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Studie Uniklinikum HalleRESTART-19: Veranstaltungen in der Halle sind während Pandemie möglich

29. Oktober 2020, 12:00 Uhr

Kultur- und Sportveranstaltungen sind für den November erst einmal wieder abgesagt. Doch künftig könnten solche Events trotz der Corona-Pandemie stattfinden – wenn ein paar Regeln eingehalten werden, wie aus der wissenschaftlichen Analyse eines weltweit einzigartigen Konzerts hervorgeht.

von Annegret Faber und Matthias Pöls

Dreimal wurde das Konzert gespielt. Dreimal trat Tim Bendzko in der Arena in Leipzig auf. Dort hat am 22. August 2020 ein weltweit einmaliges Experiment stattgefunden. Die rund 1.600 Gäste waren geduldig, machten alles mit. Alle trugen Maske, keiner tanzte aus der Reihe und Studienleiter Stefan Moritz resümierte nach dem Konzert: "Ich bin extrem zufrieden mit den Teilnehmern."

Ja, es kann während einer Pandemie Großveranstaltungen geben.

Dr. Stefan Moritz, Uniklinikum Halle

Dr. Stefan Moritz, mit Tracer und Tablet. Mit dieser Ausstattung konnte die Studie durchgeführt werden. Bildrechte: Universitätsmedizin Halle/S.

Doch hat sich der ganze Aufwand gelohnt? Sicher, und dabei ist fast egal, was als Ergebnis rauskommt. Denn so eine Konzertsimulation war einmalig und der Kultur- und Sportbetrieb kann damit erfahren, was während einer Pandemie möglich ist und was nicht. Seit heute liegen MDR Wissen die Ergebnisse vor - und Studienleiter Moritz sagt: "Ja, es kann während einer Pandemie Großveranstaltungen geben." Doch dafür sei wesentlich, dass die Veranstaltungsstätte eine ordentliche Lüftung habe, schränkt der Leiter der Klinischen Infektiologie am Universitätsklinikum Halle ein. "Das ist die Grundlage. Ohne das muss man gar nicht drüber reden."

Konzerte in der Pandemie nur im Sitzen und mit Maske

Um dies festzustellen, haben die Forscher von der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg das Konzert mit drei unterschiedlichen Szenarien durchgespielt, den Flug der Aerosole in einem Computermodell simuliert und zum Dritten die Daten dann in ein epidemiologisches Modell gepackt. Damit haben die Wissenschaftler ausgerechnet, welche Auswirkungen sich durch Großveranstaltungen auf eine Region ergeben – in diesem Fall auf Leipzig.

Bei den drei Szenarien habe sich gezeigt, dass es bei Konzerten unter den Bedingungen wie vor Beginn der Pandemie recht viele Kontakte gab, die auch über 15 Minuten andauerten. Eine Vollauslastung der Arena mit 8.600 Personen sei ohne Risiko derzeit nicht mehr möglich, so Studienleiter Moritz. Beim zweiten Konzert wurde die Anzahl der Sitze um die Hälfte reduziert.

In der Arena nur mit 1.700 Zuschauern

Bei Szenario drei durften immer zwei Zuschauer nebeneinander sitzen und drum herum gab es den Abstand von 1,50 Meter. Die Zahl der Ein- und Ausgänge wurde erhöht, die Toiletten reduziert und das Catering reglementiert. "Damit waren noch 1.700 Zuschauer möglich und so hatte jeder Besucher noch etwa 20 Kontakte über drei Sekunden und nur noch einen Langzeitkontakt", erklärt Moritz. Das bedeute, dass jeder Besucher nur noch einen längeren Kontakt mit dem jeweiligen Begleiter hatte. "Da es sich dabei meist um ein Haushaltsmitglied handelt, ist das quasi eine kontaktlose Variante." Im Vergleich zu Szenario eins sei dabei die Zahl der Kontakte insgesamt auf vier Prozent reduziert worden.

Dazu haben die Forscher der Uni Halle mit einer Computersimulation den Flug der Aerosole nachvollzogen. Dabei hat sich, gezeigt: eine falsche Lüftung kann das Ansteckungsrisiko um ein Vielfaches erhöhen und alle anderen Maßnahmen zunichtemachen. "Das kommt in Veranstaltungsräumen aber nicht selten vor", sagt Moritz.

Flug der Aerosole simuliert

Um anschließend "die Auswirkungen der Übertragung auf die Ausbreitung der Epidemie in der Bevölkerung insgesamt zu untersuchen, haben wir ein detailliertes epidemiologisches Simulationsmodel entwickelt", sagt Professor Rafael Mikolajczyk vom Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik der Medizinischen Fakultät der Universität Halle. Dabei ging es um die Kontakte von Personen innerhalb von Leipzig – also über den jeweils eigenen Haushalt, über die Arbeit oder Schule und weitere beim Einkaufen, Sport oder in öffentlichen Verkehrsmitteln hinaus. Zuletzt kam die Komponente der Großveranstaltungen in Hallen hinzu.

