Bauarbeiter bei Pflasterarbeiten am Rathausmarkt in Kiel.
Wer einen Weg pflastern lassen will, findet momentan wahrscheinlich nur selten eine Fachkraft. Bildrechte: imago/penofoto

Fachkräftemangel Die Entwicklung der Krisen-Branchen: Wo Menschen für Jobs fehlen

29. Juni 2022, 13:12 Uhr

Restaurant geschlossen, Flug abgesagt: Gastgewerbe und Sicherheitsdienste sind wegen ihrer Personalsorgen in aller Munde. In der Engpass-Analyse der Bundesagentur für Arbeit liegen aber andere Berufsgruppen vorn.

Können Sie sich vorstellen, als Pflasterer oder Steinsetzerin zu arbeiten? Sie wären gerade sehr gefragt. Auch als Fachkraft im Tiefbau oder bei der Leitungsinstallation würde man Sie wahrscheinlich mit Kusshand einstellen. Diese drei Berufsfelder sind es jedenfalls, die bei der Bundesagentur für Arbeit momentan die Höchstwertung von 3,0 Punkten in der Engpass-Analyse aufweisen. Aber klar, danach kommen dann auch gleich die Pflegeberufe, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und so weiter und so fort.

Kurz gesagt: Es gibt derzeit viele Engpässe. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland kann Stellen nicht besetzen, zeigen gleich mehrere aktuelle Untersuchungen (Links unter dem Artikel). Die Bundesagentur für Arbeit berechnet diese Engpässe aus sechs Indikatoren, um am Ende mit einer einfachen Zahl darstellen zu können, wie stark es im jeweiligen Berufsfeld an Fachkräften mangelt.

Definition der sechs Engpass-Indikatoren (hier aufklappen)

Vakanzzeit
Die Vakanzzeit misst den Zeitpunkt ab dem gewünschten Besetzungstermin bis zu dem Zeitpunkt, ab dem das Vermittlungsgesuch durch den Arbeitgeber beendet wird. Je länger dieser Zeitraum, desto eher kann das darauf zurückgeführt werden, dass sich die Suche nach einem geeigneten Kandidaten als schwierig gestaltet hat. Ein Grund dafür könnte die geringe Zahl an verfügbaren Fachkräften gewesen sein. Somit kann eine lange Vakanzzeit ein Hinweis auf einen Fachkräfteengpass sein.

Arbeitsuchenden-Stellen-Relation
Die Arbeitsuchenden-Stellen-Relation stellt das verfügbare Angebot in Bezug zur Nachfrage nach Arbeitskräften. Wenn es rechnerisch zu wenige geeignete Fachkräfte mit der geforderten Berufsausbildung gibt, gestaltet sich der Suchprozess schwieriger. Somit könnte eine geringe Arbeitsuchenden-Stellen-Relation ein Signal für Fachkräfteengpässe sein.

Berufsspezifische Arbeitslosenquote
Die berufsspezifische Arbeitslosenquote bildet das Risiko ab, in einem entsprechenden Zielberuf arbeitslos zu sein. Je geringer die Arbeitslosenquote, desto kleiner ist das Risiko arbeitslos zu werden. Eine geringe berufsspezifische Arbeitslosenquote spricht also dafür, dass Menschen mit dieser Berufsausbildung stark am Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Somit geht eine geringe berufsspezifische Arbeitslosenquote stark mit Fachkräfteengpässen einher.

Veränderung des Anteils sv.-pfl. Beschäftigung von Ausländern
Arbeitgeber, die im Inland nur noch bedingt geeignete Fachkräfte finden, weiten ihre Rekrutierungsaktivitäten oft auf das Ausland aus. Daher kann sich der Anteil der ausländischen Beschäftigten in einem Beruf erhöhen. Somit dürfte in Berufen mit einem Fachkräfteengpass der Anteil der ausländischen Beschäftigten besonders kräftig steigen.

Abgangsrate aus Arbeitslosigkeit
Die Abgangsrate bemisst die Zahl der Abgänge aus Arbeitslosigkeit aufgrund von Aufnahme einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt an dem Bestand der Arbeitslosen. Eine hohe Abgangsrate spiegelt somit gute Chancen von Arbeitslosen wieder, in ihrem Beruf eine Stelle zu finden. Somit ist eine hohe Abgangsrate stets ein Indiz dafür, dass es sich um einen gefragten Beruf handelt, in dem möglicherweise Fachkräfte knapp sind.

Entwicklung der mittleren Entgelte
In der ökonomischen Theorie ist der Preis für eine Ware, Dienstleistung oder die Arbeit auch ein Indiz dafür, ob es sich um ein knappes Gut handelt. Dementsprechend haben gut qualifizierte und seltene Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt eine gute Verhandlungsposition beim Entgelt. So dürften ihre Entgelte vergleichsweise stärker steigen, als in Berufen, in denen es keinen Fachkräfteengpass gibt.

