Klimawandel Künstlicher Schnee soll Gletscher retten

28. März 2021, 05:00 Uhr

Wegen des Klimawandels schmelzen die Gletscher in den Alpen in Rekordtempo. Der Schweizer Glaziologe Felix Keller will den drohenden Gletscherschwund mit Hilfe von künstlicher Beschneiung aufhalten. Am Fuße des Morteratsch-Gletschers im Schweizer Kanton Graubünden hat er eine Versuchsanlage aufgebaut. Reporter Dietrich Karl Mäurer berichtet für MDR WISSEN.

Mit gut 20 Kilometern Länge ist der Aletsch der größte Gletscher in den Alpen. Wie ein Fluss aus Eis erstreckt er sich durchs Hochgebirge. Noch wirkt er mächtig, doch sein Eisschild schmilzt Jahr für Jahr immer weiter ab. 3 min
Mit gut 20 Kilometern Länge ist der Aletsch der größte Gletscher in den Alpen. Wie ein Fluss aus Eis erstreckt er sich durchs Hochgebirge. Noch wirkt er mächtig, doch sein Eisschild schmilzt Jahr für Jahr immer weiter ab. Bildrechte: SWR/Vidicom/Bardehle
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Die Gletscher in den Alpen schmelzen unaufhörlich. Der Schweizer Glaziologe Felix Keller will sie retten - durch künstlichen Schneefall.

MDR AKTUELL Sa 13.03.2021 07:54Uhr 03:03 min

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Das ewige Eis in den Alpen ist in Gefahr. Die Erderwärmung sorgt dafür, dass sich die Gletscher auf dem Rückzug befinden und das, obwohl es z.B. in diesem Winter recht viel Schnee gab – erklärt der Schweizer Gletscherforscher Felix Keller vom Zentrum für angewandte Glaziologie in Samedan:

Wir stehen jetzt auf zweieinhalb Meter Schnee, aber wenn man dann bedenkt, dass hier im Sommer fünf Meter Eis schmilzt, dann relativiert sich das.

Felix Keller, Glaziologe

Der Glaziologe steht am Morteratsch im Engadin. Der meistbesuchte Gletscher der Schweiz hat eine beindruckende Länge von mehr als sechs Kilometern. Doch vor gut hundert Jahren war er zweieinhalb Kilometer länger. Felix Keller sagt, besonders an heißen Sommertagen gehe es dem Eis an den Kragen:

Der Gletscher insgesamt verliert im Moment pro Jahr etwa fünfzehn Millionen Tonnen Eis. Allein an einem Hitzetag können bis zu eine Million Tonnen Eis schmelzen.

Felix Keller, Glaziologe

Felix Keller will gegensteuern, indem er den Gletscher künstlich beschneit. Er hat sich ein gigantisches Beschneiungssystem ausgedacht. Quer über den Gletscher will er einen Kilometer lange Seile spannen, daran Wasserleitungen und hunderte Sprühdüsen befestigen. Sie sollen aus Schmelzwasser eines oberhalb gelegenen Gletschers eine Kunstschneedecke erzeugen.

Gletscherschmelze

Gletscher
Morteratsch im Engadin ist der meistbesuchte Gletscher der Schweiz. So sieht er im Winter aus. Bildrechte: Dietrich Karl Mäurer/MDR Wissen
Gletscher
Morteratsch im Engadin ist der meistbesuchte Gletscher der Schweiz. So sieht er im Winter aus. Bildrechte: Dietrich Karl Mäurer/MDR Wissen
Gletscher
Nach der Schneeschmelze im Sommer wird deutlich wie weit der Gletscher schon zurückgegangen ist. Bildrechte: Dietrich Karl Mäurer/MDR Wissen
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Wir bezeichnen das als eine Art Schmelzwasser-Recycling, d.h. dass wir im Sommer, wenn massenweise Schmelzwasser anfällt, dass wir das oben behalten und dann im kalten Winter, wie jetzt, daraus Schnee produzieren, um zuverlässig den Gletscher zu schützen.

Felix Keller, Glaziologe

Gerade hat der Forscher eine Pilotanlage in Betrieb genommen, gefördert u.a. von der Schweizer Regierung. Die Technik funktioniert dank der winterlichen Außentemperaturen in 2.000 Metern Höhe und dank des durch das Gefälle vom Gletschersee herrschenden Drucks ohne Stromzufuhr. Die Düsen stammen von der Firma Bächler Top Track, die Anlagen für die Beschneiung von Skipisten entwickelt und fertigt. Geschäftsführer Claus Dangel erklärt das Prinzip:

Kunstschnee-Beschneiungsanlage Testanlage Diavolezza
Die Beschneiungstestanlage im Skigebiet Diavolezza. Durch ein Leitung in 10 Metern Höhe werden kleine Wassertropfen zu Schneeflocken. Bildrechte: Dietrich Karl Mäurer/MDR Wissen

Hier an der Anlage sehen wir hinten Wasserdüsen, da kommen nur Wassertröpfchen raus und weiter vorne haben wir Düsen aus denen Luftdruck und Wasser gemischt wird, daraus entstehen eine Milliarde Schneekristalle pro Sekunde. Und wenn die zusammentreffen mit den Wassertröpfchen, fällt das nach zehn Metern als Schnee zu Boden.

