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Rote Schleife, die an HIV- und AIDS-Betroffene erinnert. Bildrechte: imago images/Martin Wagner

AIDSDüsseldorfer Patient: Nach Transplantation von Stammzellen von HIV und Krebs geheilt

22. Februar 2023, 08:59 Uhr

Mediziner haben Patienten von Leukämie und HIV geheilt. Sie transplantierten dazu gegen das Virus resistente Stammzellen. Noch ist die Methode nicht bei allen HIV-Infizierten anwendbar, trotzdem gilt sie als wegweisend.

von Clemens Haug

Für den 53-jährigen Patienten dürfte auf eine Weise ein doppeltes Wunder in Erfüllung gegangen sein: Seinen Ärzten gelang es, ihn gleichzeitig von seiner HIV-Infektion und einer lebensbedrohlichen Leukämie zu heilen. Wie ein Team um die Düsseldorfer Mediziner Björn Jensen und Guido Kobbe im Fachmagazin "Nature Medicine" berichtet, konnten sie den Mann mit Hilfe von transplantierten Stammzellen sowohl von dem Virus als auch von der Krebserkrankung befreien.

HIV-Infizierter erkrankte an lebensbedrohlicher Leukämie

Der heute 53 Jahre alte Mann hatte 2008 erfahren, dass er sich mit dem bislang weitestgehend unheilbaren Immunschwächevirus HIV angesteckt hatte. Wird die Infektion nicht behandelt, befällt das Virus nach und nach die T-Zellen des Körpers, die eine zentrale Rolle bei der Abwehr von Virusinfektionen spielen. Nach einigen Jahren Inkubation kann es dann zum Ausbruch der Krankheit AIDS kommen, die früher oft tödlich verlief.

Inzwischen kann die Virusvermehrung bei Patienten mit Medikamenten allerdings dauerhaft eingedämmt werden, wodurch Betroffene in der Regel eine normale Lebenserwartung haben. Der betroffene Düsseldorfer Patient erkrankte allerdings 2011 zusätzlich noch an myeloischer Leukämie, also einem lebensbedrohlichen Blutkrebs.

Spenderzellen waren resistent gegen HIV

"Das Ziel war von Anfang an, den Krebs und die HIV Infektion zu behandeln", sagt Professor Guido Kobbe, der nun eine Transplantation von Stammzellen plante und 2013 durchführte. Dazu entfernten Ärzte bei dem Patienten zunächst das vom Krebs befallene Gewebe und setzten ihm dann Stammzellen einer kompatiblen Spenderin ein. Dieses Stammzellgewebe ist sozusagen die Produktionsstelle für neue Immunzellen, darunter auch T-Zellen.

Das besondere an den Spenderzellen: Sie trugen eine genetische Mutation namens CCR5Δ32, die dazu führt, dass ein bestimmtes Merkmal an der Oberfläche der Zellen fehlt. Dieser CCR5-Rezeptor bildet damit bei den meisten Varianten des HI-Virus die Eintrittspforte, durch die der Erreger zu Zellen befallen kann.

Düsseldorf-Patient: Dritte durch Stammzellen geheilte HIV-Infektion

Den neuen Immunzellen des Patienten fehlte diese Eintrittspforte nun. In der Folge nahmen nach und nach die Symptome ab. 2019, sechs Jahre nach der Transplantation, konnte er schließlich alle antiviralen Medikamente gegen das Virus absetzen. Die Forschenden suchten regelmäßig nach Hinweisen für eine erneute Ausbreitung des HI-Virus, konnten aber keine entdecken. Der "Düsseldorf-Patient" gilt damit nach dem "London-Patienten" und dem "Berlin-Patienten" erst als der dritte Mensch weltweit, der durch eine solche Transplantation von HIV geheilt werden konnte.

Björn Jensen, Erstautor der neuen Studie, hofft nun, die Erkenntnisse auch für die Heilung weiterer HIV-Patienten einsetzen zu können. "Es muss nun weiter erforscht werden, wie dies außerhalb der von uns beschriebenen engen Rahmenbedingungen möglich ist", sagt er.

