Große Winkelspinne
Zieht Tegenaria domestica, eine Hauswinkelspinne, im Frühjahr wieder aus? Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Artenvielfalt Kein Platz für die Netze: Spinnen-Vielfalt in Städten ist klein

18. März 2023, 12:00 Uhr

Eine gute Nachricht für alle mit Spinnenangst, die sich vor dem Frühjahrsputz fragen: Scheuche ich jetzt alle Spinnen auf, die mir im Herbst ins Haus gekommen sind? Die Gefahr ist klein, wenigstens in Städten. Da gibt es ohnehin nur noch wenige Arten.

Wer sich fragt: Was ist mit den ganzen Spinnen, die im Herbst ins Haus gezogen sind, schnüren die jetzt ihr Bündel und ziehen wieder in den Garten? Dem sei gesagt: Spinnen wie Tegenaria domestica (Hauswinkelspinne) oder Eratigena atrica (Große Winkelspinne) leben eigentlich immer in Menschennähe, im oder am Haus. Ihr Lebenszyklus findet ganzjährig mit Schlupf, Aufwachsen, Fortpflanzen, Sterben rein synanthrop, also in menschlicher Nähe statt. Nur kriegen wir das vermutlich oft nicht mit.

Zitterspinne, (Pholcus phalangioides), mit erbeuteter und eingesponnener Schmeissfliege. 6 min
Bildrechte: imago/blickwinkel

Wer schon mal beobachtet hat, wie flink so eine Hauswinkelspinne quer durchs Wohnzimmer krabbelt, um sich irgendwo zu verkriechen, sieht deutlich: Die Achtbeiner suchen von sich aus keinen Kontakt zu uns Menschen, sondern einfach nur ein ruhiges Eckchen. Und man weiß auch, dass Zitterspinnen, diese Dürren mit den langen Beinen, gern auch die weit kräftigeren Kollegen vernaschen. Und wer jetzt am Wochenende beim Frühjahrsputz eine große Spinne aufscheucht: Glas drüberstülpen, Blatt drunterschieben und raustragen. Mutige fotografieren sie vorher noch und versuchen rauszukriegen, um welche Art es sich handelt.

Die gute, schlechte Nachricht: In Städten ist nicht viel los in Sachen Spinnenvielfalt

Und wer Spinnen auch nach ausgiebiger Betrachtung immer noch nicht mag, für den gibt es hier eine gute Nachricht: Je städtischer die Umgebung, desto kleiner die Spinnenvielfalt. Auf diese kurze Formel lässt sich eines der Ergebnisse einer Studie aus Österreich bringen, bei der Artenvielfalt von Arthropoden in Städten untersucht wurde (zu Arthropoden zählen wirbellose Tiere, neben Spinnen also auch Insekten, Tausendfüßer und Krebstiere). So richtig gut ist der Studienbefund allerdings nicht, jedenfalls aus ökologischer Sicht.

Unauffällige Stadtbewohner: Die Arthropoden

In der Innsbrucker Studie wurde herausgefunden, dass Städte unwirtliche Umgebungen für Spinnen sind, in denen nur wenige Arten klarkommen. Dabei war das nur ein zufälliges Ergebnis. Die Forschungsarbeit selbst hatte die Auswirkungen der Urbanisierung auf die Nahrungsmöglichkeiten für Kohl- und Blaumeisen untersucht. Dabei wird beleuchtet, was die Nahrungsvielfalt für diese Vögel beeinflusst, welche Kettenreaktionen die Urbanisierung in der Natur auslöst. Für den Teil über die Wirbellosen-Vorkommen hatte ein Forschungsteam zwischen Oktober 2020 und August 2021 jeden Monat in 180 Orten in und um Innsbruck jeweils 30 verschiedene Mikrolebensräume untersucht und die Lebensvielfalt in Kronendächern, Büschen und Baumrinden katalogisiert.

Hauswinkelspinne (Tegenaria Domestica)
Zieht Tegenaria Domestica von selber wieder aus? Vielleicht wurde sie aber auch gefressen. Bildrechte: PantherMedia / roland brack

Wie kann man sich das vorstellen, man kann ja nicht jeden Zweig eines Strauches, jeden Ast eines Baumes auf Insekten abklopfen? Zumal die ja nicht still rumsitzen, während ein Mensch sie auszählt. Die Forschergruppe untersuchte an jedem Fundort fünf Bäume und fünf Sträucher mithilfe eines speziellen Entomologenschirms, genauer gesagt, zwei Äste pro Baum und Strauch. Mit einem Auffangschirm wurde dazu fünfmal auf die Äste geschlagen, die herabfallenden Tierchen eingesaugt, und zur Zählung und Bestimmung in Ethanol konserviert. Außerdem schätzten die Forscher den Grad der Verstädterung anhand von Bodenversiegelung und Bodenbewuchs in verschiedenen Umkreisen ab, also 100, 500 und 1.000 Meter um jeden Zählort.

Natur in der Stadt: Mehr Läuse als Spinnen

Ameisen und Blattläuse auf einer Tomatenblüte
Läusebefall: Es kann auch an mangelnden Fressfeinden liegen. Bildrechte: MDR/ Brigitte Goss

Die Auswertung zeigte: Je städtischer die Umgebung, umso kleiner die Artenvielfalt an sich. Bei Spinnen und Springschwänzen gab es weniger, je urbaner die Umgebung war, bei Fliegen, Blatt- und Borkenläusen dagegen mehr. Wenig verwunderlich, wenn offenbar ihre natürlichen Gegner fehlen.

Bei den Spinnen zeigten sich nur wenige Arten, und dass mehr Krabbenspinnen als Netzspinnen in städtischer Umgebung leben. Diese Spinnen warten in Hinterhalten auf ihre Beute oder gehen aktiv auf Jagd. Für Webspinnen dagegen fehlt es im urbanen Raum offenbar an passenden Bedingungen, um ihre Netze aufzuspannen. Das Fazit der Forschungsgruppe aus Innsbruck: Arthropoden sind Schlüsselelemente von ökologischen Kreisläufen; das, was sich bei ihren Vorkommen in Städten ändert, wirkt sich auf der nächsten Ebene aus. Zum Beispiel bei den Kohl- und Blaumeisen, deren Futterangebot sich ändert, wenn es nur noch ein einseitiges, oder verringertes Angebot an wirbellosen Nahrungs-Tierchen gibt.

Links/Studien

Die Studie der Uni Innsbruck "Urban-driven decrease in arthropod richness and diversity associated with group-specific changes in arthropod abundance" lesen Sie hier.

lfw

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR UM VIER | 17. Oktober 2022 | 16:50 Uhr