Claus Dangel, Bächler Top Track

Gletscherforscher Felix Keller sagt, viel Schnee sei nötig, um den Schutz bis zum Sommer zu erhalten:

Es braucht eine etwa zehn bis zwölf Meter hohe Schneedecke. Wenn man das umrechnet, dann sind das rund drei Millionen Tonnen Schnee, die wir jedes Jahr produzieren müssen.

Felix Keller, Glaziologe

Doch wie lässt sich diese Schneemenge am effizientesten erzeugen? Welche Düsengröße braucht es? Welchen Wasserdruck? Welches Wetter? Das sind Fragen, die der Forscher in seinem Versuch herausfinden will.

Kritiker verweisen darauf, dass die Anlage Millionen kostet und zudem einen enormen Eingriff in die Natur darstellt.

Auch mich schmerzt es, dass man quasi einen derart massiven Landschaftseingriff machen muss. Es geht darum, dass Menschen eine lohnenswerte Zukunft haben, damit sie überhaupt überleben.

Felix Keller, Glaziologe

Denn Millionen seien abhängig von den Gletschern und ihrer Funktion als Süßwasserspeicher – etwa im Himalaya. Dort sieht er eine Einsatzmöglichkeit für seine Technik.

WARUM SIND GLETSCHER ÜBERHAUPT WICHTIG?

Nur ein Viertel der weltweiten Süßwasserreserven besteht aus Grundwasser, Flüssen, Seen oder Wasser in der Atmosphäre. Die übrigen drei Viertel bestehen aus Gletschern und Eis und Schnee der Polargebiete. Es ist normal, dass im Sommer Schmelzwasser vom Gletscher abgeht. Im Alpenraum ist das Süßwasser der Gletscherschmelze Haupttrinkwasserreservoir. Bleibt es aus, werden auch die Brunnen nicht mehr gefüllt. Verschwinden die Gletscher ganz bleiben nur noch kahle Gesteinswüsten übrig. Flüsse führen kein Wasser mehr, Menschen, Tiere und Pflanzen verlieren ihre Existenzgrundlage.

Motiviert für seinen Gletscherrettungsversuch wird Felix Keller von künftigen Generationen, denn er ist überzeugt davon...

Felix Keller
Für Glaziologe Felix Keller ist die Gletscherrettung eine Investition in die Zukunft. Bildrechte: Dietrich Karl Mäurer/MDR Wissen

...dass unsere Kinder nicht fragen werden, ob wir diesen Gletscherrückzug nicht gesehen haben, sondern sie werden uns eher fragen, was wir getan haben. Und dann möchte ich meinen Kindern sagen, ich habe versucht einen Beitrag zu leisten.

Felix Keller, Glaziologe

Durch das Beschneien könnte das Abschmelzen eines Gletschers nicht komplett gestoppt werden, sagt Felix Keller, aber – so kalkuliert er – um 30 bis 50 Jahre verzögert werden.

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5 Kommentare

wwdd am 02.01.2023

Zum Ski fahren, kann man jetzt schon in die VAE oder nach Katar fliegen. Billige Energie wird es dort immer geben. Verschwendung statt Sparsamkeit, denn so will es auch die Natur...

part am 29.03.2021

Die Schweizer machen sich Gedanken um den Tourismus und die Skigebiete, anders ist dieser regional begrenzte Aufwand, der sich nicht überall anwenden lässt, nicht zu verstehen. Zusätzlich geht es dabei wohl auch um Muren oder Hangabgänge, die durch schmelzende Gletscher begünstigt werden. Die Aktion dürfte aber die den Wirkungsgrad einer einzelnen Ameise in einem riesigen Ameisenhaufen bedeuten, eine Auswirkung auf das Klima hat es jedenfalls nicht. Unser Klima entsteht im Nordatlantik, wobei festgestellt wurde das sich dort das Klima alle zwanzig Jahre verändert auf zwanzig Jahre lang, scheint so das wir wieder eine kleine Kaltphase bekommen?

seaking am 28.03.2021

Ein Eingriff in die Natur nur mit Süßwasser ist das nicht und somit auch kein Fehlgriff. Wenn Sponsoren gefunden werden, denke ich, wird das auch machbar sein. Ich finde die Idee im Ansatz gut, allerdings nicht ausgereift. Wichtig ist, dass als Erstes der Klimaausstoß gedroßelt wird und gleichzeitig die Gletscher erhalten bleiben. Damit verringert sich der CO2 Gehalt in der Luft und die Gletscher schmelzen lamgsamer, solange, bis die Natur sich wieder erholt hat. Ob wir das miterleben werden, wage ich zu bezweifeln, aber der Versuch ist es eben wert. Außerdem gilt es damit aufzuhören, die Regenwälder abzubrennen, um mehr Nutzfläche für Tiere zu gewinnen. Da wird mehr CO2 produziert, als je zuvor. Der Fleischkonsum ist außerdem auf dem Rückmarsch. Es gibt jetzt mehr Vegetarier und Veganer als je zuvor.
Also Leute, ich bin für dieses Projekt. Ihr könnt mich gerne dafür begeistern. Ich bringe außerdem Erfahrung in der Nanotechnik mit...