Dr. Melanie Mayer, Virologin Universitätsklinik Leipzig. Grafik für die MDR Wissen Serie "Mein Jahr mit Corona".
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Mein Jahr mit Corona An vorderster Front: Virologin Melanie Maier

08. März 2021, 12:08 Uhr

Das virologische Labor der Leipziger Uniklinik wusste früh vom gefährlichen Sars-Coronavirus-2. Für Virologin Melanie Maier begann bereits zu Silvester 2019 eines der anstrengendsten Jahre ihres Berufslebens.

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Die erste Meldung am 30. Dezember 2019 alarmiert Melanie Maier und ihre Kollegen. "Wir bekamen über ein Frühwahnsystem per E-Mail die Nachricht von einer Häufung von Pneumonien, also von Lungenentzündungen, in China. Und da schrillen bei uns alle Alarmglocken", erzählt sie. Es ist die spezielle Kombination, die der Leipziger Virologin Sorgen macht. Schwere Lungenentzündung, kein bekannter Erreger, China. Es könnte also ein neues Virus sein, wie bei der ersten Corona-Epidemie Sars oder aber ein neuer Influenza-Stamm, wie bei der Vogelgrippe.

Mein Jahr mit Corona Seit einem Jahr befindet sich unser Leben durch die Pandemie in einem Ausnahmezustand. Wie hat Corona das Leben von Forscherinnen beeinflusst? Um diese Frage geht es in unserer Serie.

Milde Symptome bedeuten unkontrollierbare Ausbreitung

Am 20. Januar werden die Daten des entschlüsselten Genoms veröffentlicht. Ab jetzt ist bekannt, ja, es ist ein neues Virus: Sars-CoV-2, seinem Vorgänger Sars ("severe acute respiratory syndrome") sehr ähnlich. Maier schöpft Hoffnung. China kennt diese Situation bereits und hat sie in der Vergangenheit schon einmal bewältigt. Dann aber wird bekannt, dass es auch Patienten gibt, die wenig bis gar keine Symptome zeigen. "Und ab da hatte ich tatsächlich die Sorge, dass Patienten, die erst sehr spät krank werden oder nur milde Symptome haben, dass die eben viele Leute anstecken können."

Es ist also klar, es kann zu einer weltweiten Katastrophe kommen. Die Uniklinik Leipzig bereitet sich vor. Mit Hilfe der veröffentlichten Daten von Christian Drosten und Victor Corman richten die Virologen in Leipzig den PCR-Test ein. Schon am 22. Januar, noch bevor das Virus in Norditalien festgestellt wird, werden hier die ersten Rückkehrer aus China getestet. "Wir haben angefangen auch Patienten zu screenen, die kaum Symptome aufwiesen, um jeden Infizierten zu finden und möglichst Infektionsketten zu durchbrechen."

Ansteckungsgefahr im Team

Während in Deutschland noch kaum jemand ahnt, was ein Lockdown bedeutet, ist die Virologie am Leipziger Uniklinikum bereits im Krisenmodus. Die Medizinerin Maier hat dabei Glück, dass sie sich nicht mehr intensiv um ihre Familie kümmern muss. "Unsere Kinder sind relativ selbständig und haben mitgetragen, dass wir zum Teil nächtelang im Labor verbracht haben."

Die Klinik testet, so viel sie kann. Die ersten Coronafälle in München können noch begrenzt und weitere Ansteckungen verhindert werden. Aber Mitte März ist klar, das neue Virus zirkuliert nun in der Bevölkerung. Im virologischen Labor in Leipzig, bei den 14 Ärztinnen und Assistenten wächst die Sorge, jemand könnte sich anstecken. Von der Arbeit im Labor selbst geht zwar kaum eine Gefahr aus, hier sind die Sicherheitsvorkehrungen gut. Aber im privaten Umfeld, in dem beispielsweise Kinder zur Schule gehen, droht nun die Gefahr von Infektionen und erreichen diese das Labor, wäre dessen Arbeitsfähigkeit akut bedroht.

