Klimafaktor Internet Ein Rechenzentrum könnte 10.000 Wohnungen heizen

05. Juli 2019, 16:43 Uhr

Schnell per Whatsappp eine Nachricht schreiben, ein Netflix-Video schauen, ein Bild auf Instagram posten... Unsere virtuelle Hightech-Welt ist blitzschnell, hocheffizient und scheinbar auch sauber. Doch immer häufiger wird der rasant wachsende Energieverbrauch von Internet, Smartphones, Cloud Computing & Co. kritisieret. Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" (WGBU) warnte, dass die Digitalisierung die Klimakatastrophe anheizen würde. Was ist da dran?

autonomer Linienbus auf Sylt
Auf Sylt fahren autonome Minibusse. Rechnet sich das ökologisch, wenn man auch die Rechenleistung dahinter mitrechnet? Bildrechte: imago images / Chris Emil Janßen

Eine E-Mail benötigt weder Papier noch Postauto. Ist sie damit aber auch klimafreundlich? Nicht unbedingt! Denn auch Smartphone, PC und Internet brauchen Strom. Verschiedenen Studien zufolge liegt der CO2-Fußabdruck einer Email irgendwo zwischen ein und zwanzig Gramm CO2. Zum Vergleich: eine Plastiktüte verursacht rund 100 Gramm. Unbestritten ist unter Experten auf jeden Fall, dass das Internet längst eine CO2-Schleuder geworden ist, sagt Wirtschaftswissenschaftler Dr. Ralph Hintemann, der am Berliner Borderstep Institut zum Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit forscht.

Man kann das Internet sehr gut mit dem globalen Luftverkehr vergleichen. Das Internet braucht insgesamt so viel Energie wie der gesamte globale Luftverkehr. Und die CO2-Emissionen ähneln vom Ausmaß her den CO2-Emissionen des globalen Luftverkehrs.

Dr. Ralph Hintemann
Auf einem iPhone ist ein Download für den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp Messenger zu sehen
Kurznachrichten schlucken Energie Bildrechte: picture alliance/dpa

Dabei ist der Energieverbrauch aller mit dem Internet verbundenen Geräte wie Smartphones, Tablets, Daten- und Funknetze einberechnet. Auch der von Rechenzentren: Sie gelten als "Herzstück" der Digitalisierung und ihre CO2-Bilanz wächst besonders schnell:

Jede Email, die wir schreiben, geht durch ein Rechenzentrum, wenn wir eine Wetter-App benutzen, eine Navigations-App, das läuft alles in den Rechenzentren. In der Industrie 4.0 werden enorme Daten erzeugt. Die müssen alle abgespeichert und verarbeitet werden. Das führt zu einem riesigen Wachstum.

Dr. Ralph Hintemann

Der Preis für die Vernetzung und die neuen Dienste

Ein Trend, der fatale Folgen für das Klima haben könnte, denn Betrieb und Kühlung von Rechenzentren verschlingen viel Strom.

Der wird in Deutschland immer noch überwiegend aus fossilen Energieträgern erzeugt. Dem Bundesumweltamt zufolge sind mittlerweile vier mittelgroße Kraftwerke notwendig, um alle Rechenzentren am Laufen zu halten. Ihr Strombedarf ist seit 2010 um ein Viertel gewachsen. Ein Blick auf Frankfurt am Main, eine Stadt mit sehr vielen Rechenzentren. Ralph Hintemann zufolge gehen ungefähr 20 Prozent des gesamten Stroms in Frankfurt in die Rechenzentren:

Rechenzentrum
Wieviel Energie verbrauchen Rechenzentren? Bildrechte: imago/Stockhoff

Die merken mittlerweile, das die Abwärme aus diesen Rechenzentren das Mikroklima in der Stadt beeinflusst. Wir forschen auch zum weltweiten Stromverbrauch der Rechenzentren. Der ist deutlich stärker gestiegen als in Deutschland. Wir gehen davon aus, dass der Stromverbrauch seit 2010 um ungefähr 70 Prozent gestiegen ist.

Ralph Hintemann

Wie viel Energie brauchen wir 2030 für all die Datendienste?

