Forschung aus Leipzig und Dresden Darum haben sich Gehirne von Neandertaler und modernen Menschen verschieden entwickelt

Warum hat der moderne Mensch den Neandertaler überlebt? Forschende aus Sachsen haben eine neue, mögliche Ursache entdeckt: weil das Gehirn moderner Menschen langsamer wächst. Die Stammzellen nehmen sich mehr Zeit. Die Folge: Es gibt weniger Fehler bei der Chromosomenverteilung. Denn "Fehler in der Chromosomenzahl sind normalerweise keine gute Idee", so die Forscher.

Vorgeschichtsmuseum Halle Neandertaler der in der Denkerpose von Rodin gestaltet wurde
Eine Neandertaler-Figur im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Sächsische Forscher haben nun möglicherweise einen der Gründe gefunden, warum die Frühmenschen ausgestorben sind. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Die Wissenschaftler von den Max-Planck-Instituten für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI CBG) in Dresden und für evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) in Leipzig wollten in ihrer Studie untersuchen, wie sich die Aminosäuren auf dem Weg vom Neandertaler zum heutigen Menschen verändert haben. Denn diese Eiweiß-Bausteine – vor allem sechs von ihnen – sind bei der Verteilung der Chromosomen bei der Zellteilung und damit unserer genetischen Information extrem wichtig. Gleichwohl waren diese Veränderungen bisher fast vollkommen unerforscht.

Kleine Fehler mit großen Auswirkungen

Für ihre Untersuchung führten die Max-Planck-Experten in einem ersten Schritt die sechs beim Homo sapiens veränderten Aminosäuren in Mäuse ein. Die Nager wurden dafür genutzt, weil sie gegenüber dem Neandertaler bei den Positionen dieser sechs Aminosäuren identisch sind. Dabei entdeckten die Forschenden, dass drei Aminosäuren von modernen Menschen eine längere Metaphase verursachen. Dabei handelt es sich um einen Zeitraum, in dem die Chromosomen auf die Zellteilung vorbereitet werden, wobei bei einer Verlängerung weniger Fehler bei der Verteilung auf die Tochterzellen der Stammzellen passieren – ähnlich wie beim heutigen Menschen. Bei einem Vergleich mit den Neandertaler-Aminosäuren zeigte sich, dass die Metaphase bei ihnen kürzer war und mehr Chromosomen-Fehler auftraten.

Mikroskopbild von Gehirnzellen während der Zellteilung
Links: Mikroskopbild der Chromosomen (in Cyan) einer modernen menschlichen neuralen Stammzelle des Neokortex während der Zellteilung. Rechts: gleiche Art von Bild, aber von einer Zelle, in der drei Aminosäuren in den beiden Proteinen KIF18a und KNL1, die an der Chromosomentrennung beteiligt sind, von den Varianten des modernen Menschen zu den Neandertaler-Varianten geändert wurden. Diese "neanderthalisierten" Zellen weisen doppelt so viele Chromosomentrennungsfehler auf (roter Pfeil). Bildrechte: Felipe Mora-Bermúdez / MPI-CBG

"Fehler bei der Chromosomenzahl sind nie gut, wie man etwa bei Trisomien oder Krebs sehen kann", erklärt der Studienautor Felipe Mora-Bermúdez. Wieland Huttner, der ebenfalls an der Untersuchung beteiligt war, ergänzt: "Unsere Studie deutet darauf hin, dass einige Aspekte bei der Entwicklung des Gehirns der modernen Menschen unabhängig von der Größe des Gehirns sind, da Neandertaler und Homo Sapiens ähnlich große Gehirne haben. Es scheint außerdem so zu sein, dass die Gehirnfunktionen von Neandertalern mehr von Chromosomenfehlern beeinflusst wurden als die von heutigen Menschen." MPI-EVA-Direktor Svante Pääbo fügt außerdem hinzu, dass in künftigen Studien erforscht werden sollte, ob die geringere Fehlerrate bei den Chromosomen auch Einfluss hat auf unsere modernen menschlichen Merkmale.

cdi

Profil-Porträts eines männlichen Neandertalers (Modell) und einer modernen Frau: Neandertaler mit breitem Kopf, Stirnwulst, großer Nase und hervorstehendem Mund; Frau mit zarteren Gesichtszpgen und dunkelblonde Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Neandertaler stützt Kopf auf Faust, Frau blickt leicht nach vorn-unten. 2 min
Bildrechte: IMAGO (Steffen Schellhorn/Westend61; M), Montage: MDR
2 min

MDR AKTUELL Do 28.05.2020 14:48Uhr 02:27 min

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Audio
Das Modell eines Neandertalers aus dem Landesmuseum in Halle, das einen Mundschutz trägt: Urzeitlicher Mensch mit gedrungenem Körperbau und stärkerer Körperbehaarung, hockt mit Blick nach schräg oben, Kopf auf Faust gestützt. 4 min
Bildrechte: Landesmuseum für Vorgeschichte Halle