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Bildrechte: ESA / ID&Sense / ONiRiXEL

ClearSpace & ESASchrott im All: Europas Weltraum-Müllabfuhr soll 2025 starten

01. Dezember 2020, 17:01 Uhr

Die europäische Weltraumbehörde ESA will 2025 ein Projekt zur Beseitigung von Weltraumschrott starten. Der ClearSpace-1 Satellit soll dabei ein Schrottteil anfliegen, es greifen und gemeinsam mit ihm in der Erdatmosphäre verglühen. Das rund 100 Millionen teure Projekt soll einen neuen Wirtschaftszweig schaffen, in dem Europa führend sein will.

von Patrick Klapetz

Weltraumschrott ist eine Bedrohung. Nicht nur für die Raumfahrt, sondern auch für uns auf der Erde. Größere Teile könnten beim Eintritt in die Erdatmosphäre nicht komplett verglühen und somit auf bewohnbares Gebiet stürzen. Die Europäische Weltraumbehörde ESA stellt sich diesem Problem und will eine weltweit führende Rolle bei der Beseitigung von Weltraumschrott einnehmen.

Zusammen mit dem Schweizer StartUp ClearSpace SA rückt diese Weltraum-Mission ein Stück näher. Ab 2025 soll der erste Satellit in den Orbit gebracht werden, der ein Stück Weltraumschrott einfangen kann. Insgesamt soll das Projekt 100 Millionen Euro kosten. Die ESA hat am 27. November einen Vertrag mit dem Unternehmen geschlossen. 86 Millionen steuert die Raumfahrtbehörde dazu. Die restlichen Millionen kommen von ClearSpace über beispielsweise externe Investoren. Am 1. Dezember hat die ESA das Projekt in einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt.

Der Einsatz der Weltall-Müllabfuhr

2025 soll der ClearSpace-1 Satellit in den Orbit fliegen. Die Müllabfuhr im All wird einen Vespa-Nutzlastadapter ansteuern. Dieser Adapter ist ein Teil des europäischen Vega-Trägerraketen-Systems. Es wiegt 112 Kilogramm und hat einen Durchmesser von zirka zwei Metern. Das entspricht den Maßen und Formen eines typischen Kleinsatelliten.

Zunächst wird das Schrottteil von der Bodenkontrolle aus beobachtet. ClearSpace-1 ist aber auch mit visuellen Kameras und einem Radar ausgerüstet. Wenn es näher an dem Objekt dran ist, helfen diese ihm bei seiner Jagd. Von einer Orbithöhe von 500 Kilometern – die Internationale Raumstation ISS befindet sich in zirka 400 Kilometern Höhe – wird sich ClearSpace-1 dem Vespa-Nutzlastadapter nähern. Dieser befindet sich in einer Höhe von rund 800 Kilometern.

Sobald die Weltraummüllabfuhr an ihrer Beute ist, wird ClearSpace-1 seine vier Greifarme ausfahren. Dann wird sie das Schrottteil einfangen, umklammern und mit ihm in den tieferen Erdorbit fliegen. Dort werden beide gemeinsam in der Atmosphäre kontrolliert verglühen.

Jan Wörner, ESA-Direktor, macht deutlich, dass es sich hierbei um keine Demonstration handelt: "Es ist eine richtige Mission." Die Prämisse des Vorhabens: ClearSpace-1 muss mit einer europäischen Rakete in den Weltraum gebracht werden. Dies soll vom ESA-Weltraumbahnhof Kourou auf Französisch-Guyana geschehen. Als Transportfahrzeug wird eine Trägerrakete des Typs Vega-C verwendet.

Wie viel Weltraumschrott gibt es?

Heute gibt es mehr als 28.000 bekannte Trümmerobjekte im Erdorbit, berichtet die ESA. Diese werden regelmäßig mit Radarmessungen und anderen Methoden verfolgt. Jedes dieser Teile hat das Potential einen funktionieren Satelliten zu beschädigen oder sogar zu zerstören. Darüber hinaus gibt es "mehr als eine Millionen kleine Teile, die kleiner als ein Zentimeter sind", erklärt Jan Wörner in der Pressekonferenz.

