Cyborgs Wann ist der Mensch kein Mensch mehr?

26. Juni 2018, 12:38 Uhr

Cyborgs sind nicht mehr nur eine Fantasie Hollywoods, sondern Realität. Egal ob Computerchips unter der Haut oder eine Antenne im Kopf – die technischen Möglichkeiten sind heutzutage vielfältig. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine verschwimmt. Eine Entwicklung, die nicht ohne Risiko ist.

Zur einen Hälfte Mensch, zur anderen Maschine: Cyborgs. Wir kennen sie als Helden und Fieslinge aus großen Hollywoodstreifen. Eine technische Vision, die uns die Zukunft weist. Tatsächlich gehören Cyborgs schon lange nicht mehr allein der Science-Fiction-Welt an. Längst leben sie unter uns. Denn als Cyborgs gelten Menschen, in deren Körpern technische Geräte als Ersatz oder Unterstützung nicht ausreichend leistungsfähriger Organe integriert sind. So definiert es zumindest der Duden. Demnach wären auch all jene Cyborgs, die beispielsweise einen Herzschrittmacher oder eine künstliche Augenlinse tragen. Die Wahrheit ist: Es gibt derzeit keine einheitliche Definition. Prinzipiell können sich alle Menschen als Cyborg bezeichnen und fühlen, die auf irgendeine Art "technisch modifziert" sind.

Von Mikrochips bis Prothesen

Technisch ist dabei im Jahr 2018 schon ziemlich viel möglich. So können wir uns beispielsweise kleine Magnete oder RFID-Chips implantieren zu lassen. Diese öffnenTüren oder bezahlen unser Busticket bargeldlos. Möglichkeiten, die medizinisch relevanten Prothesen oder Implantaten gegenüberstehen. Beispielsweise einer Beinprothese aus leichtem Carbon. All das ist jedoch nicht einfach nur bahnbrechend, sondern muss auch kritisch begleitet werden. So stößt beispielsweise das Cochlea-Implantat auf Kritik des Deutschen Gehörlosen Bundes (DGB). Das Implantat verbindet den Hörnerv mit einem Sound-Prozessor, wodurch Gehörlose und Schwerhörige wieder hören können.

Für den DGB ein Problem, da vielen Gehörlosen dieses Implantat schon im Kindesalter eingesetzt wird. Ein Eingriff, der nicht ohne Risiko ist und vor allem von Eltern beschlossen wird, also nicht selbstbestimmt ist. Ebenfalls kritisiert der DGB, dass eine Hörschädigung als "medizinisch behandelbares Defizit" betrachtet wird. Dass das Implantat auch psychische und soziale Folgen haben kann, bliebe außer Acht. Die Debatte um das Cochlea-Implantat macht deutlich, dass die Grenze zwischen einem medizinischen Gerät, das seinem Träger helfen soll, und der Optimierung von Menschen, fließend ist. Umso wichtiger ist es, dass immer wieder über solche technischen Entwicklungen diskutiert wird. Eine Aufgabe, die sich nicht nur die Gesellschaft zur Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik, kurz Cyborg e.V., auf die Fahnen geschrieben hat. Auch die Philosophie beschäftigt sich mit dem Thema.

Cyborgs in der Philosophie

"Bereits in der platonischen Philosophie gibt es erste Überlegungen in diese Richtung, aber natürlich ist die Thematik jetzt relevant geworden. Filmisch ist die Serie 'Star Trek' für das Thema richtungsweisend, weil hier viele damit verbundene ethische Fragen gestellt werden", erklärt Nikolaus Knoepffler. Er ist Professor für Philosophie an der Universität Jena und beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn Lebewesen entstehen, von denen ein Teil Technik ist. Allerdings, schränkt er ein, wären wir von echten Cyborgs, die wie im Film mehr Maschine als Mensch sind, noch weit entfernt. "Mit einem Cochlea-Implantat, aber auch schon mit einem Herzschrittmacher fangen wir an, uns in Richtung Cyborg zu bewegen."

Doch was passiert, wenn wir in Zukunft tatsächlich alle gechipt sind und künstliche Hightech-Organe implantiert haben? Wann ist der Mensch kein Mensch mehr? Laut Knoepffler ist das eine völlig offene Frage, weil man hierfür mit fiktiven Beispielen hantieren muss. Als Beispiel nennt er die Borgs aus 'Star Trek', die wie ein Insektenvolk von einer Königin, von einer Art Superintelligenz, gesteuert werden. "Man könnte sich das modern so vorstellen: Wenn uns ein Chip eingebaut würde, wo jemand anderes unsere Gedanken kontrolliert oder Entscheidungen bestimmt," erklärt der Philosophieprofessor. In diesem Fall wäre eine Grenze überschritten, denn: "Wir verlören, was uns eigentlich zu Menschen macht."

Entwicklung kritisch begleiten

"Wir sind im Moment an einer ganz wichtigen Schnittstelle, weil wir technisch mehr und mehr Möglichkeiten haben, den Menschen zu cyborgisieren" sagt Knoepffler. Die offene Frage laute jedoch: Wie weit wollen wir wirklich gehen? Hinzu kommen dem Philosophieprofessor zufolge auch Sicherheitsaspekte. Denn wo Software im Spiel ist, könnte sich immer jemand einhacken. Schon heute ist es theoretisch möglich, die Frequenzen von Herzschrittmachen zu manipulieren.

"In mir ist schon ein Stück Neugier", sagt Knoeppfler. Persönlich fände er einen Sprachchip interessant. Innerhalb kurzer Zeit könnte dieser uns eine neue Sprache sprechen und verstehen lassen. "Gleichzeitig sage ich, müssen wir das Neue durch eine begleitende, behutsame ethische und gesellschaftliche Forschung so formen, dass nicht alles, was möglich ist, geschieht, ohne, dass wir uns darüber verständigt haben, wo wir die Grenzen setzen wollen."

Der erste Cyborg der Welt ... ... ist der Brite Neil Harbisson. Er ist gleichzeitig der bisher einzige Mensch, der offiziell von einer Regierung, der britischen, als Cyborg anerkannt wurde. Harbisson kann seit seiner Geburt nur schwarz-weiße Töne wahrnehmen. 2004 hat er sich eine Antenne (Eyeborg) implantieren lassen, die es ihm ermöglicht Farben – bis hin zu ultraviolett – zu hören. Er kann aber auch Signale von Satelliten empfangen.

Dieses Thema im Programm: MDR Fernsehen "Auf dem Weg zum Cyborg" | 03. August 2017 | 22:35 Uhr