Wissenschaft zur Fußball-WM Jeder sieht ein Fußball-Spiel anders - hinterher

15. Juni 2018, 14:09 Uhr

Wer ein Fußball-Spiel mitverfolgt, wird das Phänomen kennen: Je nachdem, auf welches Team man hält, nimmt man das Spiel auf eine Art wahr, ein anderer dagegen sieht es ganz anders. Wie kommt das zustande?

An der Fußballweltmeisterschaft kommt in diesen Tagen so gut wie niemand vorbei. Und dabei entstehen die kuriosesten Fragen. Zum Beispiel: Wie beeinflusst die Emotion die Einschätzung eines Fußballspiels? Oder anders gefragt: Nehmen Fans verschiedener Mannschaften ein und dasselbe Fußballspiel durch ihre Voreingenommenheit ganz unterschiedlich wahr?

Da kam Professor Stephan Schwan von der Universität Tübingen das Champions-League-Finale 2013 Bayern gegen Dortmund gerade recht. Bei zwei Teams aus Deutschland ließ sich die Frage nach der unterschiedlichen Wahrnehmung ein und desselben Fußballspiels perfekt untersuchen und zwar: Welche Rolle spielt es denn, ob ich zu der einen oder anderen Fangruppe gehöre?

Innerhalb kürzester Zeit musste teure Technik zur Beobachtung der Augenbewegungen besorgt, Fragebögen erarbeitet und Fans beider Mannschaften überredet werden, anstatt gemütlich auf dem Sofa, ein Spiel in steriler Forschungsatmosphäre zu schauen. Erwartet wurde, dass die Fans vor allem auf die Spieler der eigenen Mannschaft schauen. Die Blickrichtungserkennung widersprach dieser Vermutung:

Es scheint so zu sein, dass diese Spieldynamik so massiv ist, dass die Zuschauer primär versuchen, dem Spielgeschehen einfach zu folgen und deswegen in die Gegend des Balles schauen.

Stephan Schwan, Universität Tübingen

Sowohl bei den Bayern- als auch bei den Dortmund Fans konnte man also keine unterschiedlichen Fokussierungen erkennen. Rein objektiv nahmen beide Fanblöcke also das gleiche Spiel gleich war. Danach wurden den Fans etwa 50 Spiel-Szenen vorgespielt:

Beispiel Eckball: Man hat gesehen, wie der Spieler den Eckball antritt, der Ball Richtung Strafraum fliegt. Dann wurde angehalten. Die Zuschauer, die Fans mussten sich dann erinnern, ob dieser Ball bei einem Spieler der eigenen Mannschaft oder bei einem Spieler der gegnerischen Mannschaft angekommen ist.

Stephan Schwan, Universität Tübingen

Hier zeigte sich: Die Detailerinnerung funktionierte völlig unabhängig von der Fanzugehörigkeit sehr präzise. Diese Erkenntnis deckt sich mit bisherigen Ergebnissen der Neurowissenschaft, sagt Prof. Stephan Schwan. Selbst wenn es um so ein emotionales Ereignis geht und sich beim Betrachten eine Art Freund-Feind-Schema ergibt, scheint es trotzdem so, dass das Ereignis an sich viel größeren Einfluss hat als die Vorurteile oder die Wünsche, die der Betrachter an dieses Ereignis heranträgt. Diese ungefärbte Wahrnehmung von Ereignissen scheint aus evolutionärer Sicht geradezu notwendig zu sein.

Denn das ist die beste Garantie dafür, eine gute Überlebenschance zu haben, wenn man etwas nicht durch die rosarote Wunschbrille betrachtet, sondern erstmal versucht es objektiv zu betrachten und dann erst im zweiten Schritt mit Wünschen und Einstellungen koppelt.

Stephan Schwan, Universität Tübingen

Wertung kommt erst nach dem Abpfiff

Und tatsächlich erst im zweiten Schritt laden wir die Wahrnehmung emotional auf. Erst die Gesamteinschätzung danach hing von der Gruppenzugehörigkeit ab, widersprach den Fakten und überhöhte die Leistung der eigenen Mannschaft, sagt Prof. Schwan. Demnach hatten die Dortmund-Fans objektiv eher in Richtung Dortmund tendiert und die Bayern-Fans hielten eher zum FC Bayern München.

Zusammenfassend kann man also Folgendes sagen: Während des Spiels sind sich die Fans unterschiedlicher Mannschaften über den Spielverlauf relativ einig. Die Wahrnehmung ist vielleicht bis auf einen umstrittenen Elfer oder eine Gelbe Karte die Gleiche. Die heftigen Debatten und Diskussionen fangen erst beim Bier danach an. Jetzt wissen wir, warum das so ist.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 18. Juni 2018 | 11:52 Uhr