Besuch beim Götterboten Europa schickt erstmals Raumsonde zum Merkur

Sonde umkreist einen Planeten.
Bildrechte: ESA/ATG medialab

Auf dem Mars schauen wir alle zwei Jahre vorbei. Und auch Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und selbst Pluto können sich über mangelndes Interesse der Erdlinge nicht beklagen. Und auch in Richtung Venus waren bereits etliche Raumsonden unterwegs. Dagegen wirkt der Merkur fast wie ein ungeliebtes Kind. Mariner 10 schaute 1974 und 1975 dreimal vorbei. Die NASA-Raumsonde Messenger umkreiste den Merkur von März 2011 bis zum gezielten Absturz am 30. April 2015. Und das war’s.

Kein Leben, kein Interesse?

Wo es – so die Annahme der Wissenschaftler – sowieso kein Leben geben kann, da scheint sich der Aufwand eben nicht zu lohnen, solche unwirtlichen Welten zu erkunden. Diesen Trend will Europa jetzt umkehren: Am 20.10.19, 3:45 Uhr MESZ machte sich die Raumsonde "BepiColombo" Richtung Merkur auf den Weg.

Merkur ist wirklich ein verrückter Planet.

Alvaro Giménez, ESA Direktor

Alvaro Giménez, bei der europäischen Weltraumagentur ESA Direktor für Wissenschaft und robotische Exploration, ist fasziniert vom Merkur. Denn der Planet ist einfach nicht berechenbar. "Das liegt vielleicht zum einen an seiner Lage, weil er so nahe an der Sonne ist und weil er da auch extremen Bedingungen ausgesetzt ist wie Temperaturen, die bei 450°C liegen an der Oberfläche."

Temperatursensor aus Jena An Bord von BepiColombo ist auch Technik aus Thüringen. Ein Thermosensor aus dem Leibniz-Institut für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) in Jena. Als Teil des thermalen Infrarot-Spektrometers MERTIS (Mercury Radiometer and Thermal Infrared Spectrometer) misst der in Jena spezialangefertigte Sensor berührungslos die thermische Strahlung an der Oberfläche des Planeten. Und die reicht von 430 Grad Celsius am Tag bis minus 180 Grad in der Nacht.

Um diese Besonderheiten zu erforschen, schicken die Europäer nun erstmals eine Sonde zum Merkur: BepiColombo - benannt nach Giuseppe „Bepi“ Colombo, einem italienischen Forscher, der Merkur im vergangenen Jahrhundert mit Teleskopen beobachtet hat. Und er hat die Bahnen berechnet, auf denen sich Raumsonden Merkur nähern könnten. Das ist nämlich alles andere als trivial.

Wenn man zum Merkur will, braucht man sehr viel Energie, mehr Energie noch als wenn man ein Raumschiff zum Pluto bringen würde.

Johannes Benkhoff, ESTEC

Johannes Benkhoff ist der für das Projekt BepiColombo verantwortliche Wissenschaftler. Er kennt die Besonderheiten für Flüge zum Merkur. Im Gegensatz zu Sonden, die aus dem Sonnensystem hinausfliegen, muss eine Sonde zum Merkur Energie aufwenden, um abzubremsen. Sonst nämlich würde sie in die Sonne stürzen. Es klingt fast wie ein Paradoxon. Denn BepiColombo muss einerseits gegen die Anziehungskraft der Sonne bremsen, aber für den Flug auch beschleunigen.

Um das zu bewerkstelligen, müssen wir auch an den Planeten vorbeifliegen und uns da Schwung holen oder unsere Sonde abbremsen.

Johannes Benkhoff

Der römische Götterbote Merkur ist der Schutzpatron all derer, die es eilig haben: der Reisenden und Kaufleute, aber auch der Diebe. Und so ist auch der Planet Merkur zügig unterwegs durchs All: Er ist der schnellste im ganzen Sonnensystem, umrundet in nur 88 Tagen einmal die Sonne. Ein Jahr auf diesem Himmelskörper dauert also nur etwa drei Erdmonate. Über den Aufbau des Planeten gibt es nur Theorien. Und da kommt BepiColombo ins Spiel, erklärt Belló Mora, der Generaldirektor der spanischen Weltraumfirma DEIMOS Space, die die Sonde gebaut hat.

Durch die Messung von Merkurs Anziehungskraft wird BepiColombo Rückschlüsse auf das Innere des Planeten ziehen können. Wir vermuten, dass Merkur einen Kern aus Eisen besitzt. Er dürfte ungefähr 80 Prozent seiner Gesamtgröße ausmachen.

Belló Mora, DEIMOS

Ein Teil dieses Kerns ist wahrscheinlich flüssiges Eisen, so Mora. "Das könnte auch der Grund dafür sein, dass wir in der Vergangenheit ein schwaches Magnetfeld gemessen haben."

Das Magnetfeld eines Planten wird – so wie auch bei der Erde – durch Eisen im Kern erzeugt, das rotiert. Es könnte eine Art Dynamo sein, tief im Innern von Merkur, der für die magnetischen Feldlinien verantwortlich ist, glaubt Roger Förstner, der Leiter des Instituts für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung an der Universität der Bundeswehr in München. Er zieht einen Vergleich aus dem Alltag, den jeder kennt: ein gekochtes Ei dreht sich anders als ein nicht gekochtes. Und beim Merkur sei das ganz ähnlich.

Wenn er einen flüssigen Kern hat, rotiert er anders, wackelt sozusagen ein bisschen mehr, als wenn er 'nen festen Kern hätte. Und dieses Wackeln in der Rotation kann man über diesen europäischen Orbiter so genau bestimmen, dass man wirklich sagen kann, ob der Kern flüssig ist oder nicht.

Roger Förstner, Universität der Bundeswehr

2026 ist die Sonde da

Der europäische Orbiter ist der eine Teil von BepiColombo. Offiziell heißt er Mercury Planetary Orbiter. Er wird Merkur vor allem fotografieren. Auch die japanische Raumfahrtagentur JAXA steuert einen Teil zu BepiColombo bei, und zwar den Mercury Magnetospheric Orbiter. Bevor die europäisch-japanische Sonde ihre Augen auf Merkur richten wird, sind erst einmal alle Augen auf den Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana gerichtet. Von dort soll die lange Reise zum Merkur an Bord einer Ariane-5-Rakete ihren Anfang nehmen, so Jürgen Benkhoff. Denn der ist zwar nicht einmal halb so weit entfernt wie der Mars, aber deutlich schwieriger zu erreichen. BepiColombo muss drei Mal Schwung holen. Erst beim Vorbeiflug an der Erde, dann folgen zwei Vorbeiflüge an der Venus, danach noch sechs Flüge am Merkur vorbei, bevor Die Sonde Ende 2025 in den Orbit um den Planeten eintritt.

Am Schluss sind wir genauso schnell wie der Merkur und drehen uns mit Merkur um die Sonne, und dann können wir ganz leicht ins Gravitationsfeld des Merkurs einschwenken.

Jürgen Benkhoff

Im April 2026 können dann die Messungen am Merkur beginnen.

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR Radio | 19. Oktober 2018 | 14:15 Uhr