Klimaschutz Dürfen wir noch fliegen?

28. Juni 2019, 13:11 Uhr

Urlaubszeit ist Reisezeit - für viele von uns mit dem Flugzeug. Aber sollten wir in Anbetracht der Klimasituation überhaupt noch fliegen? Oder weniger? Oder uns freikaufen von unserem Anteil Schuld an der CO2-Bilanz? Noch ist das eine persönliche Entscheidung. Hier einige Fakten, die helfen können, sie zu treffen.

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Was macht Flugreisende eigentlich zu Klimasündern?

Dass unser CO2-Fußabdruck enorm wächst, sobald wir ein Flugzeug besteigen, davor werden wir immer wieder gewarnt. Aber es ist nicht nur der Ausstoß von Kohlendioxid, der durch die Verbrennung von Kerosin auf die Klimaerwärmung einzahlt. Stickstoffdioxid entsteht ebenfalls und fördert die Bildung von Ozon. Das wirkt in der Reiseflughöhe als Treibhausgas, erklärt das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau.

Wasserdampf, Rußpartikel, Kondensstreifen - all das fördert ebenfalls direkt oder indirekt die Erwärmung. Und die wenigen abkühlenden Effekte des Fliegens - Sulfataerosole reflektieren die Sonnenstrahlung und Stickstoffdioxid reduziert die Konzentration des als Treibhausgas bekannten Methans - sind verschwindend gering.

Cirruswolken
Gefährlich schön: Cirruswolken tragen zur Klimaerwärmung bei Bildrechte: imago/Gottfried Czepluch

Alles halb so schlimm?

Auch wenn die Flugzeuge eine Menge in die Luft schleudern, was die Klimaerwärmung nachweislich vorantreibt: Im Hinblick auf den CO2-Ausstoß an sich rangiert der Flugverkehr in der Liste der Klimasünder ganz unten im internationalen Ranking (Stand 2015). Spitzenreiter sind Strom- und Wärmeerzeugung mit 41,93 Prozent, gefolgt von 17,94 Prozent Straßenverkehr. Dagegen stehen mit 2,69 Prozent das Fliegen und 2,52 Prozent Schiffsverkehr. Auch im deutschlandweiten Vergleich sieht das Verhältnis ähnlich aus: 35,3 Prozent des CO2-Ausstoßes verursachen Fahrzeuge im Straßenverkehr, nur 1,4 Prozent Flugzeuge im nationalen Luftverkehr. Doch die Tendenz ist steigend. Hinzu kommen die starken Effekte in der Höhe, weiß Corinna Gather, Emissionsexpertin des Umweltbundesamtes:

In der Höhe haben diese Treibhausgasemissionen einen viel schädlicheren Effekt als unten am Boden. Sie wirken dort oben etwa drei- bis viermal so stark.

Corinna Gather, UBA

Eine Studie der Universität Sydney von 2018 zeigt, dass der Tourismus etwa acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursacht. Zwischen 2009 und 2013 hat nach den Berechnungen der Forscher der weltweite CO2-Tourismus-Fußabdruck von 3,9 auf 4,5 Gigatonnen CO2-Äquivalent zugenommen. Zum Vergleich: Der CO2-Fußabdruck der Stadt Berlin liegt nach einer ebenfalls 2018 erschienenen Studie bei 33 Megatonnen pro Jahr, also weniger als einem Tausendstel.

Der Tropfen auf dem heißen Stein

Die Klimaverträglichkeit unseres CO2-Ausstoßes insgesamt ist ausgereizt. Jede noch so kleine Entlastung hilft. Sei es durch alternative Antriebe oder eben Verzicht. Da es für den Flugverkehr derzeit noch keine klimafreundliche technische Lösung wie Biotreibstoffe oder das Null-Emissions-Flugzeug gibt, können wir nur verzichten - oder uns freikaufen. Diese Möglichkeit bietet u.a. die Initiative atmosfair - auch wenn sie es anders nennt: Kompensation.