Für Aufsehen sorgte auch das Worst-Case-Szenario einer Studie des chinesischen IT-Giganten Huawei. Danach könnte der Energiebedarf von Rechenzentren in den nächsten zehn Jahren geradezu explodieren: Auf ganze acht Prozent der globalen Stromproduktion im Jahr 2030. IT-Unternehmen und Wissenschaftler wollen gegensteuern:

Ein hochaktuelles Thema ist die Anwendung von Künstlicher Intelligenz, also mit Algorithmen bestimmte Zusammenhänge zu erfahren, zum Beispiel Rechenzentren zu steuern und damit dann auch Energie zu sparen.

Dr. Ralph Hintemann
Rechenzentrum
Bildrechte: imago/photothek

Das nutzen Apple, Amazon, Google & Co. in ihren riesigen hochmodernen Hyperscale-Anlagen. Anders als herkömmliche Rechenzentren können die Hyperscaler auf Auslastungs-Schwankungen reagieren: Herrscht auf der Daten-Autobahn wenig Verkehr, werden einzelne Server abgeschaltet. Damit sollen Energieeinsparungen bis zu zwanzig Prozent möglich sein. Andere Strategien setzten bei der hohen Abwärme der Server an:

Der Strom, der in Rechenzentren reingeht, könnte 1:1 in Wärme umgewandelt werden. Man kann sagen, ein Rechenzentrum ist eine große Heizplatte. Diese Wärme könnte ich zum Beispiel für die Wohnungsheizung, Warmwasserbereitung etc. gut nutzen.

Dr. Ralph Hintemann

Ein großes Zukunftsthema und Schweden gilt dabei weltweit als Pionier. Der in Berlin lebende schwedische Energie-Experte Staffan Revemann erklärt warum:

Diese Abwärme sollte man nutzen - und das tun die Schweden, ganz besonders um die Großstädte herum, weil wir auch ausgiebige Fernwärmenetze haben. Und ein Rechenzentrum kann im Prinzip 10.000 Wohnungen heizen.

Staffan Revemann

Die Abwärme der Server will auch das deutsche Unternehmen InvenSor nutzen, erklärt Geschäftsführer Sören Paulsen:

Die Wärme, die da entsteht, nicht auf Luft übertragen, sondern mit Wasser abführen und nutzbar machen: Zum Beispiel in unseren Kältemaschinen, wo wir aus dieser Wärme Kälte erzeugen und damit den Rest des Rechenzentrums kühlen.

Geschäftsführer Sören Paulsen:

Aber auch die Verbraucher sind gefragt. Mehr Zurückhaltung bei besonders datenintensiven Diensten wie Online-Spielen, Videostreaming und Cloud-Diensten wirkt klimafreundlich. Allein Videostreaming verursacht heute ganze zehn Prozent des Energiebedarfs von Rechenzentren.

Apps, die indirekt dem Klima nutzen

Natürlich bietet die Digitalisierung auch viele Chancen für Umwelt und Klimaschutz: Schon heute helfen Apps beim Car-Sharing, beim Weiterverkauf gebrauchter Kleidung, von Möbeln oder Hausrat. Beim Heizen könnten bald intelligente Steuerungssysteme mit vernetzten Sensoren und Funk-Thermostaten den Energieverbrauch um ein Drittel reduzieren.

Ob solche positiven Effekte der Digitalisierung die negativen überwiegen werden, ist mehr als ungewiss: Bisher wächst die die Zahl der Anwendungen in Internet und Computer schneller als die Verbesserungen, wenn es um die Energieeffizienz geht. Unwahrscheinlich, dass das in Zukunft weniger wird. Schließlich stehen wir ganz am Anfang bei der Industrie 4.0, Stichwort autonomes Fahren beispielsweise. Selbst wenn wir energieeffizienter werden, neue Technologien werden alle zusätzliche Leistung brauchen, sagen die Experten.

Auf die Digitalisierung verzichten will und kann heute keiner. Wir werden uns aber rasch um ihr wachsendes Energie- und Klimaproblem kümmern müssen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Radio | 07. Juli 2019 | 10:20 Uhr