Ein Schiffsführungssimulator
Der Schiffsführungssimulator am Maritimen Simulationszentrum Warnemünde. Hier kann jeder Zwischenfall zufällig getestet werden. Bildrechte: Hochschule Wismar

Nicht alle Prozesse sind erklärbar Ist der Zufall eigentlich immer Zufall?

20. November 2021, 15:00 Uhr

Ist alles vorherbestimmt und weil wir die Vorherbestimmung nicht erkennen, reden wir von Zufall? Hat die Natur den Zufall fest eingebaut? Wie ist es mit physikalischen oder chemischen Prozessen, gibt es echte Zufälle oder nur Ereignis-Abfolgen? Sind Entdeckungen zufällig oder Resultate? "Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist" sagte Louis Pasteur. Man kann eine Zufallsentdeckung also nur machen, wenn man erahnt was man vor sich hat. Die Welt ist alles, was der Zufall ist, oder wie sonst?

Im Marinen Simulationszentrum Warnemünde (MSCW) führt Professor Thomas Bölker einen Schiffsführungssimulator vor. Hier werden künftige Kapitäne, nautische Ingenieure und anderes Personal mit Hilfe von Simulatoren geschult. Alle Aufgaben, die mit dem Schifffahren zusammenhängen, können hier in Simulationen ausgeführt werden, hier wird für denkbare Zwischenfälle geübt - mit programmierten Zufällen. Ein Thema, an dem auch Stefan Höltgen forscht, im Fach Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität. Er hat über die Archäologie der frühen Mikrocomputer promoviert und sagt: "Natürlich lässt sich Zufall erzeugen, und zwar jede Art von Zufall. Für Simulationen nimmt man gerne Pseudozufallszahlen, die generiert werden, damit man die Versuche in der Simulation auch wiederholen kann."

Zufälle: Manche wurden zu historischen Ereignissen

Es gibt viele Beispiele für Zufälle, die sich in die Geschichte eingeschrieben haben, weit weg vom Simulationszentrum in Warnemünde. Man denke an Sir Isaac Newton, der laut Legende das Prinzip der Schwerkraft entdeckte, als er einen Apfel herabfallen sah.

Kartenspiel auf der Hand
Zufällige Mischung oder berechenbar? Bildrechte: IMAGO / McPHOTO

Oder an 1928, als der schottische Arzt Alexander Fleming aus dem Urlaub zurückkehrte und sah, dass in einer vergessenen Petrischale mit der Staphylokokken-Kolonie der Schimmelpilz Penicillium das Bakterium fast aufgelöst hatte. Conrad Röntgen, der 1895 an elektrischen Ladungen in einer Kathodenröhre experimentierte und plötzlich die Knochen seiner Hand sah. Der Zufall in der Wissenschaft ist mehr als ein philosophisches Problem. Das führt Dr. Stefan Höltgen aus: "Wenn Sie mir jetzt auf der Straße begegnen, wird das für Sie als Zufall wirken. Aber von meiner Seite aus war das geplant, dass ich Sie treffe. Das heißt, von dieser Perspektive aus betrachtet geht es darum, wer hat mehr Informationen über das Ereignis, das geschieht?"

Auch Prozesse in der Physik sind nicht vorhersagbar

Yorkshire-Mischlingsrüden Oskar & Bobby
Wann springt einer der Hunde auf, wohin rennt er? Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Generell versucht die Naturwissenschaft Zufälle auszuschließen, etwa bei der Bewegung von Himmelskörpern. Was allerdings ein Hund in zwei Stunden machen wird, ist nicht zu berechnen, selbst wenn wir das Hundehirn bis ins letzte Detail kennen würden. Und dann ist da auch noch die Quantenphysik. Dr. Stefan Höltgen sagt: "Es gibt Prozesse in der Physik, die lassen sich nicht vorhersagen. Es lässt sich im Nachhinein auch nicht erklären, warum sie zu diesem Zeitpunkt geschehen sind. Zum Beispiel der Zerfall eines Atomkerns. Ein gern benutztes Beispiel aus der Quantenphysik, das zeigt, dass wir keinen Einblick in bestimmte Regularien haben, die Prozesse auslösen und wir deswegen die Regularien als zufällig annehmen. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Regeln gibt, nach denen der Kern zerfällt oder nach denen wir andere Prozesse auf der mikroskopischen Ebene nicht beschreiben oder erklären können. Sondern das heißt, dass wir grundsätzlich außerstande sind, diese Prozesse in ihrer Regelhaftigkeit zu erkennen. Das müsste man dann gemeinhin als Zufall bezeichnen."

Zufälle lassen sich generieren

Auch wenn wir zurzeit die Regularien eines solchen Atomkernzerfalls nicht bis ins Letzte kennen und darum den Zerfall als zufällig bezeichnen müssen, im Umkehrschluss heißt das, dass sich auch Zufälle generieren lassen. Dr. Stefan Höltgen erklärt das: "Zerfallsprozesse lassen sich erzeugen. Was häufig auch benutzt wird, sind elektromagnetische Felder. Da werden Antennen aufgestellt, und sobald sich irgendetwas an der Antenne vorbeibewegt, das ein elektrisches Feld erzeugt, wird das von der Antenne registriert. Daraus können Zahlen generiert werden." Serendipität, also das Phänomen, zu einer Erkenntnis zu gelangen oder etwas zu finden, nach dem man nicht geforscht hat. In diesem Terminus liegt der Wert und die Unabdingbarkeit, den der Zufall in der Wissenschaft hat. Es ist die Qualität der Wissenschaftler, mit dem Zufall als mögliche Erkenntnisquelle zu forschen.

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