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Aufgeteilt werden die Berufe in drei Gruppen, je nach Anforderungsniveau an die Fachkraft, was man auch Spezialisierungsgrad nennen könnte. So gibt es "normale" Fachkräfte, Spezialist(inn)en und Expert(inn)en. Im folgenden Diagramm können Sie für alle drei Gruppen die Berufe mit den größten Engpässen ablesen. Aufgeführt sind alle Berufe, die auf der möglichen Skala von 0,0 bis 3,0 einen Gesamtwert von 2,0 oder mehr haben und deshalb momentan bei der Bundesagentur für Arbeit als "Engpassberufe" geführt werden.

Es fehlt also an vielen Ecken und Enden. Corona hat daran nicht allein Schuld, aber natürlich auch einen Beitrag geleistet. Der renommierte Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Christian Dustmann sagt, dass viel weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren während der Corona-Krise verlorenen Job zurückgekehrt sind, als man hätte erwarten können. "Vor allen Dingen ältere Arbeitnehmer", so Dustmann, "haben das bisher zu einem geringeren Grade getan. Das bedeutet, dass viele Arbeitsplätze nicht besetzt sind und für Deutschland ganz konkret, dass wir im Augenblick ziemlich unter einem Arbeitskräftemangel vor allen Dingen im Facharbeiterbereich leiden."

Corona-gebeutelte Branchen

Wie kommt es aber, dass man in der Engpass-Analyse nicht zuallererst Berufe aus Gastronomie, Hotellerie und der zusammengefassten Branche "Objekt-, Personen-, Brandschutz und Arbeitssicherheit" findet? Gerade diese Branchen sind doch immer wieder in aller Munde, weil sie kein Personal haben. Gastronomie und Hotellerie klagen seit Monaten, ein großes Festival wurde abgebrochen, weil die Sicherheitskräfte fehlten, und genau so fehlen diese auf Flughäfen, was Angst vor dem Scheitern des Sommerurlaubs schürt.

Aber diese drei Branchen haben Probleme, die sich mit den Engpass-Indikatoren nur zum Teil darstellen lassen. So lautet ja ein Indikator "Arbeitsuchenden-Stellen-Relation". Je weniger Arbeitsuchende es im Verhältnis zu freien Stellen in einer Branche gibt, umso mehr spricht das für einen Engpass. Das folgende Diagramm zeigt die Entwicklung dieses Indikators in Hotellerie und Gastronomie seit 2018. Und ja, mittlerweile ist der Wert in beiden Branchen so niedrig wie nie zuvor seit 2018. Beachtlich ist aber auch, wie steil die Kurve in der ersten Zeit der Pandemie (März 2020 bis April 2021) nach oben ging.

Um die Probleme der Branchen Hotellerie, Gastronomie und "Objekt-, Personen-, Brandschutz und Arbeitssicherheit" noch klarer darzustellen, taugt ein anderer Aspekt, der durch keinen Engpass-Indikator dargestellt werden kann: Der Branchenwechsel.

Im gesamten Gastgewerbe (Gastronomie und Hotellerie) gab es viel weniger Entlassungen während der Pandemie, als man vielleicht denkt. Viel stärker als die Beschäftigtenzahl sank die Zahl der freien Stellen. Erst seit Sommer 2021 sind die freien Stellen wieder auf oder über das Niveau von 2019 gestiegen, aber nun gibt es zu wenige Interessenten, als dass die Zahl der Beschäftigten spürbar steigen würde. Grund sind die Branchenwechsler, auch bei Arbeitsuchenden.

Leider gibt es keine aussagekräftigen aktuellen und deutschlandweiten Statistiken über Branchenwechsler unter Beschäftigten und Arbeitsuchenden. Aber das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) hat dieses Corona-Phänomen im Gastgewerbe (Gastronomie und Beherbergung) für Berlin und Brandenburg untersucht. Im Ergebnis ist zu lesen: "Als pandemiebedingte Ausweichbranchen für ehemalige Beschäftigte in der Gastronomie und der Beherbergung erweisen sich insbesondere der Einzelhandel und mit einigem Abstand auch Post- und Kurierdienste."

Die drei Abgehängten

Und doch kann man auch in deutschlandweiten Zahlen ausdrücken, welche Branchen in Sachen Angebot und Nachfrage von Arbeitsplätzen seit Corona besonders geschrumpft oder gewachsen sind. Wieder kommt es auf Arbeitsuchende und freie Stellen an, aber diesmal nicht in einer Verhältnisrechnung. Stattdessen summieren wir sie.