Nur einer von 100 Spendern trägt die gesuchte Mutation

Mehrere nicht an der Studie beteiligte Mediziner bezeichneten die Arbeit als wertvoll, gut gemacht und sehr hilfreich im weiteren Forschungsprozess. Sie glauben aber nicht, dass die Methode für die Anwendung bei allen HI-Infizierten geeignet ist, da es eine Reihe von Problemen gibt.

Zunächst sei es sehr schwer, geeignete Stammzellenspender zu finden. Das ist auch ohne die entsprechende Mutation schon schwer. Die Veränderung, die für HIV wichtig ist, komme aber nur bei etwa einem von 100 geeigneten Spendern vor, schätzt Boris Fehse, Leiter der Forschungsabteilung Zell- und Gentherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. "Und dies gilt nur für Europäer beziehungsweise Menschen europäischer Abstammung. Bei vielen anderen Ethnien kommt die Mutation gar nicht vor, sodass sich für betroffene Patienten überhaupt keine CCR5Δ32-homozygoten Spender finden ließen."

Stammzellentransplantation: Potenziell tödliche Nebenwirkungen

Doch selbst wenn geeignete Spender gefunden werden, ist das Risiko von gefährlichen Wirkungen der Stammzellenspende sehr hoch. Damit Empfänger die neuen Stammzellen nicht abstoßen, müssen sie mit Medikamenten für eine längere Dauer ihr Immunsystem unterdrücken. In dieser Zeit können gewöhnliche Erkältungserreger sehr gefährlich sein.

Umgekehrt kann es aber auch dazu kommen, dass sich die gespendeten Stammzellen und die aus ihnen hergestellten Immunzellen gegen den Körper des Empfängers richten. "Zusammengenommen ergibt sich für den Patienten ein signifikantes Risiko schwerer, manchmal auch tödlicher Nebenwirkungen", sagt Boris Fehse. "Dieses Risiko ist vor dem Hintergrund einer unausweichlich tödlich verlaufenden Blutkrebserkrankung akzeptabel, nicht jedoch im Kontext einer Krankheit, die sich, wie die HIV-Infektion, heute gut kontrollieren lässt und in Deutschland mit einer weitgehend normalen Lebenserwartung assoziiert ist."

Mit Hilfe von CRISPR/Cas eigene Immunzellen resistent machen

Die potenziell tödlichen Nebenwirkungen einer Transplantation könnten allerdings durch eine andere Methode umgangen werden: Bei nicht an Krebs erkrankten HIV-Infizierten könnten Stammzellen durch Gentechnik so verändert werden, dass sie am Ende auch die Resistenz-Mutation tragen. Das wäre mit der Genschere CRISPR/Cas auch möglich, sagt Toni Cathomen, Direktor am Institut für Gentherapie und Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg. In der Praxis ist das aber noch sehr kompliziert.

"Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, das heißt das Ausbilden einer anhaltenden HIV-Resistenz, ist eine hohe Editing-Frequenz am CCR5-Gen. Computer-basierte Modelle gehen davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Immunzellen CCR5-frei sein müssen, um dieses Ziel zu erreichen", erklärt er. Das bedeutet, eine veränderte Zelle im Gewebe reicht nicht, es müssen mindestens die Hälfe oder sogar mehr sein.

Großes Potenzial von Gen-Immuntherapien bei der Heilung von HIV

Mediziner wie Cathomen und Fehse sind allerdings optimistisch, dass das durch weitere Forschung irgendwann gelingen kann. Allerdings droht zugleich die Gefahr, dass sich dann Varianten von HIV durchsetzen, die andere Rezeptoren für den Eintritt in die Zelle nutzen und so die Resistenz überwinden.

Dennoch halten die Forschenden die nun veröffentlichte Studie für einen echten Fortschritt. "Zusammengefasst unterstreicht der sehr gründlich aufgearbeitete Fallbericht aus Düsseldorf das prinzipielle Potenzial kombinierter Gen-Immuntherapien zur Behandlung der HIV-Infektion, welches unbedingt im Rahmen größerer klinischer Studien weiter untersucht werden sollte", sagt Fehse.

Links/Studien

(Mit Material von Science Media Center)

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 20. Februar 2023 | 22:00 Uhr

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