Jubiläum: 20 Jahre bewohnbare ISS Sichere Schifffahrt und Katastrophenschutz: So forscht Deutschland auf der ISS

19. Januar 2023, 13:21 Uhr

"Die komplexeste, wertvollste und unwahrscheinlichste Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat", so beschrieb der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst die Internationale Raumstation. Gerst steht wie kein anderer für die deutsche Anwesenheit im Weltall. Dabei ist die Bundesrepublik von Beginn an ein starker Partner der ISS. Aber was bringen die teuren Ausgaben im Weltraum uns auf der Erde? Fünf deutsche Projekte, die zeigen, wie wertvoll der deutsche Beitrag im Weltall ist.

Seit 20 Jahren beherbergt die Internationale Raumstation Menschen, die gemeinsam an einer größeren Sache arbeiten. Wissenschaft, Technologie und Bildung stehen im Fokus der unwahrscheinlichsten und komplexesten Maschine, die von Menschen je gebaut wurde. So beschrieb der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst einst die ISS. Seit dem 2. November 2000 empfängt die ISS Menschen und deutsche Forschung ist von Anfang an dabei.

Doch was bringt es Deutschland, sich daran zu beteiligen? Ist die Forschung nicht eh nur für die Astronauten da oben nützlich? Fünf deutsche Forschungen, die zeigen, wie wichtig der deutsche Beitrag ist.

Erstens: Sicherung des Schiffsverkehr aus dem All

Über den Schiffsverkehr werden unzählige Güter transportiert, seien es Konsumartikel, Ressourcen oder Passagiere. Gleichzeitig findet Piraterie und illegale Fischerei statt. Dabei verblüfft es, dass sich der Funkverkehr lange Zeit nur auf UKW-Signale gestützt hat. Diese haben lediglich eine Reichweite von 74 Kilometern. In Küstennähe vollkommen ausreichend. Auf der offenen See sind 74 Kilometer aber Peanuts. Alleine die Luftlinie von New York nach Amsterdam beträgt über 5.800 Kilometer.

Schiffe mit über 300 Tonnen und Frachter ab 500 Tonnen Gewicht sind mit einem Automatischen Identifikationssystem (AIS) ausgestattet. Wenn sie im Hafen liegen, senden sie alle drei Minuten automatisch ein Signal – ab 23 Knoten Geschwindigkeit alle zwei Sekunden. Dieses Signal wurde mit dem deutschen Projekt "Columbus Automatic Identification System" (ColAIS) erfasst, ausgewertet und zurück zu den Schiffen geschickt. Mittels GPS-Empfänger kann auf den Schiffsbrücken die Schiffsposition nachverfolgt werden.

Die deutsche Forschung auf der ISS trägt somit zur Sicherheit des weltweiten Schiffsverkehrs bei.

Positionsmeldungen von Schiffen, empfangen mit dem NORAIS-Empfänger in einem Zeitraum von 24 Stunden am 29. Juni 2010. Die Daten sind in Zusammenhang mit dem deutschen COLAIS-Experiment (Columbus Automatic Identification System) entstanden.
Positionsmeldungen von Schiffen, empfangen mit dem NORAIS-Empfänger in einem Zeitraum von 24 Stunden am 29. Juni 2010. Die Daten sind in Zusammenhang mit dem deutschen COLAIS-Experiment (Columbus Automatic Identification System) entstanden. Bildrechte: FFI

Zweitens: Tierwanderung vom Weltraum aus?

Das Projekt ICARUS (International Cooperation for Animal Research Using Space) wurde 2019 gestartet und widmet sich den Tieren. Mit einer über 100 Kilogramm schweren Antenne auf der ISS wird die Bewegung von Tieren, wie etwa Zugvögeln beobachtet. Diese werden, ähnlich wie früher, mit einem Ring ausgestattet. Jedoch ist der neue Ring elektronisch und kann somit Daten übertragen.

