Biologie Forschende erliegen der Macht der schönen Pflanzen

10. Mai 2021, 17:03 Uhr

Schönheit betört. Sie wirkt sich damit nicht nur auf die Partnersuche aus, sondern beeinflusst auch die Forschung. Wie eine Studie jetzt belegt, untersuchen Wissenschaftler bevorzugt schöne und attraktive Pflanzen.

Rot blühende Lupinen in einem Staudenbeet vor einer Ziegelmauer, die teilweise mit Kletterrosen bewachsen ist
Große Pflanzen mit auffälligen Blüten, wie die Lupinen hier, sind bei Forschern besonders beliebt. Laut einer Studie unterliegen diese den optitischen Reizen der Pflanzen – unabhängig von ihrer ökologischen Relevanz. Bildrechte: MDR/Michael Wenkel

Schönheit und Attraktivität spielen bei der Partnersuche eine entscheidende Rolle. Dabei gehen die Geschmäcker zwar auseinander, trotzdem gibt es einen gewissen Konsens über empfundene Schönheit. Auch in der Architektur, in der Kunst, im Design – eigentlich in fast allen Bereichen beeinflussen uns die Vorstellungen von Schönheit. Ästhetik – die Lehre vom Schönen – ist sogar ein Teilbereich der Philosophie. Politiker bedienen sich ästhetischer Strategien der Macht, große Baumeister setzen auf ästhetische Kategorien ebenso wie sich Partnerplattformen bei ihrer Werbung der Attraktivitätsforschung bedienen und mit Bildern von Männern und Frauen werben, die von einem Großteil der Menschen als schön wahrgenommen werden.

Auch Forscher erliegen der Schönheit

Die Macht der Schönheit macht auch vor der Wissenschaft nicht halt. Anscheinend sind auch rationale Forscher den Mechanismen der Schönheit erlegen. Erste Hinweise einer in der Fachzeitschrift Nature Plants veröffentlichte Studie deuten darauf hin, dass die botanische Forschung möglicherweise zugunsten attraktiver Pflanzen verzerrt ist. Demnach werden Pflanzen, die ästhetisch ansprechend sind, eher von Wissenschaftlern untersucht – unabhängig von ihrer ökologischen Bedeutung.

Analyse von 113 Pflanzenarten

Martino Adamo (Universität Turin/Italien) und Kollegen (u.a. vom Museum für Naturkunde, Berlin) analysierten 113 Pflanzenarten, die typisch für die südwestlichen Alpen sind und in 280 begutachteten Arbeiten der letzten 45 Jahre erwähnt wurden. Die Autoren fanden heraus, dass morphologische Merkmale, wie zugängliche Blüten und eine besonders auffällige Erscheinung die Aufmerksamkeit der Forschenden verstärkt auf sich zogen.

Blaue Pflanzen wurden am meisten untersucht

Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass blaue Pflanzen am meisten untersucht wurden und dass weiße, rote und rosa Blüten in der Literatur häufiger vorkamen als die Grundlinie von grünen und braunen Pflanzen. Die Farbe der Pflanzen scheint demnach eine entscheidende Kategorie für deren Untersuchung zu sein. Während sich besonders farbige Pflanzen öfter ins das Visier der Wissenschaftler schoben, gerieten banale grüne Pflanzen oder unspektakulär braune Arten eher in das Hintertreffen.

Stängelhöhe spielte eine Rolle

Ebenso spielte laut der Studie die Stängelhöhe eine Rolle. "Die Fähigkeit einer Pflanze, sich von anderen abzuheben, war ebenfalls ein Faktor", schrieben die Forscher. Die Seltenheit sei jedoch kein signifikanter Treiber für die Aufmerksamkeit der Forscher gewesen.

Diese morphologischen Merkmale, die keinen Einfluss auf die ökologische Relevanz und Bedeutung der Pflanzen haben, stellen eine 'ästhetische Verzerrung' dar.

Martino Adamo und Kollegen University of Torino, Italien

Verzerrung kann sich auf Erhalt der Arten auswirken

Diese Voreingenommenheit könne sich der Studie zufolge negativ auf das Bemühen der Wissenschaft auswirken, bestimmte Pflanzen zu erhalten. Erhielten Pflanzen mit Farben und langen Stängeln mehr Aufmerksamkeit im Vergleich zu anderen Pflanzen im Ökosystem, sei die Wahrnehmung verzerrt. Kurzum: Weil die Wissenschaftler nur schöne Pflanzen im Blick haben, könnten weniger attraktive Arten mit höherem ökologischen Nutzen benachteiligt werden.

Dieser Mechanismus lässt sich ähnlich in Klein- und Vorgärten ablesen. Viele Gärtnerinnen mögen die im Frühling prächtig gelb blühende Forsythie. Der auch als Goldrausch bekannten und aus Asien stammenden Pflanze sagt man jedoch nach, null Nutzen zu haben – weder für Bienen noch für Schmetterlinge noch im Sinne von Heilkräutern für die Menschen. Lediglich die prächtige Blüte betört – und bringt vielleicht Glücksgefühle.

blühender Forsythienstrauch
Blüht schön, hat aber keinen Nutzen: Die Forsythie. Trotzdem ist sie bei Gärtnern beliebt. Ähnlich geht es auch den Forschern – sie bevorzugen große Pflanzen mit auffälligen Blüten. Bildrechte: MDR/ Brigitte Goss

Mehr Gleichberechtigung in der Naturschutzbiologie

Doch was bringt das jetzt alles? Warum ist es wichtig, diese Vorlieben zu identifizieren? Durch das Bewusstmachen der Vorlieben können Verzerrungen in der botanischen Forschung korrigiert und somit alle Pflanzen gerecht geschützt werden. "Die Erkenntnisse haben Auswirkungen auf die Naturschutzbiologie und könnten zu einer besseren Forschungspraxis führen", schreiben die Autoren der Studie. Dies sei besonders für die Feldforscher relevant, "die eine bestimmte Art auf der Grundlage verschiedener nicht-ökologischer Faktoren priorisieren könnten". Pflanzen hätten in der Entwicklung der modernen Wissenschaft eine bedeutende Rolle gespielt. Umso wichtiger sei eine weitere Analyse abseits von Verzerrungen.

(kt)

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