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Wo werden sie stehen, die neuen Windräder? Eine Fraunhofer-Analyse zeigt es. (Symbolbild) Bildrechte: imago/Panthermedia (M)

EnergiewendeErneuerbare: Wo der ganze Strom aus Sonne und Wind herkommen soll

27. April 2023, 17:05 Uhr

Der Weg, den die Energiewende gehen soll, ist auf dem Papier längst geklärt: Möglichst mit Wind und Sonne im Gepäck und möglichst dezentral. Darauf müssen sich Netzbetreibende einstellen. Neue Daten zeigen jetzt, wie sich die Energiegewinnung in Deutschland verteilen wird, postleitzahlgenau, wo Platz für den Ausbau von Photovoltaik und Windkraft ist.

Na, wo sollen Sie denn alle hin, die langsam, aber hoffnungsvoll, mitunter romantisch rotierenden Windmühlen? In die Lausitz zum Beispiel, südlich von Görlitz. Oder in den Raum Buttstädt-Apolda, der hat auch eine megawattstarke Zukunft. Photovoltaikanlagen eher weniger, deren Stromentfaltungspotenzial liegt etwas weiter südlich, bei Schleiz. Und im östlichsten Sachsen-Anhalt auch, zwischen Glücksburg und Holzdorf. Warum? Keine Sorge, klären wir gleich.

Nachdem Deutschland (mit Ausnahme eines Bundeslandes) entschieden hat, dass einzelne Großkraftwerke aus vielerlei Gründen für eine sichere und saubere Energieversorgung keine gute Idee sind – ob nun Kern- oder Kohleenergie – und Abhängigkeiten durch Energieimporte eben auch wenig zielführend, ist klar: Der Strom muss irgendwo herkommen, und dafür braucht er Platz. Dazu haben die Übertragungsnetzbetreibenden im März einen Entwicklungsplan vorgelegt, der erstmals ein Stromnetz beschreibt, mit dem bis 2045 Klimaneutralität erreicht werden könnte. Denn in vielen Fällen gilt: Dekarbonisiert heißt elektrifiziert.

Wind, Sonne – und Sonne

Dazu genügt es nicht, das Fünffache an Turbinen und Panels aufzustellen. Auch die Leitungen müssen stimmen und eine hohe Leistungsfähigkeit gewährleistet sein. Für Netzbetreibende ist es also nicht unerheblich, die potenziellen Standorte für Windräder und Photovoltaik-Anlagen (PV) abschätzen zu können. Hilfe in Form einer detaillierten Prognose auf Postleitzahlen-Ebene kommt jetzt aus Kassel vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE).

In ihrer Analyse unterscheidet die Forschungsgruppe zwischen den künftigen Potenzialen für Windkraftanalgen an Land, PV-Anlagen in der Fläche und PV-Anlagen auf Dächern. In der Erhebung wurden mithilfe verschiedener Datenquellen zum einen vorhandene und geplante Anlagen verortet und zum anderen bereits bekannte Potenziale sowie in Analysen ermittelte Flächen anhand verschiedener Parameter wie Verfügbarkeit, Eignung, Bodengüte oder Konfliktträchtigkeit gewichtet.

Energie vom Dach – in Süd und West

"Indem wir bei der Regionalisierung neben detaillierten Geodaten der Ausschluss- und Eignungsflächen auch Konfliktpotenziale einbeziehen und etwa bei Aufdach-PV-Anlagen die historische Zubaudynamik in die Berechnungen aufnehmen und in die Zukunft extrapolieren, können wir realistische Anlagenverteilungen darstellen", erläutert Carsten Pape, Gruppenleiter Szenarien und Systemmodellierung. Also: Die Forschenden haben geschaut, wie sich die Sonnenkraft-Panels auf den Dächern in der Vergangenheit entwickelt haben und diese Entwicklung in die Zukunft fortgeschrieben.

Bildrechte: MDR WISSEN

Eine Vielzahl dieser Aufdach-PV-Anlagen entstehen auf Einfamilienhäusern, was sich auch in der räumlichen Entwicklung zeigt. Hohe Potenziale dafür zeigen sich in ganz Süddeutschland sowie in den dicht besiedelten Regionen des Rheinlands und Westfalens. In den nördlichen und östlichen Landesteilen sehen die Forschenden einen Zubau der Aufdach-Anlagen vor allem in den Ballungszentren. Das sei "ein Ergebnis der unterschiedlichen Strahlungs- und Gebäudeverteilung“ so Carsten Pape. Lässt sich auch daran erkennen, dass im dicht besiedelten Ballungsraum Leipzig-Halle und anderen Orten im Regenschatten des Harzes die Prognose für den Zubau höher ausfällt als etwa in der Altmark oder dem Thüringer Wald. Pape: "Da der Zubau außerdem aus historischen Daten extrapoliert wird, zeigen bislang weniger aktive Kommunen auch zukünftig relativ wenig Ausbau."

