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Professor Mark J Post aus Maastricht hat 2013 den ersten Burger mit Fleisch aus der Retorte gebraten. Bildrechte: Mosa Meat

ErnährungGedrucktes Steak: Würden Sie Fleisch essen, wenn dafür kein Tier sterben muss?

20. April 2022, 11:05 Uhr

Fleisch essen, ohne Tiere zu töten. Seitdem 2013 der erste In-vitro-Burger der Öffentlichkeit präsentiert wurde, warten wir darauf. Jetzt ist das Fleisch aus der Petrischale nah wie nie – aber es gibt ein paar Probleme.

340 Millionen Tonnen – so viel Fleisch wurde 2020 weltweit produziert. Diese Zahl hat sich in den vergangenen 60 Jahren um mehr als das Fünffache gesteigert – und langsam stößt die Industrie an ihre Grenzen. Außerdem hat industrielle Tierhaltung einen wesentlichen Einfluss auf unser Klima: Laut den Vereinten Nationen sind 14,5 Prozent der von Menschen verursachten Treibhausgase auf Tierhaltung und –Verarbeitung zurückzuführen. 60 Prozent des Getreides, das in Deutschland angebaut wird, geht als Futter in die Tierhaltung. Wenn wir den Klimawandel aufhalten wollen, wäre das eine wichtige Stellschraube. Grund genug also, dem Fleisch nun endlich ganz abzuschwören?

Wer überzeugt die Flexitarier?

Viele Menschen sind diesen Schritt gegangen und verzichten auf Fleisch. Analog dazu boomt das Geschäft mit fleischfreien Produkten. Die Unternehmen hinter diesen Produkten möchten mittlerweile aber eine neue Kundengruppe erschließen: Die Flexitarier! Grob ein Drittel der Deutschen bezeichnete sich 2019 als Flexitarier – Frauen etwas häufiger als Männer. Das Interessante daran: Gäbe es überzeugendere Ersatzprodukte, könnte sich ein großer Teil dieser Menschen vorstellen, komplett vegetarisch oder vegan zu leben. Viele Fleischersatzprodukte locken mittlerweile mit fleischähnlichen Konsistenzen oder sogar künstlichem Blut – aber das "echte“ Fleischgefühl 1:1 wiederzugeben, gelingt kaum.

In-vitro-Fleisch entsteht aus Muskelzellen

Vielleicht geht es auch anders: Mit künstlichem Fleisch, das wir im Labor heranzüchten. Kein Methan, kein Tierleid – voller Geschmack!
Dieses sogenannte In-vitro-Fleisch wird aus tierischen Muskelstammzellen hergestellt und dann als Zell- und Gewebekultur im Labor vermehrt. Für diese Art der Fleischproduktion wird nur eine kleine Menge Zellgewebe, beispielsweise von einer Kuh, gebraucht. Das geht, ohne das Tier zu töten oder zu quälen.

Für die In-vitro-Fleischproduktion braucht es nur eine kleine Menge an Zellen aus dem Kuhmuskel. Bildrechte: Mosa Meat

Die Mehrheit würde es probieren

Ob sich das In-vitro-Fleisch durchsetzt, hängt aber auch davon ab, ob es gekauft wird – immerhin geht es um Fleisch aus einer Petrischale. Das lässt sich möglicherweise nicht mit unserer Vorstellung von "Natürlichkeit“ in Einklang bringen. Die Ergebnisse einer aktuellen Befragung der Universität Osnabrück legen nahe, dass die Vorbehalte der Konsumentinnen und Konsumenten geringer sind als vermutet – aber dennoch vorhanden. Nachdem sie eine Beschreibung gehört hatten, gaben 65 Prozent der Befragten an, dass sie einen Burger mit künstlichem Fleisch probieren würden. 47 Prozent gaben sogar an, dass sie ein solches Burgerpatty öfters anstelle von herkömmlichem Fleisch essen würden. Einige Befragte lehnten das Zuchtfleisch aber auch ab: Sie gaben an, neuen Technologien in Verbindung mit Nahrungsmitteln skeptisch gegenüber zu stehen.

2013 gab‘s den ersten In-vitro-Burger

Die Debatte um In-vitro-Fleisch ist allerdings auch gar nicht mehr so neu: Bereits 2013 servierte Wissenschaftler Mark Post im Rahmen einer Pressekonferenz den ersten Burger mit laborgezüchtetem Fleisch. Das Fazit damals: lecker, etwas trocken und vor allem viel zu teuer. 250.000 Euro kostete der Burger damals – nicht sehr kundenfreundlich, aber ein Anfang. Das war vor beinahe zehn Jahren – warum also können wir das Fleisch aus der Petrischale immer noch nicht im Supermarkt kaufen?