Deshalb haben die Forscher ihre Ergebnisse mit den Häufigkeiten der Krankheitsfälle (Inzidenz) abgeglichen. Unter der Annahme verschiedener Inzidenzen ergab sich folgendes Bild: Sind diese niedrig – etwa bei 10 pro 100.000 Einwohner – hat eine Großveranstaltung kaum Auswirkungen auf den Verlauf der Epidemie, erklärt Mikolajczyk. Bei einer hohen Inzidenz von über 100 pro 100.000 Einwohner dagegen sind "die Fallzahlen beträchtlich", so der Epidemiologe. Dies sei insbesondere bei schlechten Belüftungen innerhalb der Räume der Fall. "Unter bestimmten Bedingungen könnten so Großveranstaltungen für bis zu 20 Prozent der Infektionen sorgen." Zum Vergleich: Die Stadt Leipzig hat derzeit einen Inzidenzwert von 37 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen, in Chemnitz liegt der Wert aktuell bei 105, im Erzgebirgskreis sogar bei 243.

Auf der anderen Seite bestätige dies aber auch, dass, wenn es ein ordentliches Hygienekonzept gebe, Großveranstaltungen auch während einer Epidemie durchgeführt werden könnten. Die Bedingungen dafür sollten laut den Forschern sein: Keine Stehveranstaltungen. Die Gäste sollten sitzen und immer einen Platz zum nächsten Nachbarn frei lassen. Weitere Knackpunkte sind der Einlass und der Moment, wenn die Leute wieder die Halle verlassen.

Die Maske sollte die ganze Zeit während des Aufenthalts am Sitzplatz aufbehalten werden.

Dr. Stefan Moritz

"Wir empfehlen, die Zahl der Einlassspuren einfach zu erhöhen. Das Gleiche gilt für den Pausenbereich", sagt Dr. Moritz. Denn dort gebe es viele Kontakte. Diese seien zwar kurzzeitig, dennoch empfehlen die Wissenschaftler von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, den Verzehr von Essen und Getränken auf Sitzplätzen durchzuführen. Der nächste Punkte: Der Mund-Nasen-Schutz. "Die Maske sollte die ganze Zeit während des Aufenthalts am Sitzplatz aufbehalten werden. Dann reduziert sie das Risiko erheblich."

Förderung von Bund und Ländern gefordert

Doch der Umbau der Ein- und Ausgangsbereiche kostet Geld - ebenso eine gute Lüftung. Die Forscher aus Sachsen-Anhalt schlagen deshalb Finanzierungshilfen von Bund und Ländern vor. Denn wenn all diese Regeln eingehalten werden, könnte eine Großveranstaltung während einer Pandemie sicherer sein als der Alltag, resümieren die Wissenschaftler.


Zusammenfassung der vorgeschlagenen Regeln für Großveranstaltungen in Hallen:Maskenpflicht in der ganzen Halle.

Keine volle Auslastung der Räume.

Keine Stehkonzerte - die Menschen sollen sitzen und immer einen Platz zum Nachbarn freilassen.

Es soll mehrere Ein- und Ausgänge geben - denn dort ist das Gedränge am größten.

Dreh- und Angelpunkt: Die Raumlufttechnik. Dafür sollte es eine einheitliches Bewertungssystem geben. Denn wenn diese falsch eingestellt ist, kann dies alle anderen Vorkehrungen zunichtemachen.

Fundiertes Wissen für Entscheidungsträger

"Die Ergebnisse der Studie liefern der gesamten Branche sowohl eine kurzfristige Perspektive, während der Pandemie mit einer minimalen Auslastung bis zu 25 Prozent stattfinden zu können, ohne von der Bildfläche zu verschwinden, als auch eine mittelfristige, die uns ermöglicht mit Auslastungen bis zu 50 Prozent wirtschaftlich solide zu arbeiten und damit wichtige Strukturen sowie Millionen Arbeitsplätze zu erhalten" folgert DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther aus der Untersuchung. Der Verein SC DHfK Leipzig hatte als Partner die Forscher unterstützt.

Günther hofft, dass politische Entscheidungsträger dieses fundierte Wissen nutzen, "um mutig und basierend auf den heute vorgestellten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entscheiden und im Dialog mit der Sport- und Veranstaltungsbranche schnellstmöglich ein Wiedereinstiegszenario zu entwickeln".

MDR Aktuell

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