Die nachvollziehbaren Wanderrouten oder Bewegungen der Tiere helfen unter anderem dabei, Naturkatastrophen vorherzusagen. Bei Erdbeben oder Vulkanausbrüchen zeigen Tiere bereits im Vorfeld ein auffälliges Verhalten. Aber auch das Auftauchen von neuen Pflanzenarten in einem Ökosystem könnte dadurch erklärt werden.

Doch Tiere können nicht nur Kuriere für Pflanzen-, sondern auch für Krankheitskeime sein. Informationen über die exakten Wanderrouten können daher hilfreich sein, um Epidemien vorzubeugen oder einzudämmen.

Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) "ICARUS - Tierwanderungen von der ISS aus beobachten"

Das Projekt kann somit nicht nur die Veränderung von Ökosystemen erklären, es kann als Frühwarnsystem für unterschiedliche Katastrophen dienen. Und somit Leben retten.

Drittens: Wärmeregulation in Schwerelosigkeit

Leben retten, dafür sind vor allem Feuerwehrmänner, Polizistinnen sowie Sicherheitskräfte bekannt. Bei der Bekämpfung von Feuerherden werden die Einheitskräfte mit enormen Temperaturen konfrontiert, was auf den Körper schlagen kann. 

Ähnliche Temperaturschwankungen kennen auch Astronauten. Im Außeneinsatz schwanken diese zwischen -180 Grad Celsius im Schatten und +200 Grad in der Sonne. Darüber hinaus verteilten sich die Körperflüssigkeiten beim Eintritt in die Schwerelosigkeit beim Menschen schnell um. So auch der eigene Wärmehaushalt: Kalte Finger oder Füße sind die Folge.

Mit Thermo (Thermoregulation in Microgravity) wird die Körperkerntemperatur gemessen und das ohne ein invasives Messverfahren. Dafür wurden Thermosensoren am Kopf und Brustbein von Astronauten angebracht. Es erfolgten jeweils vier Messungen vor sowie nach dem Flug zur ISS sowie sechs Messungen auf der ISS. Das Ergebnis: Unmittelbar nach dem Eintritt in die Schwerelosigkeit wanderte ein halber Liter Blut von den Beinen in Richtung Kopf. Dadurch wurde noch mehr Wärme über den Kopf abgegeben als ohnehin schon. Auf der Erde sind es 30 Prozent. Nach körperlicher Anstrengung benötigten die Astronauten im Weltraum auch längere Ruhephasen zur Temperaturregulierung.

Überwachte Wärmeregulierung kann auf der Erde besonders bei der Feuerbekämpfung von Vorteil sein. Jedoch auch in Krankenhäusern ist diese Technik überlebenswichtig. Beispielsweise bei Herztransplantationen oder in den Inkubatoren auf der Neugeborenen-Station.

Viertens: Grundlagenforschung in der Medizin

Der medizinische Sektor profitiert stark von der Grundlagenforschung im All.

Beim „Cartilage“-Experiment wurde beispielsweise der Einfluss der Schwerelosigkeit auf den Aufbau und die Biologie des Kniegelenkknorpels von Astronauten untersucht. Auf der Erde können solche Forschungen die Lebensqualität von älteren Menschen oder Patienten mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit steigern.

Mittels Kernspintomographie werden Aufnahmen erstellt und miteinander verglichen. Dies geschieht unmittelbar vor und nach dem Flug zur ISS sowie vier bis sechs Wochen nach dem Flug. Dabei werden das Volumen und die Dicke der Gelenkknorpel gemessen. Darüber hinaus werden in Blut- und Urinproben bestimmte Biomarker des Knorpelstoffwechsels nachgewiesen. Auf der Erde können solche Forschungen die Lebensqualität von älteren Menschen oder Patienten mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit steigern.

Mit HealthLab kann die Zuverlässigkeit von Personen in Stresssituationen vorhergesagt werden. Stress wirkt sich auf Personen unterschiedlich aus. Bei Astronauten kann man die Reaktionen auf das autonome Nervensystem besonders gut testen: Andockmanöver benötigen hohe mentale und motorische Fähigkeiten, die vorher erprobt werden können. Dadurch lässt sich vorhersagen, welcher Astronaut am ehesten für die Aufgabe geeignet ist -  oder wer für Jobs wie Fluglotse, Pilot oder Sprengstoffexpertin.

