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Dezentrale DatenverwaltungBlockchain – nur eine Sache der Info-Elite?

16. März 2018, 12:32 Uhr

"Die Blockchain ist gekommen, um zu bleiben", sagt Professor Andreas Ittner, Spezialist für Blockchain-Technologie in Mittweida. Neben ungeahnten Anwendungsfeldern für die dezentrale Datenverwaltung – von Grundbucheinträgen, Musikrechten bis hin zu grenzüberschreitenden Geldüberweisungen – wirft die Technologie unendlich viele neue Fragen auf.

Für Professor Andreas Ittner steht die Entwicklung der Blockchain-Technologie in einer Reihe mit der Erfindung des Buchdrucks, der Telefonie, des Radios, Fernsehens und Internets, oder wie Ittner im Gespräch mit MDR Wissen sagt:

Das wird Auswirkungen haben in allen möglichen Bereichen in den nächsten zehn, zwanzig Jahren. Die Blockchain ist gekommen um zu bleiben. Es nicht irgend so ein Buzzword, das vielleicht nach ein zwei Jahren verschwindet.

Ittner forscht und lehrt an der Hochschule in Mittweida, die ab Herbst 2018 als erste auf dem europäischen Festland einen Master of Blockchain-Science anbietet.

Ein Schritt zurück: Die Blockchain – was ist das eigentlich?

Blockchain-Technologie ist eine Mischung aus Mathematik und Informatik: Originale Daten werden in einer bestimmten Reihenfolge geordnet und in abgeschlossenen Blöcken auf tausenden Rechnern weltweit gestreut abgelegt. Diese verschlüsselten und versiegelten Blöcke haben eine Identifikationsnummer. Wird versucht, Informationen auf einem Block zu ändern, registrieren das auch sämtliche anderen Kopien dieses Blocks, wodurch eine neue ID entsteht: Änderungen sind so nachvollziehbar. Erstmals benutzt wurde die Blockchain-Technologie für den digitalen Geldhandel mit Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum.

Was kann Blockchain-Technologie?  

Ittner sieht die Zukunft der digitalen Wertströme und das Management digitaler Dokumente  in der Blockchain-Technologie: "Durch den verteilten Charakter ist das System nicht ausschaltbar, nicht beeinflussbar, nicht verfälschbar, nicht korrumpierbar. Das ist der Garant dafür, dass das, was einmal eingetragen wurde, auch in der Blockchain steht."

Was ist anders an dieser digitalen Informationsverwaltung?

Sie funktioniert ohne Zwischenhändler, ohne Intermediäre, wie sie im Blockchain-Sprachgebrauch heißen. Nicht nur Notare oder Banken, bisher Zwischenhändler von Transaktionen, müssen sich auf ein neues Zeitalter einstellen, wollen sie nicht untergehen, glaubt Ittner und erinnert an den Versandhandel in den 80er-Jahren, der mit Katalogen operierte und sich entweder auf den Onlinehandel umstellte oder auch nicht. Blockchains würden bei Überweisungen in Länder ohne entwickeltes Bankwesen die Zwischenhändler überflüssig machen, sagt Ittner, wodurch private Zahlungsdienstleister für die Übermittlung keine Gebühren mehr abzwacken können.

Informationen – für immer ins Netz gemeißelt

Was einmal in einer Blockchain steht, ist quasi in digitalen Stein gemeißelt: Rückwirkend lassen sich die Informationsblöcke – nach bisherigem Stand - nicht ändern, ohne dass es auffällt. Die Menge der möglichen Anwendungsfelder ist unüberschaubar – angefangen bei Überweisungen über Ländergrenzen, weiter mit der Verwaltung von Grundbucheinträgen für Immobilien oder Musikrechte, über Diamantenhandel bis hin zu Mikropayments für Internetcontent, zum Beispiel halbierte Centbeträge für das Lesen eines Artikels oder Anschauen eines Videos.

Hauseigentümer mit Solaranlagen könnten über Blockchains ihre überschüssige Energie anderen zur Verfügung stellen und verkaufen, elektronische Fahrzeuge könnten Ladestationen ansteuern und ohne zentralen Zwischenhändler den Verbrauch abrechnen.

So weit, so gut. Die Technologie wirft, analog zu ihrem Namen, ganze Ketten von Fragen auf, zum Beispiel beim Stichwort Datenschutz/Privatsphäre: Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat es, wenn jede finanzielle Transaktion aus Lebzeiten über den Tod hinaus öffentlich ist: Miete, Abruf von Artikeln oder Videos im Internet, Monatsgehalt, Kosten für den Bordellbesuch, Leasingraten fürs Auto. Theoretisch kann jeder alles über den anderen herausfinden - vorausgesetzt, er kann die Blockchains lesen. Praktisch gesehen sind Transaktionen mit Kryptowährungen und Blockchains im Netz offen einsehbar – für Informatik-Laien ein Buch mit sieben Siegeln, ein Wirrwarr aus Zahlenkolonnen und Kurvendiagrammen.

Ist Blockchain eine Elitetechnologie von einer Informationselite für eine Informationselite?

Bislang ist die Blockchain-Technologie fest in der Hand einer männlichen Informationselite. Das zeigt sich jedenfalls in den Teilnehmerlisten der Blockchain- oder Bitcoin-Meetups deutschlandweit genauso wie auch am Team des Blockchain-Competence-Centers in Mittweida: Frauen fehlen. Auch das wirft Fragen auf: Was heißt es, wenn der Zugang zu Informationen über Geldströme, Transaktionen, Verwaltung, Rechten, bis hin zu Wahlen und Gesellschaftsordnung allein von männlichen Informationseliten verstanden und beherrscht wird? Und ohne die Genderbrille betrachtet: Werden unberechenbare Gesellschaften, in denen Misstrauen gegen die Politik grassiert, berechenbarer, weil sie von Mathematik und Informatik geleitet werden, braucht man dann überhaupt noch politische Systeme?

Was muss passieren, damit Blockchain keine Elitetechnologie von einer Informationselite für eine Informationselite bleibt?

"Wir müssen die breite Masse erreichen", sagt Ittner und rät: Langfristig müsse man früher ansetzen, in den Grundschulen. Nicht, indem man Kinder mit Tablets versorge, sondern sie frühzeitig im Programmieren unterrichtet. Das wirft dann die nächste Fragenkette auf, nach Lehrplänen und Fachdidaktikern für verschiedene Altersstufen, bis hin zur Attraktivität dieser Arbeit für IT-Spezialisten, die das kleine Einmaleins des Programmierens in Grundschulen unterrichten wollen, und der Frage, wo im Stundenplan Platz geschaffen wird für ein neues Unterrichtsfach.

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Sachbuch aktuell | 24. Februar 2018 | 14:15 Uhr