Wir vergleichen die Daten immer mit einem festen Bezugsmonat vor der Pandemie, in diesem Fall mit März 2019. (Dort kreuzen sich deshalb auch alle Kurven.) Errechnet wird, um wie viel Prozent sich die Zahlen von Arbeitsuchenden und freien Stellen im Vergleich verändert haben. Die Summe dieser beiden Prozentsätze ergibt unseren Index. Die zugrunde liegenden Daten stammen aus den Monatszahlen der Bundesagentur für Arbeit.
Wir haben alle Branchen ins Diagramm eingepflegt, was ein ziemliches Wimmelbild ergibt. Als Lesehilfe könnte man formulieren: Je tiefer eine Kurve liegt, umso mehr spricht das dafür, dass die ganze Branche geschrumpft ist, weil es weniger Arbeitssuchende UND weniger freie Stellen gibt.

Dreimal dürfen Sie raten bzw. dreimal dürfen Sie klicken, welche drei Kurven die andersfarbigen sind, die ganz nach unten führen. Es sind die immer wieder genannten: Hotellerie, Gastronomie sowie Objekt-, Personen-, Brandschutz und Arbeitssicherheit.

Anderseits sagen die (ebenfalls anklickbaren) obersten Kurven nicht unbedingt aus, dass es jenen Branchen allgemein "gut geht". Klar ist nur, dass es dort bei Arbeitsplätzen eine große Nachfrage und/oder ein großes Angebot gibt.

(rr)

Links

DIHK-Fachkräftereport 2021: Personalengpässe beeinträchtigen das Wachstum
Bertelsmann-Stiftung - Analyse 2021: Fachkräftemangel in deutschen Unternehmen größer als erwartet

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18 Kommentare

goffman am 11.07.2022

Ich denke, wir als Verbraucher sind mitverantwortlich, dass bestimmte, vor allem handwerkliche Berufe zunehmend unattraktiver werden.

Beispiel Tischler. Es macht Spaß, alte Verbindungen, z.B. Zapfen oder Schwalbenschwanz per Hand zu fertigen, hochwertige Möbel zu bauen, die Jahrhunderte überdauern, die individuell gestalten sind und deren Herstellung neben handwerklichem Geschick auch eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert. Heute werden Möbel meist schlicht und billig als Wegwerfprodukt gefertigt, aus Pressspan oder Plattenwerkstoffen, oft in Billiglohnländern, mit einfachen, maschinellen Verbindungen - Dübel, Schraube und Leim. Der Tischler verkommt zum Monteur. Die Arbeit wird langweilig.

Das Ansehen des Handwerks leidet. Die Meisterpflicht wurde in vielen Berufen abgeschafft, Bildung somit nicht mehr vorausgesetzt. Auf hochwertige, kunstfertige Arbeit wird kaum noch Wert gelegt.

Wer will das noch lernen, wenn die Gesellschaft Werk und Handwerker nicht wertschätzt?

Kritische am 11.07.2022

Der demografische Wandel stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Wir mussten uns noch zig Mal bewerben, um wenigstens einmal eingeladen zu werden. Kompromisse bei Art der Aufgabe, Gehalt oder Arbeitsort- und -zeit mussten eingegangen werden, sonst wäre man arbeitslos gewesen. Heute haben viele Arbeitgeber noch nicht verstanden, dass sie für Nachwuchs etwas tun müssen. Gerade in den unattraktiven Berufen. Selbst hier erlebt, der Handwerker vor Ort mit dem Lehrling beschimpft diesen derart peinlich und zum Fremdschämen, dass ich mich gezwungen sah, als Kundin einzugreifen. Weniger junge Leute können unter mehr Berufen und Optionen wählen. Hinzu kommen Möglichkeiten wie freiwilliges soziales Jahr, Work and Travel oder Selbstständigkeit. Viele, die hier sagen, die Eltern sollten doch ihren Kindern sagen, dass man auch Pflastersteine kloppen kann oder Toiletten reparieren, würden das auch selbst nicht machen und sich für ihre eigenen Kinder auch was anderes wünschen. Das ist doch unehrlich.

DanielSBK am 29.06.2022

"Und vor allem super bezahlte Traumberufe. Da sieht man wieder wie realitätsfern die Politik agiert."

Kenne einige Jung-Handwerker (Sanitär oder auch Dachdecker!) die haben mit 25 bereits ihr großes Haus, 3 Autos und eine Familie ...

Handwerk hat eben doch goldenen Boden - man muss nicht alle Kinder auf die Uni schicken um "Gender-Studies" oder "Afrikanische Literatur" zu "studieren".