Gehirnforschung Mit Denkkappe: Elektro-Stimulation kann Gedächtnisleistung verbessern

Einmal im Monat den Kopf an den Strom stöpseln, um die grauen Zellen auf Vordermann zu bringen? Klingt futuristisch gut. Grundlagenforschung zur Elektroden-Gehirnstimulation kommt jetzt aus den USA. Im Grunde klappt's – mit deutlichen Einschränkungen.

Seitliche Ansicht: Älterer Mann mit Brille und FFP2-Maske sitzt mit einer Haube mit vielen Kabeln daran auf einem Stuhl und blickt nach vorn. Auf Stellfläche neben ihm Messgerät in Radio-Größe, das Pegel anzeigt. Dahinter betreuender jüngerer Mann mit dunklen Haaren, Brille und FFP2-Maske.
Mit Denkkappe zu besserer Gedächtnisleistung? So wurde in Boston experimentiert. Bildrechte: Robert Reinhart

  • Gehirnleistung lässt sich durch elektrischen Strom steigern
  • Kein Eingriff notwendig, Stimulation von außen
  • noch Basisforschung mit offenen Fragen


Solange man nicht selber drinsteht, mögen diese Menschen im Schaufenster neuerlicher Fitnessstudios durchaus sonderbar erscheinen: An Kabel gekettet verrichten sie elektrisch stimuliert ihre Leibesübungen. In der Sportsprache: EMS, Elektrische Muskelstimulation – die Anbieter versprechen, zwanzig Minuten Training pro Woche reichen. Gut wäre es da, wenn auch der Gehirnsport der Zukunft nicht auf der Strecke bleibt. Oder anders gesagt: Wem Kreuzworträtsel nicht reichen, die oder der braucht weitere äußere Stimulation.

Unter Umständen könnte sich daraus ein zeitgeistlicher Trend entwickeln, so wie beim EMS-Muskelaufbau. Forschende aus Boston haben jetzt den Grundstein dafür gelegt. In ihrer Arbeit konnten sie durch Elektro-Stimulation das Gedächtnis für einen Monat verbessern. Nun ist Gedächtnis nicht gleich Gedächtnis, dem Team ging es deshalb speziell um Lang- und Kurzzeitgedächtnis. Also die Erinnerungsfragen à la 'Wohin ging mein Ferienflieger im Sommer 99?' als auch 'Was hat die Kantine gestern Mittag serviert?'. Wäre nicht ganz unpraktisch, auf diesem Gebiet ein bisschen fitter zu sein – insbesondere im fortgeschrittenen Alter.

Verbesserung bei Kurz- und Langzeitgedächtnis

Diese Personengruppe stand im Zentrum der 150 Teilnehmenden starken Studie, in der es darum ging, sich mit einer Elektroden-Kappe auf dem Haupt an Wörter in Wortlisten zu erinnern. Durch das Stimulieren unterschiedlicher Gehirnbereiche bei unterschiedlicher Frequenz konnten sowohl Kurz- als auch Langzeitgedächtnis verbessert werden. Von der Stimulation besonders profitiert haben Menschen mit geringerer kognitiver Leistung. Wie beim Muskelsport waren dafür zwanzig Minuten Stimulation notwendig – allerdings an drei Tagen hintereinander.

Der Neurologe Wolf-Dieter Neumann von der Charité in Berlin weist auf eine noch deutlichere Einschränkung hin: "Der Ansatz geht auch davon aus, dass die Stimulation während der Gedächtniskodierung selbst notwendig ist. Es gab keine Kontrollbedingung, bei der die Stimulation unabhängig von der Gedächtnisaufgabe angewandt wurde." Außerdem hätte es keine andere Gedächtnisaufgabe als die Wiederholung von vorgelesenen Wörtern gegeben. Es handle sich zunächst um Grundlagenforschung und keine klinische Studie, aus der therapeutisches Handeln abgeleitet werden könnte.

Der Weg zum neurotechnologischen Durchbruch in Neurologie und Psychiatrie ist noch weit. Ich bin aber überzeugt, dass er kommen wird.

Prof. Dr. Wolf-Dieter Neumann Neurologe, Charité Berlin

Johannes Levin vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen hält die Studienergebnisse zwar für bemerkenswert. "Allerdings ähnelt das in diesem Setting schon eher einer Hirnleistungsoptimierung als einer echten Therapie." Die Forschenden würden zum Beispiel nicht untersuchen, wie sich die Lebensqualität der Probandinnen und Probanden verbessere. "Ohnehin können wir hier höchstens eine Symptomlinderung beobachten."

Noch keine Antwort für Wirkung bei Demenz-Erkrankten

Die große Frage: Was macht die Stimulation mit Demenz-Patientinnen und -Patienten? Darauf kann das Team aus Boston noch keine Antwort geben. Ebenso wenig, ob die positiven Effekte rund um die Gedächtnisleistung auch über einen Monat hinausreichen. Es wird also noch dauern, bis die Denkkappe von der Ostküste so marktreif daherkommt, wie es die EMS-Stimulation im Schaufenster schon ist. Wolf-Dieter Neumann von der Charité macht da schon mal Mut: "Der Weg zum neurotechnologischen Durchbruch in Neurologie und Psychiatrie ist noch weit. Ich bin aber überzeugt, dass er kommen wird."

flo/mit SMC

Studie

Die Studie Long-lasting, dissociable improvements in working memory and long-term memory in older adults with repetitive neuromodulation erschien im August 2022 in Nature Neuroscience.

DOI: 10.1038/s41593-022-01132-3

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