Erneuerbare Energien Windrad-Drehung: Andersrum ist nicht richtigrum

13. Juli 2020, 10:46 Uhr

Weil der Uhrzeigersinn ein vertrautes Drehgefühl ist, hat man wohl irgendwann entschieden: Auch Windräder drehen sich so rum. Theoretisch wäre andersrum auf der Nordhalbkugel ertragreicher. In der Praxis ist das allerdings egal.

Ein Windrad im Vordergrund (hohe Säule mit drei langen, dünnen Rotorblättern) und ein kleines im Hintergrund; Drehbewegungen sichtbar. Im Hintergrund eine braun-rote Bergkette und viel heller Himmel. Darauf montiert ein Doppelpfeil am großen Windrad und ein Fragezeichen.
Gibt es eine bessere und eine schlechtere Drehrichtung bei Windrädern? Darüber wird derzeit gestritten (Symbolfoto). Bildrechte: Pixabay/lukasbieri, MDR (M)

Oh wei, da hat sich ein ordentlicher Wind zusammengebraut: "Ein Viertel mehr Energieausbeute möglich: Neunzig Prozent der Windräder drehen sich falsch herum". Oder: "Entscheidung mit Folgen: Alle Windräder drehen sich falsch herum". So die Schlagzeilen Mitte Juni. Im Thema Windkraft steckt ohnehin schon fast mehr Emotion als Technik – Infraschall und Landschaftsgestaltung sind da nur einige sensible Themen. Und jetzt soll auch noch alles für die Katz gewesen sein: Viel mehr Energieausbeute wäre möglich, hätte man die Dinger doch mal richtig montiert und würde sie in die andere Richtung drehen lassen.

Zu dem Schluss kommen Forschende des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der University of Colorado in einer Vorab-Studie im Fachjournal "Wind Energy Science". Und weil die wissenschaftliche Diskussion darüber öffentlicher als gewohnt ist, stellen auch Agenturen und Medien schockiert fest: Der Uhrzeigersinn – auf der Nordhalbkugel wohlgemerkt – ist ein Holzweg. Bis zu 23 Prozent mehr Energieausbeute sei möglich, wenn sich die Rotoren nur andersrum drehen würden.

Die Corioliskraft macht's

Das stimmt auch – und zwar in der Simulation des Forschungsteams. Verantwortlich ist die Corioliskraft. Das ist eine Scheinkraft, die wirkt, wenn sich die Bewegung eines Körpers mit einer Drehbewegung überlagert. Der Körper wird abgelenkt. Das ist auch der Grund, warum Windsysteme auf der Nordhalbkugel sich in die eine, auf der Südhalbkugel in die andere Richtung bewegen. (Diese Trägheitskraft ist im Übrigen nicht dafür verantwortlich, dass das Wasser immer in eine bestimmte Richtung im Abfluss abläuft. Das tut es nämlich gar nicht, verantwortlich für die Abflussrichtung die Beschaffheit eines individuellen Abflusses - das nur am Rande).

Die Corioliskraft führt aber dazu, dass sich Windströmungen hinter einer Anlage schneller regenerieren, wenn sich eine Windkraftanlage auf der Nordhalbkugel gegen und auf der Südhalbkugel im Uhrzeigersinn dreht. Theoretisch. Besagte Studie beschäftigt sich – als eine der ersten ihrer Art – mit Extremwerten aus dem Labor. Und nicht mit Mutter Natur, die vor Ort ganz individuelle Gegebenheiten vorsieht, die von einer Vielzahl weiterer Faktoren abhängig sind. Für einzelne Windräder spielt der Effekt sowieso keine Rolle. Und bei Windparks?

Off- oder Onshore? Im Grunde egal.

"Für Offshore-Parks kann das Argument der Autoren auch keine große Rolle spielen, da die vertikale Windscherung – die Windzunahme und Winddrehung mit zunehmender Höhe – recht gering ist, wegen der geringen Reibung an der glatten Wasseroberfläche", erklärt Stefan Emeis vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie. Bleiben also nur Windparks im Binnenland, also onshore, bei denen die von den Autoren thematisierten Windscherungen aber nur nachts auftreten, so Emeis. "Und sie treten auch nur in Nächten auf, in denen der Himmel weitgehend klar ist und gleichzeitig ein großräumiger Druckgradient besteht. Diese Situation haben wir in Mitteleuropa nur in gut 20 Prozent der Nächte. Das heißt, der Vorteil von linksdrehenden Anlagen kommt – wenn er überhaupt existiert – nur für Onshore-Windparks in maximal zehn Prozent der Laufzeit zum Tragen." Zudem tritt er eher in kürzeren Sommernächten als in langen Winternächten auf, was den Anteil auf unter zehn Prozent senken sollte.

Zu dem Ergebnis kommt auch der Bundesverband Windenergie BWE und schreibt in einer öffentlichen Stellungnahme: "Der BWE sieht technisch und wirtschaftlich keinen relevanten positiven Effekt auf den Ertrag durch linksdrehende Windenergieanlagen." Tatsächlich dürfte das mögliche Plus an Energiegewinn den Aufwand, auch den energetischen, kaum rechtfertigen, denn ein Umbau der Anlagen mit sich brächte.

Viele Faktoren entscheidend

Und neue Windräder? Sicherheitshalber doch gegen den Uhrzeigersinn? Besser wäre es, nicht nur einen Effekt sondern möglichst viele Einflüsse zu berücksichtigen. Po Weng Chen ist Leiter des Stuttgarter Lehrstuhls für Windenergie an der Uni Stuttgart und arbeitet daran, dass das besser wird: "Windenergieanlagen arbeiten heute wie ein Fahrradfahrer, der mit geschlossenen Augen durch die Stadt fährt: Man reagiert erst dann, wenn man mit einem Hindernis kollidiert ist. Die Windräder reagieren auf eine turbulente Böe genauso. Wenn Windräder die Windfelder besser verstehen und 'sehen' können, hätte das für die Effizienzsteigerung und Abnutzung große Vorteile – wie beim Fahrradfahren mit offenen Augen, kann man die Kurven vorher planen."

Dafür aber muss man aufwendige Natursimulationen durchführen, und der Rechenaufwand dafür geht schnell in die Höhe. Wäre schon blöd, wenn dann der mögliche zusätzliche Energieertrag des Windrads geringer ist, als der Stromverbrauch der Server. Po Weng Chen: "Wissenschaftlich gesehen ist es sinnvoll, die Natur so gut wie möglich abzubilden. Allerdings steigt der Rechenaufwand sehr schnell an. Daher ist es wichtig, die wichtigen Einflussfaktoren vorher zu identifizieren. Wie wichtig die Drehrichtung der Windräder für den Nachlauf ist, kann man noch nicht genau sagen, bevor man den Einfluss präziser quantifiziert hat." Und bis dahin dreht sich eben erstmal alles beim Alten.

flo

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