Dann befinden sich noch zirka 3.200 funktionsfähige Satelliten im Orbit. Ungefähr 3.000 weitere sind außer Betrieb. 2019 musste die ESA 21 Ausweichmanöver ihrer Satelliten einleiten, um Schrott aus dem Weg zu fliegen. Für 2020 waren es bis jetzt zwölf.

Wie gefährlich ist der Schrott aus dem All?

Auch die Internationale Raumstation ist den Gefahren von Schrottteilen aus dem Orbit ausgesetzt. So musste sie bereits mehrere Ausweichmanöver einleiten. Derzeit befindet sich irgendwo auf der ISS ein winziges Loch, durch dass sie minimal Luft verliert. Die stationierten Raumfahrerinnen und Raumfahrer nehmen zwar andauernd Reparaturen vor, das Problem konnte aber noch nicht behoben werden.

Selbst wenn man ab morgen die Raumfahrtflüge komplett einstellt: Die Anzahl der Schrottteile im All würde weiter steigen, erklärt die ESA. Die Kollisionsgefahr zwischen einzelnen Gegenständen im All würde zunehmen. Trümmerteile würden neue Trümmerteile verursachen. Irgendwann wird dadurch eine Massenkarambolage ausgelöst. 

Blick ins Europäische Raumfahrtkontrollzentrum ESOC. Hier sieht man dn Haupkontrollraum in Darmstadt. Bildrechte: ESA

Rolf Densing ist der ESA-Direktor für Missionsbetrieb am Europäischem Raumfahrtkontrollzentrum ESOC. Von Darmstadt aus hat die ESA alle Satelliten im Blick. Er berichtet, dass am Tag mehr als 100 Kollisionswarnungen eingehen.

Je früher große Stücke entfernt werden, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass man bald ganz noch mehr Kleinteile im All rumfliegen hat. Diese sind schwerer zu katalogisieren. Sehr große Stücke könnten zusätzlich beim Eindringen in die Erdatmosphäre nicht vollständig verglühen – eine mögliche Gefahr für Menschen und Tiere.

Zukunftsmarkt: Weltraum-Müllabfuhr

Satelliten haben nur eine begrenzte Lebensspanne, erklärt Densing: "Anders als bei einem Auto, kann man nicht zu einer Tankstelle fahren um aufzutanken. Der Treibstoff ist begrenzt. Die Lebensdauer von Satelliten hängt davon ab."

ClearSpace-1 beim Einsammeln von Weltraumschrott

Diese künstlerische Darstellung zeigt ClearSpace-1, wie er das Trümmerteil Vespa (Vega Secondary Payload Adapter) vom europäischen Vega Launcher versucht zu greifen. Bildrechte: ClearSpace SA
ClearSpace-1 hat, in dieser künstlerische Darstellung, das Trümmerteil eingefangen. Bildrechte: ClearSpace SA
Hier erkennt man die ClearSpace Raumsonde mit der eingefangenen Vega-Raketenoberstufe über der Erdatmosphäre schwebend. Bildrechte: ClearSpace
Die Raumsonde bereitet sich auf den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre vor. Dort wird sie zusammen mit dem Stück Weltraumschrott verglühen. Bildrechte: ESA

Ein Satellit kann, wenn er außer Betrieb ist, tausend Jahre im Orbit verweilen, erörtert der Gründer von ClearSpace, Luc Piguet. In Bezug auf die Kosten eines einzelnen Satelliten mögen die Missionskosten vielleicht hoch erscheinen. Wenn man den Zeitraum betrachtet, erscheinen sie dagegen gering.

Die ESA möchte mit dieser Mission sicherstellen, dass die europäische Industrie bereit sein wird und weltweit führend, wenn der Markt für die Weltraummüll-Entsorgung erschlossen ist. Dadurch kann in Europa ein neuer Industrie-Sektor entstehen. Auf die Frage, wer außer die ESA noch wirklich an einem solchen Projekt arbeitet, sagt Wörner: "Wir sind soweit die Einzigen."

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