ist nicht so sehr eine Abgabe in andere Hände, sondern es ist ein Zugewinn auch an Handlungsmacht. Die ist uns ja auch nicht in den Schoß gefallen, sondern wurde Stück für Stück das erste Mal erobert, so dass wir eine Vielzahl von Möglichkeiten haben, uns mit der Politik ins Benehmen zu setzen. Und was wir von ihr erwarten, das hat sich massiv verändert. Und auch das, was wir von ihren Repräsentanten erwarten. Am Anfang vor allen Dingen sollten sie Sicherheit bieten, sie sollten möglichst unemotional und sachlich sein. Dann gab es die Zeit mit Willy Brandt, als man anfing, solche jungen Kanzler auf einmal fast schon zu vergöttern, nicht gerade anzubeten, aber doch auch froh war über diesen frischen Wind und ihm Gefühle der Begeisterung und Verehrung angetragen hat, die für Politiker dann auch sehr schwierig zu behandeln waren. Dann hatten wir mal einen Kanzler zum Anfassen, der sich auch ganz bewusst als ein solcher inszeniert hat, der so getan hat, als ob er einer wie du und ich ist. Dann hatten wir eine Kanzlerin, die eher unemotional aufgetreten ist und wenn sie Gefühle rübergebracht hatte, dann auch dafür zum Teil sehr abgestraft worden ist.

Bildrechte: MDR WISSEN/Laura Becker

Prof. Dr. Ute Frevert… forscht zur Sozial- und Kulturgeschichte in jüngerer Vergangenheit, z.B. zum Thema Geschlechterdifferenzen oder Emotionsgeschichte. Die Historikerin ist eine Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Seit 2004 ist sie Mitglied der Leopoldina.

Die Politik wird von der Gesellschaft auch dann abgestraft, wenn sie ihr misstraut. Woher kommt das denn eigentlich?

Misstrauen entsteht dann, wenn man den Eindruck hat, dass da etwas im im Verborgenen bleibt. Man möchte mittlerweile als Bürgerin und Bürger sehr gut informiert werden. Das heißt nicht unbedingt, dass man das so weit kommen lassen möchte, dass man den Politikern und Politikerinnen beim Denken und beim Handeln zuschaut. Was sich an Erwartungen in diesem Feld gebildet hat, ist doch, dass Politiker ihre Entscheidungen sehr gut kommunizieren, dass sie auch durchaus zeigen, was ihnen an dieser Entscheidung schwergefallen ist, warum sie bestimmte Aspekte weniger gewichtet haben als andere. Und in diesen Prozess so weit wie möglich einbezogen zu werden und nicht einfach nur eine glatte Performance abgeliefert zu bekommen. Insofern finde ich es noch mal interessant zu beobachten, wie jetzt ein Vizekanzler wie Robert Habeck, der sich beim Hadern und auch beim Zaudern, aber auch beim Handeln und Entscheiden zuschauen lässt, auf Dauer in dieser Bevölkerung ankommt.

Wer heute dieses Ressentiment bedient – ›die da oben machen sowieso, was sie wollen‹ – hat die Idee von Demokratie nicht begriffen.

Prof. Dr. Ute Frevert

Na ja, wenn er sich im Laufe einer Amtszeit zu viele Böcke leistet, ist er wahrscheinlich schnell einer von "denen da oben", egal wie sehr er hadert.

Wenn man versucht, sich in das achtzehnte Jahrhundert zurück zu beamen und sich vorzustellen, dass es da einen König oder einen Fürst gegeben hat: Natürlich, der war "da oben" und wir waren "da unten". Wir waren als Untertan Befehlsempfänger und waren sozusagen Knetmasse in seiner Hand. Wer heute dieses Ressentiment bedient – "die da oben machen sowieso, was sie wollen" und "wir hier unten können ja nur abnicken" –, der hat die Idee, das Konzept und die Praxis von Demokratie – auch als eine emotionale Vertrauenspraxis – bis heute nicht begriffen.

Wie hat sich unser Verhältnis zur Politik verändert? Das erforscht Ute Frevert v.a. mithilfe von Zeitdokumenten. Bildrechte: MDR WISSEN/Laura Becker

Sie meinten vorhin, dass wir uns diese Demokratie hart erkämpfen mussten. Bleibt sie dann auch wenigstens für immer bei uns?

Historiker sind keine Zukunftsforscher und den Zukunftsforschern würde ich auch nicht glauben. Aber ich würde mal vermuten, dass es kein Zurück gibt zu einer autoritären Variante von Politik, obwohl wir genau das seit ungefähr 15 Jahren in Russland beobachten. Aber in den europäischen Ländern, die gleichzeitig aber auch durch populistische und rechtspopulistische Bewegungen sehr stark gefährdet sind, könnte ich mir eher vorstellen, dass diese kritische Distanz gegenüber der Politik bestehen bleibt. Dass der Wunsch nach einer Bürger- und Bürgerinnen-freundlichen Kommunikation politischer Entscheidungen wachsen wird. Und darauf geht ja auch die politische Klasse seit geraumer Zeit ein: So viele Kommunikationsberaterinnen und -berater wie dort in den letzten Jahren eingestellt wurden, gibt es wahrscheinlich in keinem anderen Bereich.

Ich würde mal vermuten, dass es kein Zurück gibt zu einer autoritären Variante von Politik.

Prof. Dr. Ute Frevert

Gute Kommunikation ist bekanntlich eine Grundlange guter Freundschaften. Also, wann werden Politikerinnen und Politiker endlich unsere Freunde?

Eine freundschaftliche Bindung zwischen Bürgern und Politikern sollte es nicht geben. Freundschaft ist etwas sehr Privates. Da wird sehr genau gesucht und geschaut, welchen Menschen ich mir als Freundin oder als Freund hole. Wenn ich jemanden eine Wahlstimme gebe, der mich repräsentiert im Bundestag, dann möchte ich nicht unbedingt mit dem befreundet sein. Das, glaube ich, ist gar keine Kategorie des Verhältnisses zwischen Bürger/-innen und Politikern.

Frau Frevert, herzlichen Dank.

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