Lippenzahnlaute Unser Essen verändert unsere Sprache

Was wir essen, bestimmt wie wir sprechen. Das zeigt eine neue sprach- und kulturhistorische Studie aus der Schweiz. Rohes Fleisch essende Frühmenschen dürften demnach Probleme mit F-Lauten gehabt haben.

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Die Sprache ist eines unserer wichtigsten
Kommunikationsmittel. Welchen Einfluss unsere Ernährungsgewohnheiten auf die Sprache haben, hat nun ein Forscherteam aus Zürich und Jena nachgewiesen.

MDR AKTUELL Di 19.03.2019 16:38Uhr 03:18 min

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Wer die Entwicklung der Sprache verstehen will, muss weit zurückspulen in der Menschheitsgeschichte und sich mit Ernährungsfragen beschäftigen. Als der homo sapiens noch vorwiegend auf die Jagd ging, stand regelmäßig feste Nahrung auf dem Speiseplan. Dieses harte, unverarbeitete Fleisch hat den Kauapparat vor große Herausforderungen gestellt.

"Die Auswirkungen auf das Gebiss sind ziemlich dramatisch. Durch die starke Abnutzung wandert nämlich der Unterkiefer nach vorne und es entwickelt sich ein Kopfbiss", sagt der Sprach- und Kulturforscher Professor Paul Widmer von der Universität Zürich. "Jeder Mensch kommt eigentlich mit einem Überbiss auf die Welt, so wie das der moderne Mensch heute auch im Erwachsenenalter hat. Aber durch die harte Kost wandert der Unterkiefer nach vorne und die Zähne sind dann Kante auf Kante."

Gebiss-Stellung entscheidend

Gleichzeitig gingen die Forscher einem Phänomen nach. Sie hatten nämlich Anhaltspunkte dafür, dass den frühen Jäger- und Sammlergesellschaften in der Kommunikation bestimmte Laute fehlten. Wie sie etwa im "F" oder "V" vorkommen. Sprachwissenschaftler bezeichnen sie als Labiodentale oder Lippenzahnlaute, weil hier die oberen Schneidezähne leicht die Unterlippe berühren.

Wie gut oder schlecht wir dieses "Fffff" bilden können, hängt auch von der Stellung des Gebisses ab. "Die Labiodentale, also die Laute, die durch den Kontakt der Unterlippe mit den oberen Schneidezähnen produziert werden, werden erleichtert dadurch, dass der Unterkiefer weiter hinten ist", erklärt der Sprachwissenschaftler aus der Schweiz.

Die Forscher analysierten also eingehend Knochen und Gebisse, die mehrere tausend Jahre alt sind und zogen Sprachvergleiche zu heutigen Gemeinschaften, die ihre Ernährungsgewohnheiten kaum verändert haben.

Wir haben das in modernen Gemeinschaften überprüft. Da geht es um Jäger und Sammler, die noch heute harte Nahrung zu sich nehmen und noch viel öfter Kopfbisse haben. Wir haben dann geschaut, wie oft in solchen Gemeinschaften Labiodentale vorkommen. Und was wir gesehen haben ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Sammler und Jäger in ihren Sprachen Labiodentale haben, viel geringer ist als man es erwarten würde, wenn es nur Zufall wäre.

Professor Paul Widmer, Universität Zürich

Weiche Nahrung schont das Gebiss

Ein Satz wie "Viele Frischvermählte feiern fröhlich Feste" würde ihnen also ziemlich schwer fallen. Da der Mensch aber längst die Segnungen der modernen Küche für sich entdeckt hat, brät oder kocht er inzwischen das Fleisch. Er nimmt deutlich weichere Nahrung zu sich und schont damit die Zähne. Das Gebiss kann in seiner ursprünglichen Stellung bleiben. Davon hat auch sein Sprachschatz ungemein profitiert.

"Das ist insofern relevant, als man bislang davon ausgegangen ist, dass der Mensch seit seinem Bestehen - was die Sprache betrifft - immer den gleichen Bedingungen unterlegen ist, dass also die Biologie der Sprache sich nicht verändert hat", so Paul Widmer. "Und das wäre ein Hinweis darauf, dass es doch der Fall ist, dass Kultur, Mensch und Biologie letztlich interagieren."

Und so bekommt das erste jemals gekochte Fleisch sogar noch eine kulturhistorische Bedeutung. Es hat nicht nur besser geschmeckt, sondern gleich auch noch unsere Sprache bereichert.

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Vorschaubild für den Podcast Meine Challenge, Folge 2: Essen, damit die Welt nicht hungert. Reporterin Daniela Schmidt hält eine Gabel, auf der eine Heuschrecke steckt. 39 min
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