Für uns war der Lockdown tatsächlich eine Erlösung, weil wir wussten, die Kinder sind jetzt sicher zu Hause, die stecken sich nicht an, und wir fallen dadurch nicht aus.

Melanie Maier, Universitätsklinik Leipzig

Wie viele andere Arbeitsstellen, bei denen die Mitarbeiter nicht ins Home-Office geschickt werden können, ergreift auch die Virologie am Uniklinikum weitere Vorsichtsmaßnahme. Das Team wird geteilt, die Arbeit so organisiert, dass keine Begegnungen zwischen den einzelnen Schichten stattfinden. So könnte das Labor weiterarbeiten, auch wenn Mitarbeiter in Quarantäne müssen.

Wenige Coronafälle in Mitteldeutschland – kein Grund für Entspannung

Die tägliche Arbeit ist von Zeitdruck geprägt, denn bei den Testergebnissen zählt jede Stunde. Je länger Menschen nicht wissen, dass sie das Virus haben, desto länger könnten sie leichtsinnig werden und andere gefährden. Aber natürlich gibt es neben Corona noch andere Erreger. Und die Klinik beginnt, die Arbeit aller Kliniken in Sachsen zu koordinieren und Lagebilder für die Regierung zu erstellen.

"Wir hatten die Routinediagnostik, um die Grundversorgung zu leisten. Und on top hatten wir die Sars-Coronavirus Diagnostik, die war der Hauptfokus. Dann muss man jeden Tag auch noch die Literatur lesen, um da auch auf dem neuesten Stand zu sein", schildert Maier. Ihre Arbeitstage während der ersten Coronawelle sind übervoll.

Dass es in dieser Zeit in Mitteldeutschland relativ wenige Coronafälle gibt, macht die Arbeit für die Leipziger Virologen nicht entspannter, denn niemand weiß, ob es wirklich gelingt, die Infektionen einzudämmen. Also testen die Mediziner weiter so viel wie möglich. Ein Schwerpunkt dabei sind auch Patienten, die wegen anderer Leiden ins Uniklinikum kommen. Hier ist die Sorge groß, eine Infektion könnte übersehen werden und einen Ausbruch im Klinikum auslösen.

Als Mensch leidet Maier auch unter dem Lockdown

Als im Herbst die zweite Welle beginnt, ändert sich die Lage im Labor ein weiteres Mal. "Als die Fallzahlen wieder stiegen, war das eine neue Dimension", sagt Maier heute. Doch Melanie Maier hat das Gefühl, dass die Abteilung dieses Mal besser vorbereitet ist. Es gibt mehr Testmöglichkeiten, da die Politik weitere Gelder bewilligt hat. So kann das Labor seine Arbeit fortsetzen, bis heute.

Auch wenn es im Frühjahr 2020 nur wenige Wochen dauerte, bis das Erbgut von Sars-CoV-2 entschlüsselt war, das Virus ist für Virologen wie Melanie Maier nach wie vor ein neuer Erreger. Am Anfang sei beispielsweise nicht absehbar gewesen, dass eine Infektion über viele Monate anhaltende Schäden wie Erschöpfungszustände oder den Verlust des Geruchssinns nach sich ziehen kann. Auch sonst gibt es viele neue Erkenntnisse.

Wir sehen, dass die Patienten trombotische Ereignisse haben, dass Sars-2 eine Multi-Organkrankheit ist und dass Patienten sehr, sehr lang krank sind. Wenn sie dann vermeintlich heilen, haben viele noch sehr lange Zeit Folgeschäden.

Melanie Maier, Universitätsklinik Leipzig

Auch nach Monaten des Lockdowns hat daher die Verhinderung möglichst vieler Infektionen oberste Priorität für Melanie Maier. Nur so können die Kliniken vor der Überlastung geschützt werden. Nur bei ausreichend geringen Infektionen können noch alle Patienten versorgt werden. Als Mensch wünscht sich Melanie Maier trotzdem ein möglichst baldiges Ende des Lockdowns. "Man braucht irgendwann wieder den menschlichen Kontakt, das ist ganz außer Frage."

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