Montage: Auf einem Holzuntergrund liegen zwei Blätter eines Farns und eine farbenprächtige Rosenblüte
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Pflanzen-Evolution Rosen sind auch nicht besser als Farne

29. Oktober 2019, 07:36 Uhr

Sicher sind Farne schön. Aber Hortensien und Hibiskus dürften bei den meisten Betrachtern mehr punkten. Warum Pflanzen so unterschiedlich sind, steht jetzt im bisher umfangreichsten Pflanzenstammbaum der Welt. Auch Forscher aus Jena und Halle haben daran mitgeschrieben.

Ob man passionierten Rosenzüchtern verraten sollte, dass ihre edlen Gartenzöglinge zu Urzeiten nur schnöder Seetang waren? Die Wahrheit wär's: "Die ursprünglichsten Vorfahren der heutigen Pflanzen waren im Wasser lebende Grünalgen“, sagt Günter Theißen, Genetiker an der Uni Jena. Nicht so schlimm, denn evolutionär gesehen sind Algen auch nichts Schlechteres als eine Rose. Auch wenn sie damals wie heute weder Blüten noch sonderlich viele MADS-Box-Gene haben.

MADS-Box-bitte-was? Das Kurzwort beschreibt Gene, die kein Rosenzüchter missen wollen würde: Denn sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass eine Pflanze Blüten (evtl. sogar schöne) ausbildet. Außerdem sind sie der Forschungsgegenstand von Günter Theißen und Lydia Gramzow. Anhand der MADS-Box-Gene lässt sich nämlich nachvollziehen, wie Pflanzen im Laufe der Jahrmillionen so vielfältig werden konnten.

Mammutprojekt in der Pflanzen-Genetik

Mit ihrer Forschung sind sie an einen Mammutprojekt beteiligt: Im Rahmen der One Thousand Plant Transcriptomes Initiative haben 200 Forschende und über 130 Forschungserinrichtungen jetzt die bisher umfassendste Pflanzen-Verwandschaftsanalyse im Fachblatt Nature vorgelegt. Über neun Jahre lang wurden hier die Gene von über tausend Grünalgen, Moosen, Bärlappgewächsen, Farnen, Nacktsamern und Blütenpflanzen analysiert. Daraus entstanden Stammbäume, anhand derer sich z.B. nachvollziehen lässt, wann Pflanzen erstmal in die Höhe wuchsen oder wann sie damit begannen, Blüten und Früchte zu produzieren.

Frau mit langen Haaren, Brille und Schal sowie Mann mit kurzen Haaren, Brille und grauem Bart halten Farn-Wedel, im Hintergrund weitere Farne und Grünpflanzen wie im Wald.
Dr. Lydia Gramzow und Prof. Dr. Günter Threißen von der Uni Jena sind am Pflanzenstammbaum beteiligt. Bildrechte: Anne Günther/FSU

Bei ihrer Analyse der MADS-Box-Gene hat das Forscherteam aus Jena gezeigt: Einfache Pflanzen wie Moose haben nur wenige solcher Gene. Bei höher entwickelten Samenpflanzen – das sind Rosen genauso wie Roteichen – geht die Zahl der MADS-Box-Gene aber in die hunderte. "Man könnte daraus schließen, dass die Genvervielfältigung einfach eine Folge der Höherentwicklung der Pflanzen ist", sagt Lydia Gramzow. Ist aber nicht so: "Wir haben herausgefunden, dass die Ausstattung mit MADS-Box-Genen das Ergebnis unabhängiger Genvervielfältigungen ist." Und damit ist die Rose eben nix Besseres als das Moos. Vielmehr zeigen die Wissenschaftler, dass die beide Pflanzengruppen mal einen gemeinsamen Urahnen hatten und sich von da an separat vervielfältigt haben.

Ob nun mit oder ohne Blüte …

Der Übergang zu den Blütenpflanzen wurde bisher ohnehin überbewertet. Das bestätigen auch Wissenschaftler von der Uni Halle-Wittenberg, die selbst an dem Pflanzen-Genetik-Projekt beteiligt waren. "Bislang ging man davon aus, dass es die größte genetische Ausweitung beim Übergang zu den Blütenpflanzen gegeben hat. Schließlich macht die Gruppe heute die meisten Arten aus", sagt der Hallesche Bioinformatiker Martin Porsch. "Genetisch gesehen stellt der Übergang von den Wasser- zu den Landpflanzen den Ausgangspunkt für alle weiteren Entwicklungen dar. Dieser war die größte Herausforderung für Pflanzen, für den sie – genetisch gesehen – die meisten Innovationen benötigten."

Rückentwicklung kann Weiterentwicklung sein

"Wir lernen daraus, dass die Evolution nicht unbedingt eindimensional linear verläuft, sondern dass gleiche Entwicklungsstufen manchmal auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden", so beschreibt das Günter Theißen aus Jena. Denn auch wenn Farne im Wald nicht so strahlen wie ein Röslein im Mustergarten: "Manchmal ist offenbar Reduktion ein evolutionärer Vorteil – ein Phänomen, dass z. B. von vielen Parasiten bereits gut bekannt ist."

Auch ein Trost, wenn's dieses Jahr mit der Blütenpracht bei der Rosenzucht nicht so gut geklappt hat: Dann ist die Pflanze vielleicht ein bisschen näher an seinen Urahnen dran als andere. Oder hat sich bereits evolutionär weiterentwickelt.

MDR Garten 3 min
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