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Chicken Nuggets gibt es schon

Klar ist auf jeden Fall: Das Thema brennt Investorinnen und Investoren mittlerweile unter den Nägeln. Weltweit gibt es rund 80 Start-ups für Laborfleisch und auch große Lebensmittelkonzerne steigen mittlerweile ein. Und es gibt tatsächlich auch immer neue Fortschritte. In Singapur kann man beispielsweise schon Chicken Nuggets in einem Restaurant bestellen, für die kein Huhn sterben musste. Dort hat der kalifornische Konzern Eat Just bereits 2020 eine Zulassung von den Lebensmittelbehörden bekommen – als erster Konzern überhaupt, der In-vitro-Hühnchen verkaufen darf.

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Etwas komplizierter als die Laborproduktion von Hackfleisch ist die Herstellung eines Steaks: Hier müssen Muskel- und Fettzellen miteinander verwoben werden und anschließend in einem Inkubator gemeinsam "reifen“ – nur so entsteht die charakteristische Struktur. Aber auch hier gibt es Fortschrittsmeldungen, beispielsweise vom Israelischen Konzern MeaTech, der 2021 nach eigenen Angaben ein 110 Gramm schweres Steak druckte – und jetzt sein Geschäft in den USA erweitern will.

Das 110 Gramm-Steak aus dem 3D-Drucker Bildrechte: Shlomi Arbiv/ MeaTech

Fake-Fleisch ist auch eine Behördenfrage

Was genau die In-vitro-Fleischunternehmen als nächstes in der Pipeline haben, lässt sich schwer prognostizieren. Um der Konkurrenz keinen Vorteil zu verschaffen, geben sie tendenziell wenige Details öffentlich bekannt. In den USA hat die Gesundheitsbehörde FDA kürzlich eine Grundlage geschaffen, auf der künstliches Fleisch zugelassen werden kann. Mit potenziellen Verkäufen noch in diesem Jahr. Obwohl das Fleisch selbst als sicher gilt, müssen Gesetzesgrundlagen geschaffen werden, beispielsweise für eine hygienische Herstellung und Lagerung.

Ein Burger aus dem Labor - in der EU werden wir womöglich noch ein Weilchen darauf warten müssen. Bildrechte: Mosa Meat

Bis wir hier in Europa Laborfleisch kaufen können, wird es aber womöglich noch deutlich länger dauern: Hier kann eine Zulassung eigentlich erst vergeben werden, wenn ein marktreifes Produkt vorliegt – und dann dauert es womöglich noch mehrere Jahre. Eine (gewagte) These an dieser Stelle: Zuerst werden wir Laborfleisch vielleicht im Urlaub probieren können.

Ganz ohne Tiere ginge es nicht

Wichtig für den Hinterkopf ist aber auch: Bei all der Euphorie werden wir Laborfleisch auch nicht gänzlich ohne tierische Stammzellspender züchten können – wir müssten also weiterhin Tiere halten, sie aber nicht mehr töten. Für Menschen, die vegan leben, ist das sicher dennoch ein wichtiger Punkt. Früher wurde das In-vitro-Fleisch sogar mithilfe von fötalem Kälberserum hergestellt.

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Das Klima wird In-vitro-Fleisch auch nicht retten

Forscherin Silvia Woll betreibt Technikfolgenabschätzung für die deutsche Bundesregierung und hat mehrere Studien über Laborfleisch ausgewertet. Ihr Ergebnis: Die Herstellung von In-vitro-Fleisch verbraucht große Mengen Strom – was die Klimabilanz des künstlichen Fleisches stark schmälert. Was den Land- und Wasserverbrauch angeht, schneide Labor-Rind deutlich besser ab, als konventionelles Rindfleisch – bei Hühnchen und Schwein seien die Vorteile aber nur gering, so die Ergebnisse von Silvia Wolf. Sie empfiehlt deshalb, vor allem bei Rindfleisch auf in-Vitro zu setzen. Ein Vorteil bleibt allerdings ganz unumstößlich: Wir müssten mit dieser Art der Fleischproduktion keine Tiere mehr töten – das alleine ist ein ziemlich gutes Argument und lässt darauf hoffen, dass wir schon bald abbeißen können, von den künstlichen Chicken Wings – ganz ohne schlechtes Gewissen.

Die Studien zum Nachlesen

Studie der Universität Osnabrück: Die Mehrheit würde Laborfleisch essen.
Silvia Woll vom KIT hat einen Bericht über die Folgen von In-vitro-Fleisch verfasst.

iz

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