Wenig Sonnenflächen im Norden – außer im Nordosten!

Papes Team begründet die Trennung zwischen Aufdach- und Freiflächen-PV durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie diese Energiewandler entstehen. Große EEG-geförderte Freiflächenanlagen würden beispielsweise oft an Autobahn- und Schienenrandstreifen gebaut. Solche Anlagen verteilen sich in ihrem Potenzial vom Nordosten bis zum Südwesten Deutschlands, mit großen Potenzialen in Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie einem Band, das sich von Ostthüringen bis zur pfälzischen Toskana zieht – mit Ausnahme von Thüringer Wald, Rhön und Spessart. Auch geografische Besonderheiten macht die Karte sichtbar: Während der schmale, flache, sowohl mit Autobahn und wichtiger Schieneninfrastruktur durchzogene und vor allem von der Sonne geküsste Oberrheingraben ein hohes Potenzial an Flächen-PV aufweist, zeichnet sich der angrenzende Schwarzwald durch keinerlei potenzielle Megawattstunden trennscharf ab.

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Während die Windkraft im Norden der Republik dominiert, ist es bei den PV-Freiflächen der Süden. Das hängt zum Beispiel mit der Sonneneinstrahlung zusammen, aber auch mit der Bodenbeschaffenheit – wenig fruchtbare Böden eignen sich für (förderfähige) PV-Anlagen. Bisschen aus der Reihe tanzt der Nordosten des Landes: Vorpommern, Brandenburg, die Altmark, deren Potenzial von den Forschenden höher eingeschätzt wird als Nordwestdeutschland. Gerade für diese Region liegen bei den Netzbetreibenden viele Anschlussgesuche für neue PV-Anlagen vor. "Das heißt, Anlagenbetreiber wollen gern neue Anlagen anschließen, weshalb wir mit einem dynamischen Ausbau rechnen", erklärt Pape gegenüber MDR WISSEN. (Das sind im Übrigen häufig Anlagen, die nicht über das EEG gefördert werden, sondern auf Basis von PPA-Verträgen oder über das CFD-Vergütungsmodell – aber das nur nebenbei.)

"Wir haben natürlich überlegt: Woran liegt das?", sagt Pape. "Neben Strahlungsressourcen und Bodenbeschaffenheit hilft da ein Blick zurück auf die LPGs". Durch deutlich größere, zusammenhängende landwirtschaftliche Flächen in der DDR gegenüber der BRD, bestehen heute noch große zusammenhängende Flächen, die es für die PV-Anlagen braucht.

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Der Süden wird kein Windkraftland, der Osten schon

Bei der Windenergie haben die Forschenden indes feststellen können, dass die Zukunft bereits Einzug gehalten hat – zumindest im Westen Schleswig-Holsteins, an der westfriesischen Nordseeküste und auf dem Land um Paderborn. Dort seien die langfristigen Ausbauziele fast erreicht. Sowohl beim Ist-Zustand als auch beim Ausbaupotenzial zeigt sich auch in diesen Karten das bekannte Nord-Süd-Gefälle, mit kahlen Flächen, die darauf hindeuten, dass auch 2045 Bayern kein Windenergieland sein wird. Für große Teile Sachsens und Thüringens besteht der Analyse zufolge aber noch Hoffnung.

Klar wird auch: Dort, wo sich viele Menschen auf engem Raum tummeln, ist kein Zubau von Windkraftanlagen zu erwarten. Das betrifft die großen Ballungszentren, vor allem Rhein-Main, Rheinland, Ruhrgebiet, Berlin und Hamburg. In Mitteldeutschland stechen Leipzig und Dresden als megawattfreie Räume hervor. Wahrscheinlich, weil Windparks auf dem Augustusplatz und vor der Semperoper auch 2045 nicht gesellschaftsfähig sein werden.

Link/Studien

Die Studie "Regionalisierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien" können Sie hier als pdf nachlesen.

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