Studie Wenn wir gemeinsam zuhören, schlagen unsere Herzen im gleichen Takt

18. September 2021, 15:00 Uhr

Was sich anhört wie ein Schlagertext, ist in Wirklichkeit ein wissenschaftlicher Fakt: Gemeinsame Erlebnisse können unsere Herzen in ähnlicher Frequenz schlagen lassen. Eine neue Studie zeigt, dass es schon ausreicht, wenn wir zusammen mit anderen die gleiche Geschichte hören. Dazu muss sie nicht einmal emotional sein.

Autorin Susanne Fröhlich auf einer Lesung
Eine Lesung - wie hier mit Autorin Susanne Fröhlich in diesem Sommer in Weißenfels. Wenn alle aufmerksam zuhören, schlagen ihre Herzen im gleichen Takt, sagt eine neue Studie. Bildrechte: Gerald Perschke

Dass wir unsere Vitalfunktionen wie Herz- und Atemfrequenz mit anderen Menschen unbewusst synchronisieren, wenn wir etwas gemeinsam mit ihnen erleben, ist bekannt. Die emotionale Spannung eines Theaterstücks, eines Konzerts zum Beispiel erleben wir ähnlich und darauf reagieren Herzschlag und Atmung, gesteuert vom Gehirn.

Eine neue Studie des Paris Brain Institutes an der Sorbonne Universität und der City University New York belegt, dass das auch geschieht, wenn wir gemeinsam nur eine Geschichte hören. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir nicht nur nebenbei hinhören, sondern das Geschehen aufmerksam verfolgen. Um das herauszufinden, führten die Hauptautoren Jens Madsen und Pauline Pérez gemeinsam mit Lucas Parras (New York) und Jocobo Sitt (Paris) vier Experimente durch.

Nicht Gefühle sind entscheidend, sondern die Aufmerksamkeit

Im ersten Versuch hörten gesunde Freiwillige ein Hörbuch von Jules Vernes "20.000 Meilen unter dem Meer". Dabei wurde ihre Herzfrequenz mit einem Elektrokardiogramm (EKG) überwacht. Erwartungsgemäß änderte sie sich, je nachdem, was in der Geschichte geschah. Bei den meisten Teilnehmern an der gleichen Stelle des Geschehens und in ähnlicher Weise: Sie verstärkte sich oder sie nahm ab.

Im zweiten Experiment hingegen wurden kurze, sachliche Lehrvideos gezeigt. Auch hier synchronisierte sich der Herzschlag der Testpersonen. Damit bestätigte sich die Vermutung der Wissenschaftler, dass nicht die Emotionalität entscheidend ist, sondern die Aufmerksamkeit des Betrachters. Sie belegten diese These, indem sie den gleichen Versuch wiederholten. Allerdings sollten die Zuschauer diesmal rückwärts zählen. Damit waren sie abgelenkt und ihre Herzfrequenzen synchronisierten sich deutlich weniger.

Herzfrequenz sagt Gedächtnisleistung voraus

Im dritten Experiment hörten die Versuchspersonen kurze Kindergeschichten, einige aufmerksam, andere abgelenkt. Sie wurden dann gebeten, sich an Fakten aus den Geschichten zu erinnern. Das Ergebnis: Je stärker der Herzschlag mit dem anderer Teilnehmer synchronisiert war, desto besser konnten die Teilnehmer das Gehörte wiedergeben. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass Veränderungen der Herzfrequenz ein Signal für die bewusste Verarbeitung der Erzählung sind.

Neue Perspektiven für die Hirndiagnostik

Im vierte Experiment hörten die Probanden wie im ersten Geschichten. Allerdings waren neben Gesunden auch Patienten mit Bewusstseinsstörungen beteiligt. Wie erwartet hatten diese eine geringere Herzschlagsynchronisierung als die Teilnehmer ohne Beeinträchtigungen. Als die Patienten sechs Monate später untersucht wurden, hatten einige von ihnen mit höherer Synchronisation ein gewisses Bewusstsein wiedererlangt.

Dieser einfache Test könnte zur Messung von Gehirnfunktionen eingesetzt werden, ohne Ausrüstung, sogar im Krankenwagen auf dem Weg in die Klinik.

Jacobo Sitt, Neurowissenschaftler

Dazu müsse man allerdings weitere Untersuchungen mit mehr Patienten und Vergleiche mit anerkannten Tests wie dem Elektroenzephalogramm (EEG) und dem Magnetresonanztomogramm (MRT) durchführen, räumt Sitt ein. Daran wolle er mit seinen Kollegen weiter forschen.

Die Studie wurde durchgeführt von Jens Madsen und Pauline Pérez und in der Fachzeitschrift "Cell Reports" veröffentlicht.

krm

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