Das bedeutet, Sie können einen Klimaschutzbeitrag an atmosfair zahlen und wir betreiben dann damit Klimaschutzprojekte weltweit, die dann wieder genau die Menge an CO2 einsparen, die Sie bei dem Flug verursacht haben.

Dr. Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer atmosfair

Konkret heißt das z.B., Haushalte und kleine Bauernhöfe in Afrika mit Biogasanlagen für Kuhdung auszurüsten, damit die Menschen dort das Holz ihrer Wälder nicht dafür roden müssen, so Brockhagen.

Eine halbe Tonne CO2 für 13 Euro

Auf der Website von atmosfair kann man ausrechnen, welchen Schaden man mit seinem Flug verursacht und in welcher Höhe man ihn demzufolge kompensieren kann. Man gibt Start- und Zielort ein, z.B. Leipzig - Mallorca. Das ergibt hin und zurück gut eine halbe Tonne CO2. Diese Menge woanders einzusparen, kostet 13 Euro, haben die Initiatoren festgelegt. Kritiker sehen darin eine Art modernen Ablasshandel. Immerhin neun Prozent der Flugreisenden nutzen ihn nach Angaben des Umweltbundesamtes.

Atmosfair gehört dabei neben Prima-Kollekte und Primaklima zu den Siegern im Vergleich der Stiftung Warentest. Und auch einige Airlines bieten Ausgleichszahlungen an. Das UBA hat ein Übersicht über das Thema Kompensation und die Projekte in Deutschland ins Netz gestellt und empfiehlt den "Gold Standard". Dabei sollen die Projekte nicht nur dem Klima helfen, sondern auch den Menschen und der Biodiversität.

Auch die Bundesregierung "kompensiert"

Deutschland wird sein Klimaziel für 2020 voraussichtlich nicht erreichen. Schweden und Dänemark mit einem ähnlich hohen Ziel haben es jedoch bereits geschafft. Um trotzdem im vorgegebenen Rahmen zu bleiben, kann die Bundesregierung Emissionszertifikate von anderen EU-Staaten kaufen. Für 2030 sind die Ziele noch höhergesteckt. Ohne drastische und kurzfristig wirksame Maßnahmen werden auch sie nicht zu erreichen sein.

Jeder Beitrag zählt

Seit 1990 steigt die Zahl der Fluggäste kontinuierlich. Der Flugverkehr hat zugenommen, genauso wie die Zahl an Verbindungen. Zugunsten des Klimas auf eine Flugreise verzichten will nach wie vor nur einer von neun Befragten in Deutschland. Dabei liegt das Gute doch so nahe und man muss gar nicht in die Ferne schweifen, meint der NABU.

Wer unser Klima schonen will, findet viele umweltfreundliche Alternativen zu Flugreisen. Auch in der heimischen Natur gibt es viel zu erleben und zu entdecken. Das schont nicht nur die Umwelt, sondern auch die Nerven der Reisenden.

Olaf Tschimpke, NABU-Präsident

Schönes und Besonderes zu entdecken, sei keine Frage von Entfernung. Auf nahegelegenen Wander- und Radwegen lassen sich Schutzgebiete erreichen, in denen man nahezu unberührte Natur genießen könne. Allein 23 Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate vom Wattenmeer bis in die Alpen empfielt der NABU in seiner Initiative "Fahrtziel Natur" und hat darüber hinaus Tipps für einen umweltverträglichen Urlaub.

Auch wenn die Debatte darüber, ob man überhaupt noch fliegen soll oder darf, in der Öffentlichkeit erbittert geführt wird, bleibt es vorerst für jeden eine persönliche Entscheidung, zumindest in Sachen Urlaubsreisen.

Und es hilft, sich vorab ein paar Fragen zu stellen:

Welche Alternativen zum Flug gibt es?

Kann ich direkt fliegen?

Wie groß sind die CO2-Emissionen der Airline (atmosfair-Berechnungen)?

Kann ich nach dem "Gold Standard" kompensieren?

 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 15. April 2019 | 06:16 Uhr