Fünftens: Kampf dem Krebs

Auch in der Krebsmedizin konnten deutsche Experimente auf der ISS offene Fragen klären. Beispielsweise das CellBox-1-Experiment, mit dem man den Einfluss von Schwerelosigkeit auf menschliche Schilddrüsenkrebszellen untersucht hat. In der Schwerelosigkeit wachsen die Zellen zu großen kugelförmigen Haufen aus tausenden von Tumorzellen – den sogenannten dreidimensionalen multizellulären Tumorsphäroiden – heran. Sie ähneln dem ursprünglichen Tumor.

Das Züchten von Tumorzellen mag zunächst gruselig klingen. Jedoch kann man dadurch direkt an der Zelle forschen und Medikamente entwickeln, die Tumorzellen bekämpfen. Das würde auch dazu führen, dass Tierversuche aus der Krebsforschung verschwinden könnten.

Der ESA-Astronaut Alexander Gerst arbeitet mit dem NASA-Besatzungsmitglied und Kommandeur der Internationalen Raumstation an einem Experiment des DLR, bei dem mithilfe eines innovativen 3D-Fluoreszenzmikroskops Zellveränderungen in Echtzeit beobachtet werden. Dieses Experiment bietet einen völlig neuen Einblick in menschliches Gewebe, Zellkulturen, Mikroorganismen und Pflanzen im Weltraum.
Der ESA-Astronaut Alexander Gerst arbeitet mit dem NASA-Besatzungsmitglied und Kommandeur der Internationalen Raumstation an einem Experiment des DLR, bei dem mithilfe eines innovativen 3D-Fluoreszenzmikroskops Zellveränderungen in Echtzeit beobachtet werden. Dieses Experiment bietet einen völlig neuen Einblick in menschliches Gewebe, Zellkulturen, Mikroorganismen und Pflanzen im Weltraum. Bildrechte: ESA / NASA

Mit dem FLUMIAS-Projekt der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität (OVGU) kann die Entstehung von Tumoren tiefgreifend erforscht werden. Aber auch Immunschwächen und neurodegenerative Erkrankungen werden dadurch besser verstanden. Dafür wurde ein spezielles Mikroskop auf der ISS getestet. Mit dem Fluoreszenzmikroskop werden hochauflösende 3D-Aufnahmen und Videos von lebenden Zellen in Echtzeit gemacht. Bei der Zelluntersuchung der Astronauten fand man übrigens heraus, dass sich das menschliche Immunsystem bereits nach Sekunden an die ungewohnten Bedingungen im All gewöhnt.

Bildung als wertvollste Währung

Neben all den bahnbrechenden Experimenten darf man eine Sache nicht außer acht lassen. Es ist die Faszination des Weltalls. Monatelang bereiten sich deshalb Schüler in Dessau darauf vor, mit "ihrem" Astronauten Alexander Gerst live auf der ISS zu reden. 15.966 Schülerinnen und Schüler machen aus dem Besuch der Astronauten in Erfurt die größte Wissenschaftsshow der Welt.

Der Blick von der ISS zeigt uns außerdem immer wieder die Schönheit und Einzigartigkeit unseres Planeten. Was es bedeutet, die Welt von außen zu betrachten, erzählt Alexander Gerst in seiner Entschuldigung an die Enkel.

Zwar ist Weltraumforschung ein teures Pflaster, wenn man es im Ganzen betrachtet. Der jährliche deutsche Raumfahrt-Etat für alle Weltraummissionen – nicht nur die auf der ISS – beläuft sich auf zirka 140 Mio. Euro (für den Zeitraum 2020-2022). Auf die Gesamtbevölkerung runtergebrochen sind das weniger als zwei Euro pro Person. Nimmt man nur die rund 45 Mio. erwerbstätigen Deutschen (Stand: Dezember 2019) sind das knapp über drei Euro pro Kopf. Für so viel Forschung und Faszination ein geringer Preis.

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