Wahlurne mit Stimmzettel
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Sozialpsychologie Liegt uns in den Genen, wen wir wählen?

29. August 2019, 12:33 Uhr

Unser Erbgut bestimmt offenbar auch unsere politische Haltung und damit möglicherweise sogar unser Wahlverhalten. Zu diesem Schluss kommen norwegische Wissenschaftler nach der Auswertung einer großen Zwillingsstudie, die ein Persönlichkeitsmerkmal besonders unter die Lupe nahm: die soziale Dominanzorientierung. Wodurch wird sie geprägt und welchen Einfluss hat sie auf unsere Entscheidung am Wahltag?

Ob man selbst gern dominiert, für eine starke Hierarchie ist, oder sich lieber zurückzieht, um Konflikte zu vermeiden und zusammenarbeitet, um ein Ziel zu erreichen – all das sagt die soziale Dominanzorientierung aus. So nennen Psychologen ein Persönlichkeitsmerkmal, das sie anhand standardisierter Skalen sogar messen können. Aussagen wie z.B.:

Eine ideale Gesellschaft erfordert, dass einige Gruppen oben und andere unten sind.

Skala Soziale Dominanzorientierung

müssen von den Testpersonen mit den Ziffern 1 bis 7 (von nicht zutreffend bis voll zutreffend) benotet werden. Daraus wird der Dominanzindex berechnet, der angibt, wie stark dominanzorientiert ein Mensch ist.

Von der Persönlichkeit zur politischen Tendenz

Aus diesem Wert lässt sich dann auch eine soziale bzw. politische Orientierung ableiten. Forscher der Psychologischen Fakultät der Universität Oslo überprüften das anhand einer weiteren Skala, die sie extra für ihre Studie entwickelt hatten. Sie enthielt einerseits politische Maßnahmen, die eine Hierarchie verstärkten wie: strenge Einwanderungskontrolle, Abschiebung von Roma, schwere Strafen für Kriminelle und reduzierte Entwicklungshilfe.

Andererseits enthielt sie Hierarchie abbauende Forderungen wie die Stärkung der Gewerkschaften oder Aufnahme von Asylbewerbern. Das Ergebnis zeigte: Wer für eine starke Hierarchie ist, bewertete auch die entsprechenden Sanktionen höher. Da diese sich in den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien wiederfinden, besteht damit ein Zusammenhang zu unserer politischen Orientierung bis hin zur Wahlentscheidung.

Wahlhelfer: Ist es die Umwelt oder sind es die Gene?

Der Wert, den die Forscher für jeden einzelnen Probanden anhand ihrer Skalen ermittelt hatten, ließ noch keinen Schluss darauf zu, welchen Anteil deren Gene an diesen Ergebnissen hatten. Der Schlüssel zur Lösung des Rätsels lag für die Forscher in der Methode, die sie für ihre Studie gewählt hatten. Es nahmen ausschließlich Zwillinge teil, in einer großen zufälligen Stichprobe von 1.987 Testpersonen.

Alle Zwillingspaare waren jeweils gemeinsam aufgewachsen, also unter gleichen Bedingungen, im gleichen sozialen Millieu, mit gleichen Werten. Die eineiigen Zwillinge wiesen darüber hinaus eine fast einhundertprozentige genetische Übereinstimmung auf. Die zweieiigen hingegen nur eine fünfzigprozentige. Das Ergebnis: Die eineiigen Zwillingspaare zeigten sehr ähnliche Werte im Hinblick auf die soziale Dominanzorientierung und ihre politische Ausrichtung. Bei den Zweieiigen gab es deutliche Unterschiede, was die Vermutung nahe legt, dass dies der genetischen Differenz geschuldet ist. Anhand der statistischen Auswertung konnten die Wissenschaftler diese Hypothese auch bestätigen – mit einer hohen genetischen Korrelation von 0.51 und einer äußerst geringen Umweltkorrelation von nur 0,08.

Offen bleibt, welches konkrete Genom für unsere Dominanzorientierung und damit für unsere politische Ausrichtung verantwortlich ist. Es handelt sich um eine empirische Studie, die lediglich statistische Zusammenhänge offenlegt.

Identifiziert: MOAO-Gen verantwortlich für die Wahlbereitschaft

Bereits 2008 hatten James H. Fowler und Christopher T. Dawes von der University of California in San Diego und Laura A. Baker von der University of Southern California durch ihre Studie belegt, dass Träger einer bestimmten Variante des MOAO-Gens besonders häufig an den Präsidentschaftswahlen 2004 teilgenommen hatten. Dieses Gen ist für den Abbau der Botenstoffe Serotonin, Noradrenalin und Dopamin verantwortlich, was ebenfalls einen Zusammenhang zu Wahlverhalten und politischer Orientierung vermuten lässt. Außerdem konnten die Forscher auch nachweisen, dass das Serotonin-Transpondergen 5HTT einen Einfluss darauf hat. Auch sie hatten eine Zwillingsstudie durchgeführt um die Wirkung von sozialem Umfeld und genetischer Bestimmung differenzieren zu können.

Die Forscher aus Oslo jedenfalls sehen sich in ihrer aktuellen Studie darin bestätigt, dass "sozialpsychologische Phänomene zumindest teilweise in diesem Sinne genetisch bedingt sind". Oder, wie sie es am Ende der Studie mit dem Verweis auf ein Sprichwort zusammenfassen: Der Mensch ist ein politisches Tier.